Anlässlich des Besuches von Papst Benedikt XVI. 2007 in Deutschland hat Christoph Hurnaus ein längeres Interview mit dessen Bruder Georg Ratzinger, der heuer am 1. Juli verstorben ist geführt. Aus diesem Anlass bringen wir einen Auszug aus diesem Gespräch:
Können Sie uns etwas über Ihren Weg zum Priestertum erzählen?
Georg Ratzinger: In unserer Familie war der Gottesdienstbesuch eine Selbstverständlichkeit. Das Kirchenjahr bestimmte den Ablauf des Lebens. Wir sind jeden Tag in die Schulmesse gegangen, am Sonntag sowieso. Die Berufung ist eigentlich von selber gewachsen. Ich war dann auch bald Ministrant und hatte dabei immer das Empfinden: „Da ist dein Platz.“ Ich bin dann so organisch hineingewachsen. Ich hatte auch niemals große innere Kämpfe. Auch in der schwierigen Zeit des Krieges gab es für mich keinen Zweifel, dass dies für mich die richtige Berufung und die Lebensrichtung ist, zu der ich gerufen bin. Ich hatte für meinen Bruder, der ja drei Jahre jünger war und mir bald gefolgt war, auch eine gewisse Vorbildfunktion. Ich hab immer den lieben Gott gebeten: „Gib mir eine Aufgabe, wo ich musikalisch tätig sein kann, eine Verbindung zwischen meinem geistlichen Beruf und der musikalischen Arbeit.“
Hätten Sie damit gerechnet, dass Ihr Bruder Papst werden könnte?
Ratzinger: Dass die Kardinäle sich für meinen Bruder als Papst entschieden, war für mich im ersten Moment wegen seines Alters eigentlich unverständlich. Es benötigt schon einen intensiven geistlichen Vollzug, um zu verstehen, dass mein Bruder nun Papst geworden ist. Aber persönlich hat sich zwischen uns natürlich nichts verändert, auch nach dem Motto, was natürlich gewachsen ist, bleibt erhalten. Er ist ja nicht nur Papst, er ist auch Mensch, mein Bruder eben.
Haben Sie manchmal daran gedacht, was Ihre Eltern sagen würden, wenn Sie die Wahl Ihres Bruders zum Papst erlebt hätten?
Ratzinger: Die Eltern würden sich einerseits sicher freuen, aber andererseits wäre dies auch eine Sorge. Man muss die Verantwortung sehen, die hinter so einem hohen Amt steht, die Erwartungen, die in ihn gesetzt werden.
Man sagt, dass Ihr Bruder als Leiter der Römischen Glaubenskongregation ein sehr nahes Verhältnis zu Papst Johannes Paul II. hatte. Wie würden Sie dieses beschreiben, war es Freundschaft oder einfach nur eine kongeniale Partnerschaft?
Ratzinger: Ja, so kann man es sagen. Der Papst hat sehr viel auf ihn gehalten und gewusst, dass er in ihm einen verlässlichen und jederzeit bereiten Mitarbeiter hat, der auch qualifiziert ist. Der Heilige Vater wusste, dass Kardinal Ratzinger eine sehr intensive und umfassende Kenntnis vieler Details hatte. Mein Bruder hatte nie einen besonderen Ehrgeiz. Er wollte seine Aufgabe gut machen.
Als Leiter der Glaubenskongregation wurde von Kardinal Joseph Ratzinger in manchen Medien ein verzerrtes Bild gezeichnet. Als Papst wird er nun doch anders wahrgenommen. Freuen Sie sich, dass sich die Stimmung nun so gewandelt hat?
Ratzinger: Man sieht, dass solche Vorurteile nie auf originärer Erfahrung beruhen. Jemand sagt etwas, es wird in die Welt gesetzt – und die Welt besteht halt weitgehend aus Gerüchten. Dass jetzt ein falsches Bild von meinem Bruder korrigiert wird, das halte ich schon für gut. Aber man darf nicht, um ein falsches Bild zu vermeiden, etwas gegen seine Überzeugung tun.
Ist Standfestigkeit eine besondere familiäre Tugend?
Ratzinger: Ich denke schon, dass da eine natürliche Veranlagung da ist. Wir Bayern haben einen gewissen „Dickschädl.“ Das ist zuerst der negative Aspekt. Der positive Aspekt ist, dass etwas, was der eigenen Überzeugung entspricht, nicht einfach leichtfertig aufgegeben wird. Mein Vater war in seiner Opposition gegen das Naziregime da sicherlich für uns ein Vorbild.
Wie sehen Sie die Zukunft der Kirche. Papst Johannes Paul II. sagte einmal, die Kirche wandle sich von einem quantitativen Modell in ein qualitatives. Gibt es heute nicht viele neue Gruppen und Bewegungen, die das Leben der Kirche befruchten?
Ratzinger: Wir müssen uns bemühen, dass ein Kern da ist, der die Überzeugung an Christus wachhält und die Botschaft des Evangeliums lebt. Die vielen neuen Gruppen und Bewegungen, die entstehen, sind in sich gefestigt und wirken nach außen ungemein positiv und befruchtend: dass die Kirche nicht in der Sakristei bleibt, sondern einen gewissen Öffentlichkeitsraum erreicht. Man soll aber auch die Tradition nicht ganz unterschätzen. Sie ist schon eine gewisse Hilfe.
Das Gespräch führten Christoph Hurnaus und Johanna Hulatsch.