Meinungsumfragen kommen zu dem Ergebnis, dass die Menschen heute mehrheitlich pessimistisch sind, was ihre Zukunftsaussichten anbelangt. Jeder vierte EU-Bürger gab an, sich in der Pandemie einsam gefühlt zu haben. Meldungen, dass der Gemütszustand von Kindern und Jugendlichen besorgniserregend sei, machen die Runde: „Gut jeder sechste Jugendliche hat in der Pandemie Suizidgedanken“, meldete der Kurier im März des Vorjahres. Wir leben offensichtlich in schwierigen Zeiten und stehen vor der Frage: Geht uns die Lebensfreude verloren?
Da wir Christen nicht auf einer Insel leben, sondern weil das Geschehen und die allgemeine Stimmung uns beeinflussen, betrifft uns diese Frage nach der Lebensfreude ebenfalls. Auch wir sind dem Bombardement mit besorgniserregenden Meldungen ausgesetzt, haben Kinder, Enkel und alte Verwandte, um die wir uns sorgen, auch wir merken, dass Arbeitsplätze gefährdet sind und erleben, dass es in einigen Situationen besser ist, seine Meinung nicht frei heraus zu sagen.
Liest man dann auch noch, dass ein Drittel der Landoberfläche der Erde aus Wüsten besteht, die sich jährlich um die Fläche Bayerns ausdehnen, dass im Pazifik ein Plastikmüllteppich von 20 Millionen Quadratkilometern (240 Mal so groß wie Österreich) treibt und dass neun von zehn Erdenbürger eine gefährlich mit Schadstoffen belastete Luft einatmen (Die Tagespost v. 23.12.21), so trägt das nicht zur Beruhigung bei.
Was also tun? Verzagen? Rückzug in die eigenen vier Wände? Geht nicht. Ist keine Lösung in unserer so intensiv verflochtenen Welt. Und den Lauf der Dinge beeinflussen – wer traut sich das denn als kleines Rädchen im Getriebe zu?
Und dennoch bin ich überzeugt: Weil viele heute spüren, dass es so wie bisher nicht weitergeht, halten sie Ausschau nach Hoffnungszeichen. Wäre es da nicht unsere Aufgabe als Christen, solche Hoffnungszeichen zu sein?
Schließlich kennen wir den, der am Ende Seiner Anwesenheit auf Erden Seinen Jüngern zugesagt hat: „Mir ist alle Macht gegeben im Himmel und auf der Erde…“ (Mt 28,18) Wohlgemerkt: Alle Macht! Jesus Christus verfügt also zweifellos auch über die Macht, in unserer Zeit eine lebensträchtige Erneuerung in Gang zu setzen. Allerdings setzt das voraus, dass Er Mitstreiter, Jünger findet, die Ihm machtvolles Handeln auch zutrauen.
Wir stehen somit vor der Frage: Glauben wir daran, dass der lebendige Gott der mächtigste und wichtigste Akteur auf der Bühne der Weltgeschichte ist? In einer Zeit, die Gott aus dem öffentlichen Leben verabschiedet hat, klingt das für die meisten Menschen heute befremdlich. Das glaubte man vielleicht im Mittelalter. Aber wir Christen – glauben wir das? Ehrlich gesagt: Auch den meisten von uns fällt das schwer. Zwar rufen wir Ihn in Notsituationen gern um Hilfe an. Und wir erwarten dann, dass Er etwas Außergewöhnliches tut, also ein Wunder wirkt. Klarerweise kann auch das geschehen. Unzählige Erfahrungen im Leben der Menschen, auch in unseren Tagen (siehe das Zeugnis Seite 24-25), bestätigen das.
Aber das ist es nicht, was damit gemeint ist, wenn wir davon reden, dass Gott in der Geschichte wirkt. Er wirkt nicht nur in Ausnahmesituationen, sondern Er begleitet und steuert das gesamte Geschehen – aber in geheimnisvoller Art und Weise, auf die wir keinen Zugriff haben. Er sagt es uns unmissverständlich: „Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken und eure Wege sind nicht meine Wege – Spruch des Herrn. So hoch der Himmel über der Erde ist, so hoch erhaben sind meine Wege über eure Wege und meine Gedanken über eure Gedanken.“ (Jes 55, 8f)
Und dass die Gedanken Gottes auch Konsequenzen auf Erden haben, liest man gleich danach: „So ist es auch mit dem Wort, das meinen Mund verlässt: Es kehrt nicht leer zu mir zurück, sondern bewirkt, was ich will, und erreicht all das, wozu ich es ausgesandt habe.“ (Jes 55,11) Wie gesagt: Jesus Christus ist alle Macht gegeben – im Himmel und auf Erden.
Der Engpass, dass sich das Heilswirken Gottes nicht deutlich erkennbar vor uns entfaltet, sind wir Christen. Wir sind zu verweltlicht. Wir vertrauen eher auf die menschlichen Errungenschaften, auf Wissenschaft und Technik, Expertengremien und internationale Kooperation. Klar, all diese Akteure treiben auch unsere Geschichte voran, weil Gott uns Menschen Freiraum einräumt und uns nicht gängelt. Aber Er bleibt deswegen nicht inaktiv.
P. Hans Buob findet klare Worte, um auszudrücken, wie sich die christliche Sichtweise auf das Weltgeschehen darstellt: „Die ganze Weltgeschichte ist Heilsgeschichte. Es gibt keine Geschichte neben der Heilsgeschichte! Wenn ich davon ausgehe, dass Gott, der Schöpfer des Himmels und Erde, Vater ist und alles auf den Menschen hin geschaffen hat, dann kann es doch nichts neben Gott geben, nichts, auf dass er nicht Einfluss hat. (…) Der ganze Sinn der Schöpfung, der Sinn meines Lebens ist, mich für Gott, für mein Glück in Seiner Liebe zu entscheiden.(…) Wer sagt, es gäbe Ereignisse, die an Ihm vorbeilaufen, der spricht von einem Gott, der nicht der Allmächtige ist.“ (Vision 1/21)
Es geht für uns also darum, diese Sprache Gottes verstehen zu lernen. Und das geht nur, wenn wir Ihm den ersten Platz im Leben einräumen und uns entsprechend Zeit nehmen, auf Ihn zu hören, uns von Ihm formen zu lassen. Meinem Eindruck nach hat die Corona-Krise dazu beigetragen, dass die Bereitschaft der Christen gewachsen ist, Gott mehr Platz in ihrem Leben einzuräumen, dem Gebet mehr Raum zu geben. Die zahlreichen Gebetsinitiativen, die in den letzten Wochen entstanden, weisen darauf hin und sind ein Hoffnungszeichen.
Der Tiroler Dechant Ignaz Steinwender, einer der ersten, der zum öffentlichen Gebet aufgerufen hat, erläuterte in einem kath.net-Interview die Bedeutung dieser Initiative: „Die Kirche ist in dem Maß Kirche, in dem sie betet. Die Gebetsbewegung hat das Ziel, Gott mit der Hilfe Marias näherzukommen, sich und das jeweilige Land dadurch unter den Schutz der Vorsehung Gottes zu stellen und die Macht des Bösen einzudämmen. Letztlich geht es um eine geistige Wende, weshalb das Gebet vom Geist der Umkehr, von Buße und Sühne begleitet werden soll.
Das Ziel der Gebetsbewegung ist, in allen gegenwärtigen Anliegen mit der Hilfe der Gottesmutter eine Stärkung im Glauben und in der Hoffnung sowie ein neues Wachstum in der Liebe zu erfahren bzw. zu bewirken. Christen sollen öffentlich Zeugnis davon geben. Eine Frucht des Gebetes ist die Freude, die Freude am Herrn, die Freude an der Wahrheit, die Freude am Miteinander. Alles andere wie Freiheit, Einheit, Friede etc. wird uns dazugegeben werden!“
Damit wird ein entscheidender Punkt angesprochen: die Freude. Wir Christen dürfen auch in Notzeiten Freude erfahren, insoweit wir der Überzeugung in uns Raum geben, dass Jesus, dem alle Macht gegeben ist, unser Leben letztlich und trotz allem zum Guten lenkt. Der Apostel Paulus ermutigt uns ausdrücklich dazu: „Freut euch im Herrn zu jeder Zeit! Noch einmal sage ich: Freut euch!“
Halten wir fest: Zu jeder Zeit. Und diesen Brief hat der Apostel aus dem Gefängnis geschrieben, im Alten Rom zweifellos ein Ort, der nicht zum Überschwang eingeladen haben dürfte. Wenn, in schwierigen Zeiten Freude auszustrahlen, zum Markenzeichen der Christen werden sollte, ist das ein Signal an die Welt, dass Jesus machtvoll auch in unseren Tagen wirkt. Es ist die beste Werbung dafür, Sein Jünger zu werden und zu befolgen, was Er geboten hat und damit beizutragen, dass die Erde erneuert wird.