VISION 20005/2021
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Licht in einer sterbenden Kultur

Artikel drucken Erinnerung an einen Abend in London (Joanna Bogle)

In der heutigen Krise, in der die Dekadenz auf breiter Front vor­an­schreitet, sind Christen auf­gerufen, beharrlich, aber liebe­voll Zeugnis zu geben, damit Menschen die Chance bekommen, aus ihren Verirrungen her­auszufinden. Im Folgenden ein Beispiel für ein solches Zeugnis.

Ich empfinde Ihre Anwesenheit als sehr anstößig.“ Indem sie ihren Weg durch die Menschenmenge bahnt, herrscht mich eine junge Frau an. Was ich da tat, war ihr gar nicht recht: die Leute in die Kirche einzuladen, um eine Kerze anzuzünden.
Im Grunde genommen hatte sie ein Problem mit der Vielfalt, heute „Diversity“ genannt. Ihrer Erklärung nach hatte sie das Gefühl, dass sich nur Leute, die ihre Spezialansichten teilten, sich an diesem Tag in dem Londoner Park aufhalten dürften. Da sie annahm, dass ich ihre Sichtweise nicht teilte, meinte sie, das Recht zu haben, mich wegzuweisen. Worauf ich natürlich nicht einging. Auch in eine Diskussion habe ich mich nicht eingelassen.
Die Kirche – untypisch alt für katholische Kirchen in London – befand sich hier, lange bevor die jungen Leute da ihren Marsch für „Trans-Rechte“ zelebrierten. Und sie wird auch nach vielen weiteren solchen Veranstaltungen dort stehen – so Gott will. Als eine im 18. Jahrhundert erbaute Kirche – damals war die Gegend ein halb landwirtschaftliches Elendsviertel, das ein in der vorreformatorischen Zeit eingerichtetes Spital beherbergte –, hat sie schon viel Geschichte erlebt.
Die große Menschenschar im Park war überwiegend jung, laut, wohlhabend und gesund. Unmengen von Getränken und Essen wurden konsumiert. Lautes Schreien und Kreischen beantworteten die Slogans, wenn Spruchbänder oder Poster über der Menge erschienen. Die Stimmung war aufgeheizt, erfüllt von Begeisterung und berauschender Wonne, die sich einstellt, wenn man sich mit anderen in einem gemeinsamen Glauben und Tun von etwas äußerst Bedeutsamem und Beglückendem vereint fühlt.
Es war eine warme Nacht. Die Kleidung, bzw. deren Mangel, ließen es erkennen. Viele englische Jugendliche sind übergewichtig, und das sah man auch hier. Auch die Kleidung war eine Botschaft: Männer mit Rüschen und Kränzchen sowie Mädchen mit Tattoes, die ihre sexuellen Präferenzen zum Ausdruck brachten.
Die nahegelegene Kirche schimmerte, ihre Tore standen offen, man sah das Willkommen verheißende Kerzenlicht im Inneren und das Allerheiligste auf dem Altar. Obwohl sie sanft war, drang die Musik dennoch irgendwie hinaus und war trotz des Tumults rundherum zu hören. Das war es meiner Ansicht nach auch, was meine Beschwerdeführerin wohl gestört hatte. Wir feierten erstmals „Night Fever“, seitdem es wieder nach dem von der Regierung verordneten Lockdown erlaubt war, solche Feiern zu veranstalten. Die Idee von Night Fever ist einfach: Leute kommen zum Gebet zusammen und ein Team geht mit Laternen hinaus und lädt Vorbeikommende ein, in die Kirche zu kommen.
An diesem Abend taten dies, wie üblich, auch viele. Viele aber auch nicht. Und im Zuge dieser Einladungen gab es seltsame und ergreifende Begegnungen. Eine kleine Gruppe ging zwar bis in den Vorraum der Kirche, gab dann aber ihre Kerzen zurück mit der Bemerkung, letztendlich wollten sie doch nicht hineingehen. Öfter bekam man einfach die Antwort: „Ich bin nicht religiös“ oder: „Ich mag die Kirche nicht“. Da gab es aber auch Antworten, die einen tief sitzenden Mangel an Selbstwertgefühl oder Verwirrung zum Ausdruck brachten: „Sie mögen mich ja gar nicht.“ Oder: „Ich weiß, Sie alle hassen mich.“
Diese letzte Antwort ist wie eine traurige Mahnung: So sehr wir uns auch bemühen, die authentische Lehre der Kirche über die menschliche Liebe, die sexuelle Vereinigung und die Bedeutung von all dem zu lehren – nur allzu oft hören junge Leute nur das heraus: „Die Kirche hasst die Schwulen.“ Diesen Slogan bringt man leicht unter die Leute, und es ist schwer, ihn zu beseitigen.
Und es ist durchaus nicht hilfreich, wenn nun Aktivisten diese Betroffenheit zum Anlass nehmen, die Kirche dazu zu drängen, ihre Wahrheit aufzugeben und wenn sie eine ganz andere Botschaft und Agenda forcieren. Ebenso wenig hilft es, einfach nur die Lehre der Kirche zur Homo­sexualität zu betonen: Ja, es gibt Zeiten und Orte, an denen man das tun soll, aber es ist durchaus nicht der erste Ansatz in einem Gespräch – selbst wenn die verärgerte und verwundete Person das gern so hätte, um erwidern zu können, wie viel Verletzung diese Klarstellung schon verursacht habe.
Es ist nur allzu offensichtlich, wie viel Gebrochenheit unter den jungen Leuten bei solchen Veranstaltungen anzutreffen ist. Das lässt sich nicht rasch und einfach heilen. Das lässt sich wirklich nur im Gespräch mit jeder einzelnen, einsamen unglücklichen Seele angehen, mit viel Gebet und Zuwendung. „Sie wissen nicht, dass sie geliebt werden und liebenswert sind,“ sagte ein Priester ganz allgemein über diese Jugendlichen, als er über das Thema sprach. Er erzählte die Bemerkung eines Jungen: „Ich bin eine Verhütungspanne… Eigentlich sollte es mich gar nicht geben.“ Vielen fehlt das natürliche Selbstverständnis, dass sie ein Recht auf Leben haben: Da muss man ihnen helfen, das irgendwie mitzubekommen, wie Papst Benedikt XVI. es zum Ausdruck brachte: „Jeder von uns ist geliebt, jeder von uns unersetzlich.“
Night Fever schließt mit dem Segen. Und bevor die Teams heimgehen, gibt es meist eine Nachbesprechung. Da werden Gebetsanliegen vorgebracht und einige Erlebnisse geteilt. Das findet in der Krypta der Kirche statt, während die Kirche für die Messen des nächsten Tages vorbereitet wird. Einige essen noch rasch eine Pizza, bevor sie eine späte U-Bahn oder einen Bus nehmen.
Der Park war immer noch gerammelt voll und laut, als ich mir den Weg zur U-Bahn-Station bahnte. Erstmals in meinem Leben blitzte in mir die Vorstellung auf, was die Christen im Rom des ersten Jahrhundert wohl erlebt haben dürften, mitten in einer sterbenden Kultur.

The Catholic World Report v. 29.6.21.


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