VISION 20002/2021
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Mehr Wunderglauben in der Politik

Artikel drucken Gedanken über die Würde des Menschen (Jan Ledóchowski)

Welcher aufgeklärte Mensch glaubt heutzutage noch an Wunder, wenn sogar so mancher Christ nur verschämt von den Heilungswundern Jesu spricht? Hinter jedem Wunder verbirgt sich für den „modernen“ Menschen nur Ignoranz. Freilich, diesem unersättlichen Drang, jedem Wunder auf die Spur zu kommen, verdanken wir großartige wissenschaftliche Erkenntnisse. Dafür zahlen wir aber auch einen Preis!
Wenn der prachtvollste Sonnenuntergang nicht mehr wunderschön ist, sondern bloß ein Ergebnis der Rayleigh-Streuung, wenn die tiefste Wahrheit allen Seins letztlich nur physikalische Prozesse sein sollen, dann ist alles banal und vergänglich. Dafür können wir es aber vermeintlich umso besser verstehen, kontrollieren und vielleicht sogar unseren Vorstellungen nach verbessern.
Nirgends ist dieser Konflikt offensichtlicher als beim Menschen. Als zoon politikon ist der Mensch auf das Zusammenleben mit anderen Menschen ausgerichtet. Die Ausrichtung der Politik ist ganz wesentlich davon bestimmt, ob der Mensch ein Wunder ist oder doch nur ein biologischer Zufall. Das Wunder ist ein Geschenk, das einem gegeben wird, das man in seiner Größe niemals ganz erfassen kann. Das Wunder Mensch hat deshalb eine Würde, die ihm keiner nehmen kann.
Trotz aller offensichtlicher Mängel, die uns allen innewohnen, wäre angesichts dieser geschenkten Würde der Versuch, den Menschen verbessern zu wollen, sakrilegisch, denn Bedeutung und Dimension unserer Existenz gehen über das Weltliche hinaus.
Ist der Mensch aber bloß ein zufälliges Produkt der Evolution, ein Mittelding zwischen dem Tier, das er war und dem transhumanen Lebewesen, zu dem er sich noch entwickeln soll, dann öffnet sich der Raum für die Politik ohne Wunder und ohne Respekt vor dem tatsächlichen Menschen. Dann ist der Mensch ein Modernisierungsprojekt und es wird verständlich, warum fortschrittliche Ideologen vom Glauben angetrieben werden, den Menschen verbessern zu müssen ohne an Grenzen der Biologie (z.B. Geschlechter) oder der Moral (z.B. Euthanasie oder Abtreibung) gebunden zu sein.
Darum können im Namen der Menschlichkeit (bzw. ihrer Verbesserung) die Menschenrechte ins Gegenteil verkehrt werden, um Forderungen gegen Menschen zu erheben. Prof. Ryszard Legutko, polnischer EU-Abgeordneter, stellt einen Vergleich mit dem Kommunismus an:
„Wenn wir den Kommunismus und die liberale Demokratie unter diesem Gesichtspunkt betrachten, werden wir entdecken, dass sie beide von der Idee der Modernisierung getrieben werden. In beiden Systemen entspricht dem Kult der Technik die Akzeptanz des social engineering als das angemessene Mittel, um die Gesellschaft zu reformieren, das menschliche Verhalten zu verändern und die vorhandenen sozialen Probleme zu lösen. Social engineering mag in den beiden Systemen ein unterschiedliches Maß und verschiedene Dynamik haben, aber was übereinstimmt, ist die Ansicht, dass die Welt der ständigen Konstruktion und Rekonstruktion bedarf. In dem einen System bedeutet das die Umkehrung der Fließrichtung sibirischer Flüsse, in dem anderen die Formung neuer Familienmodelle. Immer jedoch stellt sich heraus, dass die ständig zu verbessernde Natur nur als ein Substrat behandelt wird, das in beliebige Formen gepresst werden kann.“
Das Wunder in der Politik ist also mehr, als wider Erwartung gewonnene Wahlen. Es ist aber auch mehr, als Frieden, Wohlstand und Gerechtigkeit. Das Wunder ist die Voraussetzung für eine wirklich menschenfreundliche Gesellschaft für den Menschen, wie er ist und nicht wie er laut utopischer Ideen sein sollte. Darum braucht es Christen in der Politik.

Der Autor ist Sprecher für Christdemokratie im Wiener Rathausklub der Volkspartei.

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