VISION 20002/2021
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Der selige Noel Pinot

Artikel drucken Botschaft an uns (Von Dom Antoine-Marie OSB)

Am 23. Januar 1791, einem Sonntag, liest Abbé Noël Pinot, Pfarrer von Louroux-Béconnais in der Diözese Angers, in einer vollbesetzten Kirche die Messe: Pfarrvikar Abbé Mathurin Garanger steht oben im Chor, in den ersten Reihen haben der Bürgermeister und weitere Beamte der Gemeinde Platz genommen. Sie sollen am Ende der Messe beiden Priestern den Treue­eid auf die bürgerliche Verfassung des Klerus abnehmen.
Abbé Pinot geht in die Sakristei, um die liturgischen Gewänder abzulegen. Als man ihn holen will, erklärt er, sein Gewissen verbiete ihm, den Eid zu leisten. Dem Bürgermeister, der ihm daraufhin die Ausübung jeglichen kirchlichen Amtes untersagt, erwidert er, er sei von Gott und seiner Kirche ermächtigt und bleibe der legitime Pfarrer; ungerechten Gesetzen werde er sich nie beugen.
Abbé Pinot hielt Gott und seinem Gewissen bis in den Märtyrertod hinein die Treue und wurde 1926 von Papst Pius XI. selig gesprochen.
Noël Pinot kam 1747 in Angers (Westfrankreich) als 16. Kind seiner Familie zur Welt. In seiner frühen Kindheit hatte Noël den Mut sowie das arbeitsame, entbehrungsreiche Leben seines Vaters, eines Webermeisters, als Vorbild vor Augen. Während der Vater, der bereits 1756 starb, dem Jungen die Freude an gut gemachter Arbeit vermittelte, brachte ihm die Mutter das Beten bei. 1753 wurde der älteste Sohn der Familie, René, zum Priester geweiht. Noël vertraute ihm an, er wolle auch Priester werden. 1765 trat er mit 18 Jahren in das Seminar ein und wurde am 22. Dezember 1770 zum Priester geweiht.
In den folgenden zehn Jahren war Abbé Pinot in verschiedenen Pfarreien als Kaplan tätig. Über­all kümmerte er sich so liebevoll um die Armen und Kranken, dass er 1781 von seinem Bischof zum Seelsorger der Unheilbaren in Angers ernannt wurde. Seine besondere Sorge galt der Heiligung und Errettung der Kranken. Sie liebten ihn trotz seines jugendlichen Alters wie einen Vater.
Als die Pfarrei in Louroux-Béconnais vakant wurde, ernannte der Bischof von Angers Noël Pinot dorthin; sein Amtsantritt fand am 14. September 1788, dem Kreuzerhöhungsfest, statt. Die Gemeinde zählte über 3.000 Seelen und bestand aus weit verstreuten kleineren Ortschaften, durch schlechte Straßen miteinander verbunden. Der Pfarrer stand seinen Pfarrkindern Tag und Nacht zur Verfügung – auch, um ihnen materiellen Beistand zu leisten: Alles, was er besaß, verschenkte er aus Liebe zu den Armen. Die Erinnerung an seine Wohltaten und seinen Eifer lebte in Louroux lange nach seinem Tod weiter.
Nach Ausbruch der Revolution zog ein grollender Sturm am Himmel der französischen Kirche auf. Die verfassungsgebende Versammlung setzte einen Kirchenausschuss ein, der das kirchliche Leben in den Dienst des neuen Staates stellen sollte. Im August 1790 wurde die Zivilverfassung des Klerus verabschiedet. Das Gesetz sollte die zivile Macht in die Lage versetzen, der Kirche ohne Rücksicht auf das Recht des Papstes eine Änderung der Diözesangrenzen sowie der bischöflichen Rechtsprechung vorzuschreiben.
So wurden 52 von 135 Bistümern abgeschafft; Bischofsstühle und Pfarrstellen waren fortan durch Wahlen zu besetzen (jedes Departement wählte seinen Bischof, jeder Bezirk seine Pfarrer); jeder Einwohner hatte das Recht, abzustimmen (eine absurde Regelung, räumte sie doch auch Protestanten, Juden und Atheisten ein Stimmrecht ein). Der Bischof sollte seine Wahl dem Papst „als dem Oberhaupt der Weltkirche, in Bezeugung der Einheit des Glaubens und der ihm geschuldeten Verbundenheit“ zur Kenntnis bringen; Entscheidungen durfte er nur mit Billigung eines „ständigen Rates“ fassen.
In den folgenden Wochen wurden Proteste seitens der Bischöfe laut, die die Zivilverfassung nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren konnten. Vor einer definitiven Ablehnung wollten sie jedoch eine Stellungnahme des Papstes abwarten. Am 27. November verabschiedeten die Abgeordneten der Nationalversammlung noch ein Gesetz, das Bischöfe, Pfarrer, Kapläne, Seminarleiter und andere Kleriker im öffentlichen Dienst verpflichtete, einen Treueeid auf die Zivilverfassung zu leisten.
Priester, die den Eid verweigerten, wurden für abgesetzt erklärt; übten sie ihr Amt dennoch weiter aus, wurden sie belangt. Obwohl sich der Papst immer noch nicht geäußert hatte, beschloss der Pfarrer von Louroux, er werde den Eid nicht leisten.
Als nun der Bürgermeister die Weigerung des Pfarrers zur Kenntnis genommen hatte, lud er den Kaplan ein, den vom Gesetz geforderten Eid zu leisten. Abbé Garanger kam der Aufforderung am ganzen Leib zitternd nach; die einen verfolgten seine Worte mit eisigem Schweigen, die anderen mit ablehnendem Gemurmel. Noël Pinot ließ den Kaplan aber vorerst seine Aktivitäten in der Gemeinde fortsetzen.
Bald danach verurteilte Papst Pius VI. die Zivilkonstitution und erklärte sie für häretisch, da sie in mehreren Punkten die Rechte des Heiligen Stuhles beschneide. Abbé Garanger widerrief seinen Eid.
Schon zuvor war Abbé Pinot am 27. Februar am Ende der Sonntagsmesse noch einmal auf die Kanzel gestiegen. Ohne ein einziges verletzendes Wort legte er in einer wohlüberlegten Rede vor dem Tabernakel dar, warum er als katholischer Priester, der durch seinen Bischof dem Nachfolger Petri, dem alleinigen Oberhaupt der Kirche Jesu Christi, verpflichtet sei, am 23. Januar den Eid auf die Zivilverfassung verweigert hatte. Die Nationalversammlung habe nicht das Recht, vom Klerus einen Akt zu verlangen, der ihn vom Zentrum der Kirche entferne.
Da fuhr der Bürgermeister, der in der ersten Reihe saß, verärgert dazwischen: „Runter von der Kanzel! Du sagst uns, das sei eine Kanzel der Wahrhaftigkeit, und erzählst uns lauter Lügen!“ Die Gläubigen erhoben sich sogleich empört von ihren Sitzen.  
Der Gemeinderat aber verfasste umgehend einen Bericht an den Revolutionsgerichtshof von Angers und forderte die Verhaftung des „Brandstifters“ und „Störers der öffentlichen Ruhe“. Am folgenden Freitag kam – aus Angst vor der Bevölkerung in der Nacht – ein Kommando der Nationalgarde in das Dorf, um den Pfarrer zu verhaften. Er wurde gefesselt abgeführt; die Gruppe zog gegen Mittag in Angers ein, wo die Bevölkerung Abbé Pinot ihr Mitleid und ihren Respekt erwies. Er wurde verurteilt, zwei Jahre lang einen Mindestabstand von acht Meilen zu seiner Pfarrei zu wahren.
Im Juli 1791 zog der Abbé in die Nähe von Beaupréau, wo er sich der Seelsorge widmete und versuchte, die gezwungenermaßen im Exil lebenden Pfarrer zu ersetzen. 1793 durfte er schließlich im Zuge des Vendée-Aufstandes in seine Gemeinde zurückkehren.
Die Armee der Einheimischen hatte im März 1793 Saumur und Angers erobert und konnte die revolutionäre Armee für eine Weile in Schach halten. Noël Pinots Rückkehr nach Louroux wurde ein Triumph. Doch es handelte sich lediglich um eine kurze Aufheiterung zwischen zwei Stürmen. Denn die Armee der Vendéer wurde geschlagen und im Juni 1793 begann erneut eine Zeit der Verfolgung!
Der Nationalkonvent entsandte „Volksvertreter“ in den Westen, deren Macht keine Grenzen kannte und deren Schreckensherrschaft in der Provinz oft noch schrecklicher wütete als in Paris. Die Jagd auf renitente Geistliche war eröffnet. Noël Pinot musste sich verkleiden und als Geächteter leben. Er hätte wie viele andere ins Ausland fliehen können, aber er blieb bei denen, die Gott ihm anvertraut hatte. Die große Mehrheit seiner Pfarrkinder war ihm zwar treu ergeben, doch er wusste, dass ihm möglicherweise Verrat drohte. Er blieb trotzdem, weil seiner Meinung nach der gute Hirte nun für seine Schäfchen sein Leben aufs Spiel setzen musste.
Da die Pfarrei mit ihrem Heideland und ihren Wäldereien sehr weitläufig war, konnte sich Abbé Pinot gut auf abgelegenen Bauernhöfen verstecken. Die Gläubigen wachten sorgsam über seine Verstecke, die er jedoch oft wechseln musste, da die Nationalgarde von seiner Anwesenheit Wind bekommen hatte und immer wieder Hausdurchsuchungen vornahm. Tagsüber versteckte er sich in Scheunen und Ställen und verbrachte die Zeit mit Schlafen, Beten, Lesen und Schreiben.
Sobald es dunkel wurde, zog er los und brachte den Kranken die Sakramente – auch in die Nachbargemeinden, deren Pfarrer so gut wie alle inhaftiert, vertrieben oder bereits getötet waren. Er taufte die Neugeborenen, unterrichtete die Kinder, traf sich mit den Gläubigen, nahm ihnen die Beichte ab und spendete Trost. Um Mitternacht wurden die Vorbereitungen für die Messe getroffen: Die Gläubigen – die sich zusammen mit ihrem Pfarrer damit in Todesgefahr begaben – konnten so am heiligen Messopfer teilnehmen und die Kommunion empfangen. Das religiöse Leben lief also weiter, ähnlich wie einst in den Katakomben.
Abbé Pinot hielt das christliche Leben durch Katechese, Gebet und Sakramente aufrecht und hob dabei besonders die Notwendigkeit des gemeinsamen Betens in der Familie hervor.
Das Jahr 1794 begann mit Blut und Tränen. Robespierres Diktatur hatte ihren Höhepunkt erreicht. Jeglicher christlicher Kultus war untersagt. Der Wohlfahrtsausschuss hatte ein Dekret beschlossen, das für jeden aufgegriffenen Priester, der den Eid verweigert hatte, innerhalb von zehn Tagen die Todesstrafe vorsah. Auf solche Geistliche wurde ein hohes Kopfgeld ausgesetzt.
Noël Pinot hatte nun keinen Platz mehr, an dem er sich zur Ruhe betten konnte; sein ganzer Besitz, etwas Wäsche und das Nötigste für die Messfeier, passte in einen Beutel. Das Leid sowie die physischen und moralischen Prüfungen, denen er vom Sommer 1793 an standhalten musste, lockerten seine Bindung an die Erde; einzig seine Liebe zu Christus, sein Einsatzeifer für die Seelen und seine Zuneigung zu seinen Pfarrkindern ließen ihn weiterkämpfen.
Den Vorschlag, sich an einen fernen, ruhigeren Ort zurückzuziehen, lehnte ab. Er bereitete sich täglich auf den Tod vor und tröstete sich damit, dass er von seinen ergebenen Pfarrkindern nie verraten würde.
Am 8. Februar hielt sich Abbé Pinot im Dorf Milandrerie bei einer Witwe, Madame Peltier-Tallandier, auf. Als er am Abend im Garten Luft schöpfte, wurde er von einem Arbeiter namens Niquet, den er früher einmal großzügig unterstützt hatte, erkannt. Die Aussicht auf das hohe Kopfgeld ließ Niquet alle empfangenen Wohltaten vergessen: Er lief los, um Pinot zu denunzieren.
Die Nationalgarde umzingelte gegen 23 Uhr Haus. Bei der Witwe lag alles für die Messe Notwendige schon bereit, als plötzlich Schläge gegen die Tür donnerten. Es war gerade noch Zeit, den Priester in einer großen Truhe zu verstecken und die liturgischen Geräte verschwinden zu lassen, dann öffnete Madame Peltier die Tür. Das Haus wurde durchsucht, man fand jedoch nichts. Einer der zwangsverpflichteten Gardisten hob beim Hinausgehen zerstreut den Deckel der Truhe und ließ ihn mit bleichem Gesicht wieder fallen. Niquet hatte alles gesehen. „Du hast den Pfarrer gefunden,“ schrie er, „und willst ihn decken!“ Er hob den Deckel, und Abbé Pinot kletterte mit ruhiger Miene heraus, blickte dem Verräter in die Augen und richtete einen einzigen Satz an ihn, wie als Echo zu Getsemani: „Wie? Du bist es?“
Beschimpft und verprügelt, ließ sich Noël Pinot widerstandslos festnehmen. Sein priesterliches Ornat wurde ebenfalls beschlagnahmt. Er wurde nach Angers gebracht, wo er von dem Revolutionskomitee als „stark konterrevolutionär“ eingestuft und ins Gefängnis geworfen wurde.
Nach zehn Tagen Haft wurde Noël Pinot vor ein Revolutionsgericht gestellt. Ein verhängnisvoller Zufall wollte, dass an jenem 21. Februar ein abtrünniger Priester namens Roussel den Vorsitz führte. Nach der Urteilsverkündung schlug er dem Verurteiltem mit einem Blick auf das vor dem Gericht ausgebreitete Ornat vor: „Möchtest du nicht lieber in deinem Priestergewand unter die Guillotine gehen?“ – „Doch“, bestätigte der Glaubenszeuge ohne zu zögern, „das wäre mir eine große Genugtuung.“ – „Nun denn“, erwiderte der andere, „du wirst es anziehen und in dieser Aufmachung den Tod empfangen.“
Die Hinrichtung fand am selben Tag statt. Der Zug setzte sich in Bewegung, voran die Trommler, dann das Opfer in seinem Ornat. „Der Märtyrer betete in tiefer Andacht“, berichtete Abbé Gruget, ein papsttreuer Augenzeuge. „Sein Gesicht war ruhig, und von seiner Stirn strahlte die Freude der Auserwählten; man konnte die Dankeshymnen, die ihm aus dem Herzen quollen, gleichsam von seinen Lippen ablesen.“ Noël Pinot stand an jenem Freitag um drei Uhr (zur Todesstunde Jesu Christi) am Fuße des Schafotts.
Abbé Gruget erteilte ihm aus der Ferne die Absolution. Ein Trommelwirbel ... Das Fallbeil sauste nieder ... Das Opfer war vollbracht: Die Seele des guten Hirten war vor den Altar Gottes getreten! So starb am 21. Februar 1794 im Alter von 48 Jahren Abbé Noël Pinot, der Pfarrer von Louroux-Béconnais.
Möge uns Jesus Christus, der ewige Hohepriester, auf die Fürsprache des seligen Noël Pinot hin die Gnade gewähren, dass wir Ihm auch unter den schwierigsten Umständen die Treue halten!



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