Die Corona-Krise stellt eine Gelegenheit dar, grundsätzliche Gedanken über unsere Gesellschaft und deren Zukunft anzustellen . Offensichtlich ist ja, dass sich vieles ändern wird. Wie sollen Christen darauf reagieren? Diese Fragen hat der Rektor der Hochschule ITI mit seinen Studenten in wöchentlichen „live-stream“-Begegnungen bedacht. Im Folgenden Auszüge aus dessen Statements.
Die Lesungen der Osterliturgie beeindrucken mich immer sehr, weil sich Jesus so klar ausdrückt, wenn Er davon spricht, wie wir das Evangelium in der Welt verkünden sollen. Er sagt nie, wir sollten nur zu netten Leuten gehen, nur dorthin, wo wir nicht Anstoß erregen… Er sagt vielmehr: Geht zu allen Völkern, an jeden Ort der Erde, zu allen Menschen! Nütze jede Gelegenheit! Keiner wird ausgeschlossen sein, vom Evangelium zu hören. Es tut uns gut, daran erinnert zu werden.
Wir sollten uns daher fragen: Wie können wir diese Krise nützen, um diesem Auftrag nachzukommen? Mir wird jetzt bewusst, dass es eine Reihe von Möglichkeiten gibt, die wir bisher nicht ausreichend genutzt haben, die aber in der Corona-Krise als Instrumente eingesetzt wurden. Ich denke da an die sozialen Medien, Videos, „live streams“… Im Gespräch mit Freunden auf der ganzen Welt wurde mir gesagt, dass sie heilige Messen und Liturgien an Orten mitgefeiert haben, an die sie vorher nie gedacht hätten. Einige sagten, sie hätten vorher nie oder nur selten an einer heiligen Messe teilgenommen, jetzt aber wöchentlich oder sogar fast täglich im „live stream“: an der Messe des Heiligen Vaters, des Ortsbischofs, des Pfarrers vor Ort. Hier haben wir es mit einer wunderbaren neuen Möglichkeit zu tun, die wir nutzen sollten.
Der Mensch sei allmächtig: eine Irrlehre
Die Welt, wie wir sie erleben, und jene, die vor uns liegt, wird eine andere sein, als jene, die wir kannten. Vieles wird sich ändern, und wir stehen mitten in diesem Wandel, ohne zu wissen, was genau auf uns zukommt. Im Grunde genommen ist das allen klar.Kürzlich habe ich wieder eines meiner Lieblingsbücher, Der Mensch vor der Frage nach dem Sinn, des weltbekannten Therapeuten und Psychiaters Viktor Frankl gelesen. Und da ist mir eine Stelle aufgefallen, die perfekt auf unsere Zeit angewendet werden kann. Frankl, der die schrecklichsten Leiden in Auschwitz erduldet und überlebt hat, schreibt: „Man kann dem Menschen zwar alles wegnehmen – nur eines nicht: die letzte aller menschlichen Freiheiten, nämlich jene zu entscheiden, wie man auf das reagiert, was einem im Leben zustößt.“
Was für ein mächtiges Wort: Alles kann einem genommen werden – und vieles wird uns genommen werden: Sicherheit, Arbeitsplätze, viele lieb gewordene Dinge… Das alles ist natürlich nichts im Vergleich zum Leiden im Holocaust und dem, das z.B. die verfolgten Christen heute zu erdulden haben.
Dennoch ist es für uns alle eine Lehre: Wir können unsere Einstellung zu dem Geschehen frei wählen. Diese Fähigkeit kann uns nie genommen werden. Wir sind frei in der Art, auf die Krise zu reagieren. Jeder von uns. Fragen wir uns also: Wie reagiere ich auf diese Krise? Was muss geändert werden und wie? Welche schlechten Gewohnheiten sollten wir fallen lassen? Diese Fragen sollten wir uns zunächst persönlich stellen – und eine Antwort finden, bevor wir uns Fragen der gesellschaftlichen Veränderungen zuwenden.
Schützen wir die Verletzlichen wirklich?
Mir geht es im Folgenden nicht darum, eine Debatte über die wirkliche Gefahr dieser Pandemie loszutreten. Ich bin kein Mediziner, kein Virologe, also maße ich mir diesbezüglich kein Urteil an, sondern nehme zur Kenntnis, dass es eine ernste Krise gibt, dass viele Menschen sterben, viele im Spital sind. Ebenso wenig stelle ich bestimmte Maßnahmen der Regierungen oder der Kirche in Frage. Mir geht es darum, den Blickwinkel zu erweitern und zu fragen: Warum hat die Welt auf diese Pandemie auf so besondere Art reagiert? Meine Antwort darauf: Es gab so etwas wie eine Pawlow’sche Reaktion. Angst, die zur Panik geführt hat.
Und der Grund dafür? Die letzten Jahrzehnte waren dadurch gekennzeichnet, dass sich die Überzeugung in unsere Gesellschaft breitmachte, dass wir Menschen gänzlich selbstbestimmt seien. Wir seien imstande, das Leben, den Tod und die Schöpfung unter Kontrolle zu bringen – wir brauchten Gott nicht. Wir könnten alles selbst entscheiden.
Dazu zwei Beispiele: Mitten in der Pandemie hat die Abtreibungsindustrie alles in ihrer Macht Stehende unternommen, um für Abtreibung den Status einer unverzichtbaren medizinischen Leistung zu erwirken. Und auf der anderen Seite des Spektrums haben wir die Euthanasie: Das niederländische Parlament hat kürzlich ein Gesetz beschlossen, die Euthanasie im Falle von Demenz vorsieht. Wir haben es hier mit zwei Situationen zu tun, in denen zum Ausdruck gebracht wird: Der Mensch herrscht über Tod und Leben.
Was hat das nun mit der Pawlow-Reaktion zu tun? Wir wiegten uns in der illusionären Sicherheit, dass wir das Leben und den Tod kontrollieren. Diese Illusion haben wir nett verpackt: Abtreibung, alles ganz klinisch herbeigeführt, als Wahlfreiheit und als Menschenrecht bezeichnet. Euthanasie wiederum segelt unter der Flagge der Menschenwürde. Man erspare dem Menschen das Leiden. Wir haben den Tod übertüncht, hinter netten Worten, Phrasen und Ideologien versteckt.
Und nun kommt aus dem Nichts ein Virus: unsichtbar, unhörbar, anscheinend unkontrollierbar. Wir geraten in Panik, weil wir nicht gewöhnt sind, mit der brutalen Realität des Todes konfrontiert zu werden. Jetzt plötzlich werden wir weltweit mit der Tatsache konfrontiert: Wir kontrollieren Tod und Leben durchaus nicht. Das hat unsere Gesellschaft unter Schock versetzt. Und wir wissen nicht, wie wir damit umgehen sollen. Daher die Panik.
Ohne mich zu den einzelnen Maßnahmen zu äußern, nehme ich zur Kenntnis, dass es immer deutlicher wird: Sie alle zusammengenommen führen uns absehbar in eine noch größere Katastrophe. Kürzlich haben die Vereinten Nationen die Alarmglocken geläutet: Eine Hungersnot seit langem nicht dagewesenen Ausmaßes bahne sich aufgrund der Corona-Krise an. Es gäbe viele andere Probleme zu nennen. Aber dieses fand ich am schlimmsten.
Armut macht wirklich große Sorgen, und sie hat direkt zu tun mit den Maßnahmen, die die reichen Industriestaaten ergriffen haben zur Bekämpfung der Pandemie. Daher stehen wir jetzt vor schwierigen Fragen: Wie können wir die Verletzlichen schützen? Wie können wir sicherstellen, dass wir nicht total die Kontrolle über die Entwicklung verlieren? In dieser Situation bedarf es überzeugender christlicher Führerschaft. Wir brauchen eine christliche Elite, die sich für das Gemeinwohl einsetzt – und zwar für das Wohl der Menschen weltweit.
Alle Kosten in
Rechnung stellen
Derzeit sind wir mit zwei Pandemien konfrontiert. Die eine ist die Covid-19-Pandemie, bezüglich derer wir derzeit mit Meldungen überschwemmt werden. Über die zweite Pandemie möchte ich jetzt sprechen: die Pandemie der Angst. Fragen wir uns: Welche von beiden ist gefährlicher? Schauen wir uns die kurzfristigen Folgen an: eine massive Arbeitslosigkeit, die sich weltweit ausbreitet. Allein in den USA gibt es 26 Millionen neue Arbeitslose. Und wie steht es mit der Unmenge von Konkursen, mit der überhandnehmenden Armut, mit den Rissen im gesellschaftlichen Gefüge, die von den Maßnahmen ausgelöst werden, die unsere Länder ergreifen?
Als Jurist bin ich immer an der Frage nach der Gerechtigkeit interessiert. Diese wurde zuletzt äußerst stiefmütterlich behandelt. Wer fragt nach der Gerechtigkeit, wenn es um die Folgen der Maßnahmen geht, die jetzt getroffen werden? Unsere Politiker und die Medien werden nicht müde zu betonen, dass alles, was derzeit unternommen wird, geschehe, um die Verletzlichen zu beschützen. Da darf man doch wohl fragen: Von wem sprechen sie da? Von den Ungeborenen? Denkt irgendjemand an sie?
In einem Artikel las ich kürzlich: „Wie Anzeigen bei Gericht in den USA zeigen, lässt sich die Abtreibungsindustrie nicht davon abhalten, weiterhin Abtreibungen durchzuführen trotz des Mangels an Hilfsmitteln, Geräten und Spitalsausrüstung.“ Wo bleibt da die Gerechtigkeit? Werden da die Hilfsbedürftigen beschützt? Alle? Etwa die 40 Millionen ungeborenen Kinder, die jährlich weltweit umgebracht werden?
Ein weiteres Beispiel: die Armen. In einem anderen Artikel las ich den Alarmruf der Welternährungsorganisation. Die Corona-Epidemie und seine Folgen könnten zu biblischen Hungersnöten führen. Wer kümmert sich da um die Armen in der südlichen Hemisphäre, die unmittelbar unter den Folgen der Maßnahmen, die wir getroffen haben, leiden werden?
Und ein drittes Beispiel: Wer kümmert sich um die Millionen Väter und Mütter weltweit, die jetzt ohne Job dastehen? Ich bin selbst Familienvater und weiß, wie entscheidend wichtig es ist, dass der Vater ausreichend für den Lebensunterhalt seiner Familie sorgen kann. Wer sorgt da für Gerechtigkeit?
Wenn wir also die Corona-Krise bewältigen wollen, muss die Gesellschaft nicht nur die Kosten in Rechnung stellen, die die Pandemie an sich „daheim“ hervorruft, sondern es geht auch um die Art, wie wir in der Krise vorgehen. Derzeit ist die Vorgangsweise an sich zerstörerisch, wie wir es an den Folgen, die sie in unserem Wirtschaftssystem, und damit im sozialen Gefüge, anrichten, sehen. Und ebenso zerstörerisch wirkt sie sich in den armen Ländern aus.
In dieser Situation brauchen wir christliche Führungsstärke. Je nach unseren Fähigkeiten und Möglichkeiten müssen wir uns in unseren Gemeinschaften für das Gemeinwohl einbringen. Und wir sollten nicht darauf warten, dass uns die Eliten sagen, was wir zu tun hätten. Sondern tun wir das, was gut und notwendig ist, damit diese Krise in einem guten Sinn bewältigt wird.
Prof. MMag. Dr. Christiaan Alting von Geusau ist Rektor der Hochschule ITI in Trumau, wie auch Gründer des Privatgymnasiums Schola Thomas Morus.
Die Statements in voller Länge findet man unter:
https://youtu.be/ZvAKh9mTayE
https://youtu.be/RbyfmEPxjEU
https://youtu.be/6f9R3PCQrQM