Mit welcher besonderen Not werden Sie konfrontiert?
P. Johannes Taucher: Ich bin im Pensionistenheim tätig. Zweimal in der Woche spende ich jenen, die es wünschen, die Kommunion. Kontakt nehme ich mit allen auf, besonders mit den Neuen. Viele Alte erkennen mich nur, wenn ich liturgisch gekleidet bin. Viele sind verwirrt, manche wissen gar nicht, wo sie sind. Diese Situation gibt es erst seit etwa 10 Jahren, weil die Leute erst in viel höherem Alter ins Heim kommen. Zu guten Gesprächen kommt es nicht oft, weil so viele abgestumpft sind. Sie denken nicht gerne an das, was ihnen bevorsteht, wollen sich nicht mit dem Sterben konfrontieren. Sie wollen leben.
Kann man solche alten Menschen überhaupt ansprechen?
Taucher: Ja, mit Freundlichkeit, persönlicher Zuwendung. Indem man sie berührt, streichelt...
Wurden die Heimbewohner überhaupt je mit dem Glauben konfrontiert?
Taucher: Die Generation, die in den letzten 10 Jahren bei uns ins Altersheim eingezogen ist, wenig. Sie tut sich sehr schwer, mit dem Glauben anzuknüpfen. Von 210 Heimbewohnern kommen 30 bis 35 Leute zu den Gottesdiensten.
Sind Menschen, die ihr Leben lang nicht religiös waren, im hohen Alter noch für Glaubensfragen ansprechbar?
Taucher: Nur selten. Heute war ich bei einer Frau, die ich von der Pfarre her kannte. Die zweite Frau im Zimmer ist sehr begabt, aber ihrer Aussage nach ungläubig. Sie hat mich auf die Situation von Kindern angesprochen, die keinen Vater haben. Das hat sie beschäftigt, weil sie selbst ein lediges Kind ist. Den Vater hat sie erst bei der Hochzeit kennengelernt. Dieses Problem hat sie ihr Leben lang beschäftigt. "Was will denn der liebe Gott mit solchen Tschopperln?" Im Alter brechen solche Konflikte neu auf. Und da viele alte Menschen mit solchen ungelösten Konflikten leben, kommt die Frage nach Gott gar nicht so heraus. Man bleibt am Konflikt hängen.
Alte Konflikte brechen also im Alter neu aus?
Taucher: Ja, ganz stark. Die Leute sind heute sehr problembehaftet. Gott ist ihnen kaum präsent. Das war in den ersten Jahren meiner priesterlichen Tätigkeit anders. Da haben die alten Menschen nach dem Priester, nach den Sakramenten verlangt. Heute nicht. Beichte - kaum. Hier hat sich etwas total verändert. Die Glaubenskrise tritt bei den Alten genauso wie bei den Jungen auf. Die Faszination des gestiegenen materiellen Wohlstandes spielt da eine große Rolle. Man will möglichst viel erleben. Auch das Fernsehen spielt da eine Rolle. Wenn man zu Besuch kommt, wird der Fernseher gar nicht abgedreht. Und all das führt dazu, daß der Gedanke an den Tod weggeschoben wird.
Inwiefern war das anders?
Taucher: Ja. Da bin ich in der Nacht gerufen worden, wenn jemand im Sterben lag. Ich erinnere mich an eine Frau, die richtiggehend darauf gewartet hat, daß ich komme, um ihr die Krankensalbung zu spenden. Sie saß als ich eintrat am Bett, hat die Krankensalbung empfangen. Und als ich das Heim verlassen hatte, war sie gestorben. Es gibt viele solche Beispiele. Damals gab es ein religiöses Milieu - vor allem bei Frauen -, das die Menschen aufrecht erhielt. Das gibt es heute kaum. Gott sei Dank unterstützt mich eine Gruppe der Legio Mariae. Solche Mittelspersonen sind eine ganz große Hilfe.
Bei der heutigen Vereinzelung ist es wohl besonders wichtig, den Menschen nachzugehen:..
Taucher: Ja, sehr wichtig. Und da bedarf es engagierter Laien.
Haben Sie erfahren, daß Menschen in hohem Alter eine Bekehrung erleben?
Taucher: Ganz selten. Man stellt in seinem aktiven Leben irgendwie die Weichen. Das möchte ich deutlich sagen. Ich sollte also mein religiöses Leben pflegen, solange ich wachen Geistes bin. Wer innig geglaubt hat, der behält das bei. Dieses Kapital geht nicht verloren. Es kann sich sogar intensivieren. Im Alter kann man aber so abbauen, daß eine Umkehr kaum möglich scheint. Ganz selten aber kommt auch das vor.
Unterscheidet sich die Situation der alten Menschen in der Pfarre von jener der Heimbewohner?
Taucher: Was die Grundeinstellung anbelangt nicht.
Inwiefern sind Sie selbst durch die Begegnung mit alten Menschen beschenkt worden?
Taucher: Ich habe da viel gelernt. Meiner Tätigkeit im Altersheim verdanke ich sehr viel. Die Erfahrung, wie manche Leute zu Beginn meiner priesterlichen Tätigkeit das Sterben angenommen haben, das war ein großes Geschenk. Auch, daß man trotz des Verfalls miteinander in Berührung bleiben kann. Mit manchen alten Menschen haben wir geradezu großartige Visionen vom Leben beim Herrn, große Erwartungen entwickelt. Es geht darum, in der Erwartung zu bleiben. Man kann in solchen Situationen erfahren, wie Menschen trotz ihrer äußerlich tristen Situation eine Befreiung erfahren. Aus diesen Erfahrungen lebe auch ich. Denn es gilt, sich selbst innerlich zu bereiten.
Wie macht man das?
Taucher: Indem man Rückschau hält. Die Todesfälle in der eigenen Umgebung sind ein Anlaß dazu - und die eigenen Erkrankungen. Man fragt sich: Was bleibt von meinem Leben? Was trägt mich? Und da merkt man: So viel ist das gar nicht. Von vielem muß man Abschied nehmen. Und so kann man eine Erwartung entwickeln. Ich öffne mich im Gebet für das, was Gott verspricht.
Mit P. Johannes Taucher SVD, dem Pfarrer der Herz-Jesu-Pfarre in Mödling, sprach Christof Gaspari.