Es gibt verschiedene Gnadengaben, aber nur den einen Geist“ (1 Kor 12,4), schreibt der Apostel Paulus an die Korinther. Und er fährt fort: „Es gibt verschiedene Dienste, aber nur den einen Herrn; es gibt verschiedene Kräfte, die wirken, aber nur den einen Gott“. Die Verschiedenen – der Eine: Paulus legt Wert auf die Verbindung dieser scheinbar widersprüchlichen Worte. Er will uns sagen, dass der Heilige Geist dieser Eine ist, der die Verschiedenen zusammenbringt, und dass die Kirche so geboren wird: Wir, die Verschiedenen, werden durch den Heiligen Geist geeint.
Begeben wir uns also an den Anfang der Kirche, zum Pfingsttag. Schauen wir uns die Apostel an. Unter ihnen gibt es einfache Leute, die, wie etwa die Fischer, gewohnt sind, von ihrer Hände Arbeit zu leben; da ist aber auch Matthäus, der ein gebildeter Steuereinnehmer war. Sie kommen aus unterschiedlichen sozialen Verhältnissen, haben jüdische und griechische Namen, sanfte und feurige Charaktere, unterschiedliche Sichtweisen und Empfindungen.
Jesus hatte sie nicht verändert, Er hatte sie nicht vereinheitlicht und zu „Serienmodellen“ gemacht. Er ließ ihre Unterschiede bestehen, und nun vereint Er sie, indem Er sie mit dem Heiligen Geist salbt. Die Vereinigung kommt mit der Salbung. An Pfingsten erkennen die Apostel die einheitsstiftende Kraft des Geistes. Mit eigenen Augen sehen sie, dass alle, obwohl sie unterschiedliche Sprachen sprechen, ein einziges Volk bilden, das Volk Gottes, das geformt ist vom Heiligen Geist, der aus unseren Unterschieden eine Einheit webt und alles in Einklang bringt, weil Er der Einklang ist.
Kommen wir nun zu uns, zur Kirche von heute. Wir können uns fragen: „Was verbindet uns, worauf gründet unsere Einheit?“ Auch bei uns gibt es Unterschiede, z.B. in den Meinungen, in den Entscheidungen, im Empfinden. Die Versuchung besteht immer darin, dass wir unsere eigenen Ideen „bis aufs Messer“ verteidigen, dass wir glauben, diese seien gut für alle und dass wir nur mit denen zurechtkommen, die so denken wie wir. Aber dies ist ein Glaube nach unserer Fasson, es ist nicht das, was der Geist will. Man könnte freilich auch meinen, dass unsere Einheit darin besteht, dass wir das Gleiche glauben und die gleichen Verhaltensweisen praktizieren. Aber da ist noch viel mehr. Unser Prinzip der Einheit ist der Heilige Geist. Er erinnert uns daran, dass wir zuallererst Gottes geliebte Kinder sind. Der Geist kommt zu uns, mit all unseren Unterschieden und Nöten, um uns zu sagen, dass wir einen einzigen Herrn, nämlich Jesus, und einen einzigen Vater haben und dass wir deshalb Brüder und Schwestern sind! Lasst uns von diesen Überlegungen her noch einmal auf die Kirche schauen, und zwar so, wie der Heilige Geist und nicht wie die Welt sie betrachtet.
Aus weltlicher Sicht gehören wir der Rechten oder der Linken an; für den Geist gehören wir zum Vater und zu Jesus. Die Welt sieht Konservative und Progressive; der Geist sieht Kinder Gottes. Ein weltlicher Blick sieht Strukturen, die effizienter gestaltet werden müssten; ein geistlicher Blick sieht Brüder und Schwestern, die um Erbarmen betteln. Der Geist liebt uns und kennt den Platz eines jeden im großen Ganzen. Für Ihn sind wir keine im Wind treibenden Konfettischnipsel, sondern unersetzliche Steinchen seines Mosaiks.
Auszug aus der Pfingstpredigt im Petersdom am 3.5.20