VISION 20003/2021
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Berufen, als Priester zu dienen

Artikel drucken Ein Kapuzinerpater blickt auf seinen Weg in den Orden zurück (P. Markus Machudera OFMCap)

In Polen geboren, aufgewachsen und in den Kapuzinerorden eingetreten, hat P. Markus einen Großteil seines priesterlichen Lebens in Österreich und Südtirol  verbracht. Im Folgenden berichtet er über seine Berufung.

Mit der Vollendung des 60. Lebensjahres beginnt für mich und meine Altersgenossen statistisch gesehen die vierte und letzte Lebensphase. Ausbildung und die größten Erfolge des Lebens sind bei einem durchschnittlichen Menschen meistens vorbei, die Glaubens- oder Sinnfragen ge­löst. Der Charakter des Menschen wurde durch sechs Jahrzehnte gebildet. Das Eigenkapital, Intellekt und Talente, mit denen man auf die Welt gekommen ist, wurden durch die Eltern, die Familie, durch Lehrer und Schulen zur Reife für das Erwachsenenleben gebracht.
Die Mehrheit in unserem Land wurde in der katholischen Kirche getauft, hat Erstbeichte, Erstkommunion und Firmung empfangen. Die meisten praktizieren den Glauben danach nicht mehr und leben so, als ob es keinen Gott gäbe, als könnte Er in ihrem Leben nichts Positives beitragen.
Mit solchem Familienhintergrund ohne Gott kommt sicher nie die Idee auf, den Dienst in der Kirche als Ordensfrau, Ordensmann oder Priester zu wählen. Und so  gibt es in den meisten Orden keine neuen Berufungen. Im Brunecker Kloster, wo ich jetzt wirke, war Ende 2020 das Durch­schnitts­alter der sechs Südtiroler Brüder (ohne mich) 82,7 Jahre. Wir sind ein Seniorenkloster, aber noch eine Gebetsoase. Weil wir im Kloster mehrere Priester sind, bieten wir den Gläubigen als einzige Kirche im Pustertal jeden Tag zwei Messen, eine Eucharistische Andacht, das Rosenkranzgebet und Beichtgelegenheit an.

Jesus kenenlernen,
Sein Freund werden
Als Bub war ich der Überzeugung, dass Gott und das Frommsein warten können. Eines Wochentages im Winter sagten mir die Eltern, dass ich die Oma am Abend in die Kirche begleiten solle. Ich war vielleicht elf und nicht recht glücklich darüber, aber ich gehorchte. Unterwegs dachte ich mir. „Wenn ich alt werde, werde ich vielleicht auch so oft in die Kirche gehen, aber nicht jetzt.“
Als ich jedoch 21 Jahre alt war, hat Gott mir die Berufung zum Orden und Priestertum geschenkt. Und so feiere ich seit fast 40 Jahren jeden Tag die Heilige Messe – zuerst als Seminarist und ab 1989 als Priester.
Nach der zweiten Klasse HTL hatte unser Religionslehrer Bruder Adam – damals ein junger Kapuziner - mich und einige aus unserer Klasse zum Sommerlager der Bewegung „Licht und Leben“ geschickt. Das waren 15-tägige Exerzitien mit täglichen Heiligen Messen, Bibellesen und Wanderungen mit dem Ziel, Gott in der Natur zu entdecken. Ich hatte zwar ein Neues Testament als Erstkommuniongeschenk bekommen, es aber noch nie in die Hand genommen. Am Ende der Exerzitien waren wir eingeladen, zu Hause das Evangelium zu lesen. Ich nahm diese Empfehlung ernst.
Das war der erste persönliche Kontakt mit Jesus. Ich und Jesus, ich und Seine Worte. Beim ersten Mal, als ich zufällig das Neue Testament aufschlug, las ich die Worte über das Urteilen: „Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet! (…) Warum siehst du den Splitter im Auge deines Bruders, aber den Balken in deinem Auge bemerkst du nicht?" (Mt 7,1.3) Ich dachte darüber nach und war erstaunt über diese Weisheit. So entstand der Wunsch, Jesus weiter „zuzuhören“ und von Ihm zu lernen.
In den nächsten Jahren betrat ich vor dem Unterricht fast immer die Pfarrkirche, die auf halbem Weg zwischen unserer Wohnung und der Schule liegt, und las einige Minuten aus dem Evangelium. Mein Staunen und die Bewunderung für Jesus sind dabei gewachsen. Einmal überlegte ich, wer eigentlich mein bester Freund sei, und kam zur Überzeugung, es sei Jesus. Zwar konnte ich Ihn physisch nicht erleben, aber im Geiste und im Gebet war Er da. Ich konnte mich Ihm anvertrauen und war sicher, dass Er mich nie enttäuschen wird.

Zu Fuß wallfahren nach Tschenstochau
Im Sommer nahmen wir an der neuntägigen Fußwallfahrt von Warschau nach Tschenstochau (ca. 250 km) teil. Diese Form des Gebets mit den Füßen gibt es seit 1711 als Danksagung nach dem Aufhören der Pest, die 30.000 Opfer in Warschau gefordert hatte. Ich pilgerte mit meiner Pfarre fünf Mal in den Jahren 1978-1982. Die Gruppe aus unserer Pfarre zählte ca. 50 Jugendliche. Die ganze Wallfahrt in diesen Jahren versammelte zwischen 30.000 bis 50.000 Pilger. Wir waren in kleine Gruppen bis zu 500 Gläubige eingeteilt. Es gab jeden Tag in der Früh eine hl. Messe, unterwegs Gesänge, Rosenkranzgebete, geistliche Konferenzen, Beichte, Aussprachemöglichkeiten. Am 15. August gab es dann für alle eine hl. Messe im Freien unter dem Vorsitz des Erzbischofs von Warschau. Meine Teilnahme an diesen fünf Wallfahrten bedeutete für mich Lebensexerzitien.

Medizin studieren –
und heiraten?
1981, gleich nach der Matura wollte ich Medizin studieren. Arzt zu werden, war mein Kindertraum. Mit 15 wurde mir nach der Hauptschule geraten, eine Schule mit Berufsausbildung, eine HTL mit dem Spezialgebiet Elektronik zu wählen. Das habe Zukunft, hieß es. Nach zwei Jahren wusste ich aber, dass das nicht das Meine ist. Schulwechsel und Verlust von zwei Jahren kamen jedoch nicht in Frage.
Wieder dachte ich an Medizin. Da wir in der HTL keinen Biologieunterricht hatten, versuchte ich parallel zur Matura Biologie zu lernen. Beim Aufnahmetest für das Medizinstudium kamen damals sechs Kandidaten auf einen Studienplatz. Natürlich hatte ich keine Chance im Vergleich zu den Gymnasiasten, die jede Woche einige Stunden Biologieunterricht hatten.
Vielleicht versuche ich es in einem Jahr wieder, dachte ich. Wenn man nicht studierte, wurde man jedoch zum Militärdienst einberufen. Deswegen machte ich im Herbst die Aufnahmeprüfung an der Technischen Universität in Breslau mit Richtung Elektronik und bestand sie. Nach einem Jahr wusste ich wieder: Ich kann nicht fünf Jahre lang etwas studieren, was mir zwar leicht fällt, mich aber überhaupt nicht interessiert. Auch konnte ich mich als Technik-Student nicht auf Medizin vorbereiten.
Ich hatte einige gute Freundschaften mit Kolleginnen, aber keine große Liebe. Es war eine Pattsituation. Die zwei wichtigsten Perspektiven schienen mir damals als Sackgassen: Ein Medizinstudium und große echte Liebe.
In der HTL hatte ich im Stillen auch die Möglichkeit gesehen, in den Kapuzinerorden einzutreten, hatte jedoch auch Bedenken. In unserer Pfarre gab es zwei ältere Kapuziner: P. Medard war fröhlich, kontaktfreudig und bei allen beliebt. P. Wieslaw war jedoch skurril und manchmal sogar boshaft. Als Jugendlicher überlegte ich ernsthaft, ob solche Skurrilität die Folge eines Lebens ohne Familie und der Einsamkeit sein könnte.
Ein anderes Bedenken, das mich beschäftigte, war die Perspektive des Lebens ohne Frau und ohne Familie. Würde ich das schaffen? Ich stellte mir vor, dass ich vor einer Glaswand stehe, und dahinter befindet sich alles, was eine Frau ausmacht. Kann ich überhaupt ohne Liebe zu einer Frau ein erfülltes leben führen? Gott hat uns als Frau und Mann erschaffen und in die Herzen der beiden die Liebe als die erste und schönste Berufung eingeschrieben. Es gibt jedoch den Hinweis Jesu von einem ehelosen Leben wegen des Himmelreiches (vgl. Mt 19,12}, das die Priester und Ordensleute gewählt haben und sie erfüllt hat. So kam ich zur Überzeugung, dass das ehelose Leben möglich sei.

Berufung – Eintritt bei den Kapuzinern
Nach der letzten Wallfahrt nach Tschenstochau entschied ich mich, in den Orden meiner Religionslehrer, d.h. der Kapuziner, einzutreten und bat im September 1982 in Krakau um Aufnahme. Das Aufnahmegespräch fand in einem Sprechzimmer vor der Pforte statt. Der Provinzial, P. Celestin Giba, fragte mich nach meinem Motiv, und ich gestand ihm ehrlich, dass ich noch nicht sicher sei, ob ich eine Berufung habe, aber dass ich das Ordensleben ausprobieren möchte. Seine Antwort: „Das ist zu wenig.“ Ich erklärte ihm meine Bedenken, worauf er zu meiner Freude sagte: „Gut. Dann probiere es!“
Am 1.Oktober kam ich ins Noviziatskloster in Sędziszów Mlp. über 100 km östlich von Krakau. Dort waren bereits 16 Novizen, drei wollten Laienbrüder werden, der Rest wollte studieren und Priester werden. Wir wurden alle in die Kutte eingekleidet und bekamen eine weiße Schnur ohne die drei Knoten, die die Bindung an den Orden durch drei Gelübde bedeuten: Gehorsam, Armut und Keuschheit. Der Tag begann um 5.20 Uhr und um 22.00 Uhr musste man das Licht ausschalten. Täglich gab es dreimal Breviergebete, Heilige Messen in der Früh und am Abend, vormittags Studium, nachmittags Arbeit im Garten oder Fußball. Kein Radio in der Zelle (so heißen die Zimmer im Kloster), fernsehen konnte man nur bis 21.00 Uhr mit Erlaubnis des Novizenmeisters. Telefonate mit der Familie gab es keine. Meine Eltern hatten damals kein Telefon. Briefe sollte man offen vor der Absendung dem Oberen vorlegen.
Einmal wöchentlich durfte man mit einem zweiten Novizen einen Spaziergang außerhalb des Klosters machen. Das schien alles unmöglich, aber es ging um die Trennung vom bisherigen Leben, um richtig ins Ordensleben einzusteigen.

Entscheidung
Ehrlich gesagt, ich tat mir schwer mit so einem Lebensstil. Oft überlegte ich, ob ich weiter bleiben sollte. Wenn ich aber weggehe, was tue ich dann? Diese Alternative erfüllte mich nicht mit Freude.
Nach ca. 4 Monaten im Kloster sprach ich mit dem Oberen über die Absicht, das Noviziat zu verlassen und erklärte ihm, womit ich mir schwertat. Er sagte ungefähr: „Aller Anfang ist schwer.“ Er ahnte meine Intention und ergänzte: „Du möchtest, dass ich dir sage: ,Natürlich, wenn es so ist, dann geh weg.’ Aber das kann ich nicht tun. Du musst die Entscheidung selbst treffen.“ Ach, dachte ich, er hatte recht. Interessanterweise waren nach diesem Gespräch alle meine Bedenken nach und nach wie weggeblasen. Die Zweifel verließen mich, und ich erlangte wieder den inneren Frieden und die Lebensfreude, die mich weiter durch das sechsjährige Studium in Krakau begleiteten.

27 Jahre in Österreich und Südtirol
Zweifel an meiner Berufung kamen nie mehr wieder, auch wenn einige Mitnovizen und Studenten den Orden verlassen haben. Ich legte zuerst das zeitliche Gelübde für ein Jahr und 1988 die ewige Profess ab. Am 27. Mai 1989 wurde ich in Krakau zum Priester geweiht. Fünf Jahre arbeitete ich in Polen als Religionslehrer am Gymnasium, an Volks- und Hauptschulen und in unserem Ordenspriesterseminar in Krakau als Präfekt.
Ab Sommer 1994 war ich 20 Jahre lang in Österreich in unseren Kapuzinerklöstern in Wiener Neustadt, Knittelfeld, Wolfsberg und Wien tätig, wirkte als Beichtvater, Krankenhaus-Seelsorger und Pfarrer. In Wien konnte ich auch innovative Aktionen durchführen: Ausgestattet mit einer Beichtweste warb ich für das Sakrament der Versöhnung in der Fußgängerzone, ebenso mit Beichtgutscheinen und in den Jahren 2006 bis 2011 an den Sonntagen im Sommer mit einer Einsiedelei auf der Donauinsel. Die letzten sechs Jahre leitete ich unser Kloster in Bruneck (Südtirol), wo seit vier Jahren jeden Freitag der Abend der Barmherzigkeit stattfindet. Ich freue mich, dass ich als Priester und Ordensmann ein erfülltes Leben führen kann, und bete jeden Tag um die Gnade, ein würdiges Werkzeug Gottes zu sein.


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