Es ist nur natürlich, daß einem mit zunehmenden Jahren der Gedanke an den "Lebensabend" vertraut wird. Wenn nichts anderes, so erinnert uns daran die Tatsache, daß sich die Reihen unserer Angehörigen, Freunde und Bekannten zu lichten beginnen. Wir werden uns dessen bei verschiedenen Gelegenheiten bewußt, zum Beispiel bei Familien- und Klassentreffen, bei Zusammenkünften mit unseren Freunden aus Kindheitstagen, mit unseren Studienkollegen und mit unseren Kameraden beim Militär, mit unseren Kurskollegen im Seminar ...
Die Grenze zwischen Leben und Tod verläuft quer durch unsere Gemeinschaften und rückt für einen jeden von uns unerbittlich näher. Wenn das Leben eine Pilgerschaft zur himmlischen Heimat ist, so ist das Alter die Zeit, wo man selbstverständlicher auf die Schwelle der Ewigkeit schaut.
Trotzdem haben auch wir Alten Mühe damit, uns mit der Aussicht auf diesen Übergang abzufinden. Er stellt nämlich in dem von der Sünde gezeichneten menschlichen Dasein eine dunkle Dimension dar, die uns notgedrungen traurig macht und Angst bereitet. Wie könnte es auch anders sein?
Der Mensch ist für das Leben erschaffen, während der Tod -- wie uns die Schrift schon auf den ersten Seiten erklärt -- nicht im ursprünglichen Plan Gottes lag, sondern eine Folge der Sünde ist, der Frucht aus dem "Neid des Teufels" (Weish 2, 24).
Man versteht also, warum sich der Mensch gegen diese finstere Wirklichkeit wehrt und auflehnt. Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, daß Jesus, "der in allem wie wir in Versuchung geführt worden ist, aber nicht gesündigt hat" (Hebr 4, 15), selber Angst vor dem Tod hatte: "Mein Vater, wenn es möglich ist, gehe dieser Kelch an mir vorüber..." (Mt 26, 39). Und wie könnte man die Tränen vergessen, die er am Grab seines Freundes Lazarus vergoß, obwohl er sich anschickte, ihn ins Leben zurückzuholen?
So sehr auch der Tod in biologischer Hinsicht rational verständlich ist, so bleibt es doch unmöglich, ihn mit "Natürlichkeit" zu leben. Er steht im Widerspruch zum tiefsten Instinkt des Menschen.
... Sicher bliebe der Schmerz untröstlich, wenn der Tod die vollständige Zerstörung, das Ende von allem wäre. Der Tod zwingt daher den Menschen, sich die radikalen Fragen nach dem eigentlichen Sinn des Lebens zu stellen: Was gibt es jenseits der Mauer, die der Schatten des Todes aufgerichtet hat? Markiert der Tod das definitive Ende des Lebens oder gibt es etwas, das über ihn hinausreicht?
Der Apostel Paulus bezeugt, daß der Gott, der die Toten lebendig macht (vgl. Röm 4, 17), auch unseren sterblichen Leib lebendig machen wird (vgl. ebd., 8, 11). Und Jesus sagt von sich selbst: "Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt, und jeder, der lebt und an mich glaubt, wird auf ewig nicht sterben" (Joh 11, 25-26).
Nachdem Christus die Grenze des Todes überschritten hatte, offenbarte er das Leben, das es jenseits dieser Grenze in jenem vom Menschen unerforschten "Gebiet" gibt, das Ewigkeit heißt. Jesus Christus ist der erste Zeuge des unsterblichen Lebens; in ihm offenbart sich in Fülle des Menschen Hoffnung auf Unsterblichkeit. "Bedrückt uns auch das Los des sicheren Todes, so tröstet uns doch die Verheißung der künftigen Unsterblichkeit".
Auf diese Worte, die den Gläubigen die Liturgie als Trost in der Stunde des Abschieds von einem geliebten Menschen anbietet, folgt eine hoffnungsvolle Ankündigung: "Denn deinen Gläubigen, o Herr, wird das Leben gewandelt, nicht genommen. Und wenn die Herberge der irdischen Pilgerschaft zerfällt, ist uns im Himmel eine ewige Wohnung bereitet".
In Christus wird der Tod als dramatische und bestürzende Realität freigekauft und gewandelt, um das Gesicht eines "Bruders" anzunehmen, der uns in die Arme des Vaters führt.
Der Glaube erleuchtet so das Geheimnis des Todes und flößt dem Alter Gelassenheit ein: Es wird nicht mehr als passives Warten auf ein zerstörerisches Ereignis, sondern als verheißungsvolle Annäherung an das Ziel der vollen Reife angesehen und erfahren. Es sind Jahre, die mit dem Gefühl gelebt werden sollen, daß man sich vertrauensvoll den Händen Gottes, des umsichtigen und barmherzigen Vaters, überläßt; eine Zeit, die für eine Vertiefung des geistlichen Lebens durch Intensivierung des Gebets und Verpflichtung zur liebevollen Hingabe an die Brüder kreativ genutzt werden soll.
Daher verdienen alle sozialen Initiativen Lob, die es den alten Menschen ermöglichen, sich sowohl körperlich, intellektuell und im Beziehungsleben weiterzubilden als auch sich dadurch nützlich zu machen, daß sie ihre eigene Zeit, ihre Fähigkeiten und ihre Erfahrung den anderen anbieten. Auf diese Weise erhält und steigert man die Lebensfreude, die ein grundlegendes Gottesgeschenk ist. Andererseits steht zu dieser Lebensfreude jenes Verlangen nach der Ewigkeit nicht in Widerspruch, das in allen heranreift, die eine tiefe geistliche Erfahrung machen.
Während ich euch, meine lieben betagten Brüder und Schwestern, in diesem Geist wünsche, mit ruhiger Gelassenheit die Jahre zu leben, die der Herr für einen jeden bereitet hat, spüre ich das spontane Verlangen, euch bis zum Letzten an den Gefühlen teilhaben zu lassen, die mich am Ende meines Lebens, nach mehr als 20 Jahren des Dienstes auf dem Stuhl Petri und in Erwartung des vor der Tür stehenden dritten Jahrtausends bewegen. Trotz der Einschränkungen, die mit dem Alter verbunden sind, bewahre ich mir die Lebensfreude. Dafür danke ich dem Herrn. Es ist schön, sich bis zum Ende für die Sache des Reiches Gottes zu verzehren.
Gleichzeitig empfinde ich einen großen Frieden, wenn ich an den Augenblick denke, in dem der Herr mich zu sich rufen wird: vom Leben ins Leben! Darum kommt mir häufig, ohne jeden Anflug von Traurigkeit, ein Gebet auf die Lippen, das der Priester nach der Eucharistiefeier spricht: In der Stunde des Todes rufe mich und laß mich zu dir kommen. Das ist das Gebet der christlichen Hoffnung, das der Freude über die gegenwärtige Stunde keinen Abbruch tut, während es die Zukunft dem Schutz der göttlichen Güte anheimstellt.