Bernadette Soubirous, das kleine Mädchen aus Lourdes, ist keine strahlende Heilige. Und ihr Leben war nicht romantisch, wie es oft dargestellt wurde. Hunger, Not und Krankheit sind nicht romantisch. Dennoch ist sie in ihrer Armut und Einfachheit überzeugend und tief berührend. 1844 wurde sie in Boly, einer kleinen Mühle, geboren. Ihre Eltern waren fleißig, aber geschäftlich ungeschickt, sie blieben einander und ihren Kindern jedoch trotz drückender Armut in großer Liebe zugetan. Dieses glückliche Familienleben schuf in Bernadette ein für den Rest ihres Lebens unzerstörbares Sicherheitsgefühl.
Bernadettes Gesundheit, die seit dem sechstes Lebensjahr angegriffen war, verschlechterte sich. Immer stärker litt sie unter Asthma. 1856 mußte die Familie in den "Cachot", die unbewohnbare Zelle eines ehemaligen Gefängnisses, ein "elendes, dunkles Loch" ziehen. Es gab erfolglose Versuche, Bernadette im Katechismus zu unterrichten, da sie aber nie eine Schule besucht hatte, verstand sie die Worte kaum, sie waren für sie abstrakte Begriffe ohne Verbindung zur Kommunion, die sie so gerne empfangen hätte. Trotz aller Härten blieb sie geduldig und freundlich. "Wenn der liebe Gott das alles zuläßt, so hat man sich nicht zu beklagen."
Nach dem Zeugnis ihrer Mutter hatte Bernadette "einen ausgesprochenen Sinn für die Frömmigkeit", sie war aber kein ungewöhnlich frommes Kind. Sie besaß auch einen Rosenkranz, den sie auf französisch betete. Allerdings verstand sie die Sprache nur oberflächlich. Sie hatte wie ihre Eltern die seltsame, tiefgehende Frömmigkeit der Armen - die Spiritualität der Armut, die den Willen Gottes einfach tut, ohne viel zu fragen und zu klügeln.
Am 11. Februar 1858, einem nebligen, regnerischen Tag, ging sie mit ihrer Schwester und einer Freundin Brennholz sammeln. An der Mündung eines kleinen Mühlenkanals in den Fluß Gave, an einer Felswand, wo eine Grotte war, fanden sie endlich Holz. Bernadette wagte zuerst nicht, in das eiskalte Wasser zu steigen, um den Bach zu queren. "Da ging ich zur Grotte zurück und begann Schuhe und Strümpfe auszuziehen. Kaum hatte ich den ersten Strumpf ausgezogen, als ich ein Geräusch wie von einem Windstoß hörte".
Sie sah sich um und bemerkte in der Nische am rechten Rand der Grotte, einige Meter oberhalb des Bodens ein "sanftes Licht", und dann sofort ein wunderschönes, weißgekleidetes Mädchen, das sie mit einer Handbewegung einlud, näherzukommen. Bernadette war fasziniert, hatte auch zuerst Furcht - "da steckte ich die Hand in die Tasche, wo ich den Rosenkranz fand..." Sie kniete nieder und betete den Rosenkranz. Auch die Erscheinung ließ die Perlen ohne ihre Lippen zu bewegen durch die Finger gleiten. "Als ich meinen Rosenkranz zu Ende gebetet hatte, winkte sie mir, näher zu kommen. Aber ich wagte es nicht. Da verschwand sie ganz plötzlich."
Der Vorfall konnte nicht verborgen bleiben. Bernadette, selbst ganz verwirrt, fühlte sich immer wieder zu der Grotte hingezogen, aber es wurde ihr verboten, nochmals hinzugehen. Am 14. Februar rang sie ihren Eltern die Erlaubnis ab, und ging zur Grotte. Wieder kniete sie, betete und besprengte die Erscheinung mit Weihwasser. Aber "je mehr ich sie mit dem Weihwasser besprengte, umso mehr lächelte sie". Am 18. Februar, es waren inzwischen schon mehrere interessierte Erwachsene anwesend, wurde Bernadette von dieser Erscheinung, die sie "Aquerò" nannte (was man mit "dieses, das da" übersetzen könnte), gebeten: "Wollen Sie die Güte haben, 14 Tage lang hierher zu kommen?"
Bernadette sagte voll Freude zu, ohne überhaupt daran zu denken, was das für Folgen für sie haben könnte. Nun schalteten sich die Behörden ein, es folgten die Verhöre, Bedrohungen, sie für verrückt erklären zu lassen.
Als man ihr verbieten wollte, wieder zur Grotte zu gehen, sprach sie einfach und klar: "Ich habe versprochen, zwei Wochen lang dorthin zu gehen". Bernadette blieb unerschütterlich. Sie war von einer Klarheit, an der alle Verlogenheit, mit der man ihr begegnete, abprallte. Ihr Verhalten erinnerte an das, was Jesus prophezeite: "Und wenn man euch abführt und vor Gericht stellt, dann macht euch nicht im voraus Sorgen, was ihr sagen sollt; sondern was euch in jener Stunde eingegeben wird, das sagt! Denn nicht ihr werdet dann reden, sondern der Heilige Geist."
Am 25. Februar sollte sie "zur Quelle gehen" und sich waschen. Bernadette fand nur Schlamm, ihr verschmiertes Gesicht rief Abscheu hervor, die Neugierigen wußten jetzt, daß sie betrogen worden waren, alle hielten sie für verrückt. Warum tat sie das? "Für die Sünder". Aber dem Schlammloch entquoll zunehmend klareres Wasser, es entstand die Quelle, die seither unerschöpflich fließt, wo seither so viel Heilung an Leib und Seele geschah.
Der Wunsch der Dame nach einer Kapelle und Prozessionen erweckte heftigen Widerstand des Pfarrers, er drängte darauf zu erfahren, wer diese Dame sei. Aber "Aquerò" lächelte nur auf diese Frage. Am 25. März, am Fest Maria Verkündigung, erhielt Bernadette die Antwort: "Que soy era Immaculada Councepciou - Ich bin die unbefleckte Empfängnis". Diese Antwort, die Bernadette hätte unmöglich erfinden können, traf den Pfarrer Peyramale wie ein Keulenhieb. Und auch die Wissenschaft erhielt plötzlich Klarheit durch eine Begebenheit, als während einer Erscheinung Bernadette die Hände, ohne es zu merken, über einer brennenden Kerze hielt. Der anwesende Arzt untersuchte sie nach der Ekstase und fand nicht die geringsten Spuren einer Verbrennung. Für Bernadette brach eine schwere Zeit an, sie wurde immer mehr von den Menschen bedrängt. Am 16. Juli 1858 erlebte Bernadette die letzte Erscheinung Mariens.
Es ist erstaunlich, daß Bernadette alle Verhöre, Bedrohungen und faulen Tricks überstand, ohne ihr Gleichgewicht und ihren Verstand zu verlieren. Sie antwortete immer ohne irgendeinen Plan und so knapp wie irgend möglich. Gegenüber der Wirkung, die sie mit ihren Anworten erzielte, blieb sie völlig gleichgültig, sie bemühte sich nicht zu überzeugen, und sie diskutierte nicht. Die einen hat sie gestärkt, die anderen erstaunt oder verwirrt. Bemerkenswert war auch ihre Gleichgültigkeit gegenüber den Wundern, den unerklärlichen Ereignissen im Zusammenhang mit der Quelle.
Zunehmend quälte Bernadette ihr Asthma, und doch sagte sie: "Es ist mir lieber, als Besuche zu empfangen". Und die kamen zu Hunderten, was für sie unerträglich, widerlich wurde. "Ihr zeigt mich her wie einen seltsamen Gegenstand".
Am 18. Jänner 1862 wurden die Erscheinungen vom Bischof als echt anerkannt: "Wir urteilen, daß die Unbefleckte Mutter Gottes Bernadette wirklich erschienen ist." Diese Entscheidung gründete sich auf die spirituellen Früchte der Vorgänge in Lourdes, die Heilungen und auf das aufrichtige Zeugnis von Bernadette.
Bereits seit dem März 1858 wußte sie, daß sie Ordensschwester werden wollte, aber auch, daß ihre Krankheit und ihre Armut ein schweres Hindernis darstellten. "Ich gehe nach Nevers, weil man mich nicht dorthin gelockt hat." Im Februar 1865 begann sie ihr Postulat.
Bei ihrer Ankunft in Nevers mußte Bernadette abermals ein öffentliches Zeugnis vor der ganzen Kommunität ablegen - zum letzten Mal, meinte sie. Die Wirklichkeit war dann leider ganz anders. Im August 1866 wurde sie wieder schwer krank, im Oktober war sie am Rande des Todes: "Der liebe Gott schickt es mir, also muß ich es annehmen." Da alle mit ihrem Ableben rechneten, legte sie ihre Profeß "in articulo mortis" ab.
Aber Bernadette starb nicht: "Gott hat mich nicht gewollt. Ich bin bis ans Tor gelangt, und er hat zu mir gesagt: Geh fort, es ist noch zu früh." In nichts unterschied sie sich von den anderen, es sei denn durch ihr gleichbleibend freundliches Wesen, ihre Genauigkeit, ihre Stille und besonders durch ihre Güte. Auch in der Strenge des Noviziates behielt sie ihre Fröhlichkeit und setzte damit ihre Mitschwestern in größtes Erstaunen. Ab 1867 wurde sie als Krankenschwester eingesetzt. Doch schwere Krankheitsschübe häuften sich, sie erbrach Blut und kam immer wieder in Todesgefahr.
Ab 1875 wurde sie immer mehr "unnütz", sie hatte "ihre Verwendung als Kranke gefunden". Zunehmend machte ihr ein Tumor am Knie und ihre Tuberkulose zu schaffen. Was besonders auf ihr lastete, waren ihre erzwungene Untätigkeit und dann ihre innere Not. "Immer auf der Krankenstation, immer ein Taugenichts". "Es ist sehr schmerzhaft, nicht atmen zu können, aber es ist noch viel schlimmer, von inneren Leiden geplagt zu sein. Das ist schrecklich."
Am 11. Dez. 1878 begann die letzte Station ihres Leidensweges, nicht nur mit unbeschreiblichen Schmerzen, sondern auch mit erneuten Befragungen - schließlich hätten einige Historiker ja etwas versäumen können. Am 16. April 1879 starb sie. Ihr unversehrter Leichnam ist im Kloster von Nevers aufgebahrt.
Steht man in Lourdes vor der Grotte, wo die Muttergottes der kleinen Bernadette begegnet ist, versteht man, daß das einer der Orte ist, wo Himmel und Erde einander in besonderer Weise berühren. Tief betroffen merkt man, daß dort die wirklich wichtigen nicht die Starken, Gesunden und Klugen sind, sondern die Armen: die Kranken und die Sünder - die, für die Jesus auf diese Welt gekommen ist. Wenn Bernadette auf ihrem Sterbebett im April 1878 sagte: "Versucht man die Dinge zu beschönigen, so verfälscht man sie", so meinte sie ihre Erlebnisse bei der Grotte.
Aber das gilt auch für uns und unser Leben. Jeder Mensch ist auf seine Weise arm, erlösungsbedürftig - es kommt nur auf die Offenheit seines Herzens an, ob er sich und Gott seine Armut eingesteht. "Wie glücklich meine Seele war, gute Mutter, als ich die Freude hatte, dich anzuschauen. Ja, du bist auf die Erde gekommen, um einem schwachen Kind zu erscheinen. Du hast dich dessen bedient, was in den Augen der Welt das schwächste war", schrieb Bernadette. Sie hatte erfaßt, daß ihre Armut, ihre Schwäche in jeder Hinsicht das Wirken Gottes geradezu "herabzog".