Reich beschenkt und liebevoll umsorgt verlasse ich die Wohnung von Elisabeth und Enzo Caruso im 11. Bezirk in Wien. Welche Freude, dass ich die Salzburgerin und den Sizilianer kennenlernen und interviewen durfte. Als sie mich beim Abschied auch noch zur U-Bahn begleiten wollen, damit mir nichts passiert, bin ich wirklich gerührt. Schon ihr Empfang mit Bäckerei und Gugelhupf fand ich rührend, kannte ich sie doch kaum. Kann man anders, als die Carusos sofort fest ins Herz zu schließen? Nein, definitiv nicht. Erstmals sah ich sie beim „Missio-Award“ für besondere missionarische Einsätze vor einigen Wochen. Damals war ich tief beeindruckt von dem, was sie von ihren Einsätzen in Benin und Madagaskar erzählt haben.
Elisabeth ist im Pinzgau, Enzo in Sizilien geboren. Beide kommen aus sehr gläubigen Familien. Elisabeth erzählt: „Wir sind sehr bescheiden aufgewachsen und wurden religiös erzogen. Die Großmutter hat immer gesagt: ‚Der größte Reichtum ist das Gottvertrauen und Zufriedenheit. Wenn wir das haben, kann nichts schief gehen’.“ Enzo ist, sage und schreibe, die Nr. 11 von 14 Geschwistern. Über seine Mutter spricht er sehr liebevoll. „Sie hat wahre Wunder für ihre Kinder vollbracht, war kämpferisch und hat es geschafft, für jedes Kind das Richtige zu finden.“ Und weiter: „Wir sind in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen. Der Vater, Chef-Mechaniker, hatte einen verantwortungsvollen Posten im Hafen.“ Durch einen Eisensplitter verliert er ein Auge und kriegsbedingt später auch die Arbeit.
Als Enzo drei Monate alt ist, übersiedelt die Familie nach Mailand, wo der Vater eine Arbeit findet und Enzo in die Schule geht. Ab 1963 macht er bei missionarischen Einsätzen der Lazaristen auf Madagaskar mit und lernt die Menschen dort schätzen. Auch Elisabeth arbeitet schon als junge diplomierte Krankenschwester in einer Ambulanz in Madagaskar. Beide lernen sich in Italien kennen und heiraten 1977 in Mailand, landen dann aber in Wien, wo Enzo die Ausbildung zum diplomierten Krankenpfleger mit Auszeichnung absolviert.
„In einem Büro sitzen, wäre nichts für mich gewesen. Ich wollte immer schon für kranke Menschen da sein,“ betont er. Er und seine Frau arbeiten beide im Lainzer Spital.
Als Elisabeth in Pension geht – ein großer Sprung in der Geschichte – beschließen die Carusos, in einem afrikanischen Land Jesu Auftrag „Geht, heilt Kranke und verkündet die Frohbotschaft“ umzusetzen. Die Kamillianer, die sie vom Spital her kennen, schicken sie als Laienmissionare nach Benin. Dort wirken im Lepradorf Davougon bereits zwei Kamillianer. Enzo bekommt eine Spezialausbildung zum „Leprologen“ und kümmert sich von da an um die Betreuung der Leprakranken. Elisabeth übernimmt die Arbeit in der allgemeinen Ambulanz, wo unterschiedlichste Krankheiten behandelt werden.
Der schreckliche Gestank der Leprakranken, die verstümmelt, zum Teil mit entstellten Gesichtern, manche blind vor dem Behandlungsraum am Boden sitzen, ist für Enzo zunächst ein enormer Schock, den er überwinden muss, denn die Kranken warten schon. Also nimmt er all seinen Mut zusammen: „Respektvoll nahm ich ihre verstümmelten Finger in meine Hände, begrüßte sie auf Französisch: Bonjour. Ich spürte, die Aussätzigen brachten mir große menschliche Wärme entgegen. Das tat wohl und verlieh mir innerlich Kraft.“ So säubert und verbindet er beim ersten Patienten dessen Fuß, „der nicht viel mehr war als ein stinkender Klumpen: eine faulende Wunde, die bis auf die Knochen klaffte.“
An die 1.000 Leprakranke wird er im Lauf der nächsten 15 Jahre betreuen und behandeln. Die meisten von ihnen können nach Ende der medikamentösen Kombinationstherapie gesund nach Hause gehen. Schon beim ersten denkt er an die Stelle im Evangelium: „Was ihr dem Geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“ Und so versorgt er lächelnd die stinkenden und faulenden Füße des Herrn und hofft, dass dieser sich einst im Jenseits daran erinnert. Einmal spendet Enzo einem Patienten, der unter starken Blutungen leidet, weil er dieselbe Blutgruppe hat, in der Not sein eigenes Blut… Ja, Berührungsängste haben die Carusos keine, sonst hätten sie gleich wieder umkehren müssen, bestätigt Elisabeth lächelnd.
Geheilte Leprakranke wieder in die Dorfgemeinschaft einzugliedern, auch dafür sorgen die Carusos. Das fängt damit an, dass die Furcht der eigenen Familien vor Ansteckung ausgeräumt werden muss. Dann werden die Geheilten mit Saatgut, Werkzeug oder einem kleinen Geschäft – falls die Verstümmelung zu schlimm ist – ausgestattet. So können sich die Geheilten selbst versorgen.
In der allgemeinen Ambulanz, Elisabeths Reich, werden täglich bis zu 120 Kinder und Erwachsene behandelt. Einheimische Kräfte helfen beim Verbandwechseln oder fungieren als Dolmetscher. Mangelnde Hygiene, das tropisch feucht-heiße Klima, die Armut und das mangelnde Wissen sind oft die Ursache für Erkrankungen. Unglaublich, was da in ihrem Buch Lepra, Ahnenglaube und Krokodile als häufigste Erkrankungen aufgezählt werden: „Malaria, Typhus, Amöbiasis, Bilharziose, Darm- und Lungeninfekte, Schlangenbisse, Blut- und Hauterkrankungen…“ Dazu kommen die vielen unterernährten Kinder. Arbeit ohne Ende…
Jede Woche besucht Enzo mit zwei Mitarbeitern das Gefängnis von Abomey. Auch in diesem Inferno – 200 Gefangene auf viel zu engem Raum (Hinlegen zum Schlafen unmöglich), ein einziger Kübel für die Notdurft aller – versucht er, Kranke zu versorgen. Die meisten Gefangenen sind dankbar für die Hilfe. Er macht ihnen Mut und viele fangen an, miteinander zu beten, statt sich zu prügeln. Enzo erzählt von einem jungen Mann dort, voller Ungeziefer, mit schwerer Anämie, Brustfell- und Lungenentzündung. Er hatte drei Jahre zuvor seine Mutter erschlagen aufgefunden, als er vom Feld heimgekommen war. Vor Entsetzen erstarrt, hatte er keine Hilfe geholt, und so nahm man ihn als vermeintlichen Mörder fest. Als er dann endlich freigesprochen wird, nimmt ihn Enzo ins Lepradorf mit, um ihn zu behandeln.
Nach drei Jahren im Benin läuft der Vertrag aus. Enzo ist damals recht krank, hat sich eine Amöbiase eingefangen. Infusionen und Medikamente, die er von seiner Frau bekommt, helfen nicht wirklich. Er kann kaum mehr etwas essen. Also ein guter Zeitpunkt, um im Dezember 1993 zum Auskurieren zurück nach Wien zu fahren.
Nach einer Magenoperation und anderen Spitalsbehandlungen fliegen sie auf Einladung des Bischofs der Diözese Ihosy, den sie in Wien kennenlernen, nach Madagaskar. Beide kennen das Land und die Sprache schon ein wenig. Enzo betont sofort: „Keine Stunde haben wir den Einsatz in diesem Land bereut.“ Gut, dass er das sagt. Denn wenn man hört, dass sie in Iakora, dem Ort ihres neuen Einsatzes, ein Raum ohne Fenster erwartet, mit Strohsäcken auf zwei Eisenbetten, in denen es sich schon Mäuse gemütlich gemacht hatten, könnten einem Zweifel kommen.
1.200 Einwohner zählt der Ort. Jedes Jahr kommt es hier zum Ausbruch von Lepra, Pest, Cholera, TBC. Enzos erster Patient ist wieder ein Leprakranker, dessen Fußsohle ein nekrotisches Loch bis zum Knochen aufweist. Ambulanz gibt es keine. Verbunden wird im Hof auf einem Bretterstapel. Bis zu 70 Patienten täglich betreut das Ehepaar. Erst im Dezember ist eine bescheidene Ambulanz fertig gestellt. Viele Kranke, auch wenn sie keine Christen sind, lieben das Gebet. Da es sich einige Bewohner wünschen, gibt Enzo auch Katechismusunterricht.
Eines Tages sollen die Carusos mit dem Motorboot zur nächsten Diözesanversammlung fahren. Die starken Regengüsse haben aus dem Fluss einen reißenden Strom gemacht. Widrige Umstände bringen das Boot zum Kippen und Elisabeth ist fast am Ertrinken. In letzter Sekunde kann Enzo, der an Land geschwommen ist, dann am Ufer flussaufwärts läuft, oberhalb von Elisabeth erneut in den Fluss springt, den Kopf seiner Frau gerade noch rechtzeitig über Wasser halten – und sie zum Ufer schaffen. Die Einheimischen staunen: An dieser Stelle bekommen die Krokodile ihre Jungen und sind besonders aggressiv. Bisher kam da noch keiner lebend aus dem Wasser: „Ihr müsst kleine Götter sein,“ stellen sie fest. Ein Pater sieht das anders: „Ihr wart den Krokodilen wohl zu mager.“
Eines Tages diagnostiziert Elisabeth Lepraflecken am Rücken ihres Mannes. Doch kaum, dass er nach zwei Wochen Antibiotika-Einnahme (ein halbes Jahr muss er sie nehmen) nicht mehr ansteckend ist, arbeitet er wieder unermüdlich weiter für die Leprakranken, die oft stundenlang gehen müssen, um sich behandeln zu lassen. Im Juli 1996 fahren die Eheleute, beide erschöpft – Enzo hat Amöbiasis und erholt sich nicht - zur Behandlung nach Wien.
Kaum genesen, zieht es sie wieder nach Madagaskar. Ein neuer Einsatzort: Isifotra, wo es weit und breit keine medizinische Versorgung gibt, die Schule einer Ruine ähnelt, 90% Analphabeten sind. Man erreicht den Ort erst nach Überwinden zweier großer Flüsse und holpriger Staubstraßen. An Elisabeths Geburtstag machen sie sich dorthin auf. Gefeiert wird an einer schattigen Stelle unterwegs mit Fanta und Keks.
Sieben Jahre wird das Ehepaar hier bei den 600 Einwohnern verbringen. Es wird ihre zweite Heimat. Wieder gibt es nur eine notdürftige Ambulanz. Ein Patient stiftet eine kleine Holzbank, damit die Kranken nicht am Boden verarztet werden müssen. Elisabeth gibt Hygieneunterricht, damit die Kinder nicht unter Milben und anderen Parasiten leiden müssen. Ein Brunnen für sauberes Wasser wird gegraben, eine Schule ins Leben gerufen. Aus den Schülern von damals sind inzwischen Hebammen, Lehrer, Mechaniker und Krankenpfleger geworden!
Die Pfarren Altmannsdorf und Bamberg unterstützen sie immer wieder mit Geld. Die Kamillianer aus Wien finanzieren die Medikamente. Viele Katastrophen und Gefahren gilt es zu bewältigen: ein Zyklon vernichtet die Ernte, dann eine Heuschreckenplage. Banden wollen ihre Medikamente stehlen, um sie teuer zu verkaufen.
Das Volk der Baras liegt ihnen sehr am Herzen. Beide Carusos halten für sie Katechese. Dank des Ein-Gott-Glaubens der Baras, bei dem vieles an unseren Glauben erinnert und die auch ein gutes Verständnis von Gut und Böse haben, trifft das auf großes Interesse. Gemeinsam mit der Bevölkerung wird eine neue Kirche gebaut, und es gibt viele Taufen. Jedes Mal ein großes Fest. Elisabeth ist heute noch beeindruckt, „wie selbstverständlich die Menschen das Unheil in ihrer Geschichte hinnehmen. Da gab es eine 30-Jährige, die ihr 6. Kind erwartete. Ihr Mann war Alkoholiker. Für die Kinder gab es nichts zu essen. Das Baby wächst nicht und die Mutter wird immer magerer und müder. Ich habe ihr immer wieder Reis und Öl mitgegeben… Tagsüber hat sie am Feld gearbeitet, nachts war da ihr betrunkener Mann. ,Du hast wirklich ein schweres Leben,’ habe ich ihr einmal gesagt. Da hat sie mich groß angeschaut: ‚Elisabeth, das ist das Leben, das Gott mir anvertraut hat.’ Keine Klage! Da bin ich ganz klein neben ihr geworden.“
Viele der Krankheiten, die die Carusos behandelten, erwischen sie auch selbst: etwa Typhus und Bilharziose. Und immer wieder Malaria. „Wir haben alles aufgefangen. Aber wir konnten uns nie wirklich auskurieren,“ erinnert sich Elisabeth: „Tag und Nacht gab es Kranke oder Sterbende zu behandeln und zu begleiten. Da kann man nicht sagen: ‚Jetzt wartet doch etwas.’ Einmal hatte ich wieder Malaria mit hohem Fieber. In der dritten Nacht holt uns der Wächter: Eine Frau kann nicht entbinden. Es geht um das Leben von Mutter und Kind. Enzo hatte Angst, dass ich zusammenbreche. ‚Ja, aber die Frau stirbt!’, habe ich gesagt. Also sind wir gegangen. Gott sei Dank konnten wir das Kind und die Frau retten. Natürlich war ich ganz KO. Am nächsten Tag aber haben wieder die Kranken vor der Ambulanz gewartet. Manchmal bin ich zittrig zu den Leuten gegangen. Aber wir wussten auch: ‚Jetzt ist der Ruf da. Jesus braucht dich jetzt bei den Ärmsten. So oder so! Er hat sich für uns hingegeben. Da gibt es ein wunderschönes französisches Lied „Prenez, mangez et buvez, ça c’est mon corps…“ (Nehmt, esst und trinkt. Das ist mein Leib…“) Enzo singt mir – sehr berührend – das Lied vor. „Das Lied hatte ich ständig in mir,“ fährt Elisabeth fort. „Jesus möchte durch mich die Eucharistie feiern – und leben. So schaut die Wahrheit aus. Und das hat uns viel Kraft gegeben.“
Als der Gesundheitszustand des Ehepaares sich verschlechtert und Elisabeth vor einem totalen Nierenversagen steht, nehmen sie im März 2003 Abschied von Isifotra. Die Ordensschwestern übernehmen ihre Arbeit.
In Wien: Erneut Behandlungen und Spitalsaufenthalte. Carusos übersiedeln nach Altsimmering und werden von der Pfarre herzlich aufgenommen. Ist Madagaskar jetzt „out“? Keineswegs! Schon vier Monate später zieht es das Ehepaar wieder auf die „rote Insel“. Diesmal geht ihre Mission zum Horombe-Plateau. Der Radius, in dem sie sich bewegen beträgt 700 km (!) und 290 Dörfer. Wieder geht es um das Behandeln von Kranken, Katechismusunterricht, Erste Hilfe- und Hygienekurse.... Und wieder helfen sie, Schulen zu gründen und für gesundes Wasser durch Brunnengrabungen zu sorgen.
Eines Tages stößt Enzo in einem der Dörfer auf einen alten kranken Mann, der von Jesus hören und möglichst bald getauft werden will. Enzo erteilt ihm Unterricht. Da der Mann viel Unrecht getan hatte, will er unbedingt vor der Taufe öffentlich beichten. So geschieht es auch: Am ersten Fastensonntag 2004, bevor er auf den Namen Andreas getauft wird, bekennt er in der Kirche seine Sünden. Ein Glaubenszeugnis, das die Gemeinde tief beeindruckt und die Carusos auch.
Ebenfalls betroffen ist Elisabeth von einem Burschen im Gefängnis von Ihosy, in welches das Ehepaar einmal wöchentlich gehen darf, um Kranke zu betreuen. Schmerzliche Erinnerungen werden da wach: „Dort ist die Hölle. Das kann man sich hier nicht vorstellen. Das stinkende Loch war für 140 Gefangene gedacht, tatsächlich hausten dort 248.“ Wieviel Leid blickt da dem Ehepaar aus den Augen der unterernährten, oft schwer kranken, oft auch gefolterten Burschen – von 14 Jahren aufwärts, viele unschuldig – entgegen!
„Da war z.B. Dama, nur mehr Haut und Knochen. Er hat Blut gespuckt, hatte nur total verschmutze Restfetzen als Kleidung. Leise – wegen der Wächter – habe ich den Burschen, während ich ihn behandelte, gefragt, wie lange er schon da sei. ,Drei Jahre.’ Was er denn angestellt hätte? ,Nichts. Im Nachbardorf waren Rinder gestohlen worden. Da ich auf der Straße unterwegs war, und die Gendarmen niemand anderen als Täter gefunden haben, nahmen sie mich mit,’ so die kaum hörbare Antwort. ,Hattest du schon ein Gerichtsverfahren?’ ,Nein, ich habe kein Geld.’ ,Weiß deine Familie, dass du da bist?’ ,Ich bin Analphabet, kann ihnen nicht schreiben.’ Ich habe zu ihm gesagt: ,Verzweifle nicht, vielleicht können wir etwas tun.’ Da hat er ruhig, mit seinem glasigen Blick gemeint: ,Ich verzweifle nicht. Gott und meine Ahnen wissen, dass ich nichts Böses getan habe. Ich werde bald sterben. Aber ich gehe heim zu ihnen, es kann mir nichts passieren’.“
Noch heute ist Elisabeth tief berührt: „Er hatte so eine starke Überzeugung. Zwei Wochen später ist er gestorben.“
„Waren Sie da nicht verzagt bei all dem Elend, der Ungerechtigkeit die sie dort gesehen haben?“, frage ich. „Enzo nicht, ich war nahe daran,“ erinnert sich Elisabeth: „Manchmal habe ich schon mit Gott gehadert. Damals, nach dem Gefängnis, habe ich geweint. Die Burschen haben mir so leid getan. Ich habe auf das Kreuz, das ein Madagasse geschnitzt hatte, geschaut: Da bekam ich innerlich eine klare Antwort: ‚Ich bin es, der da leidet. Für mich gehst du hin. Die sind nicht allein. Ich bin bei ihnen.’ Das hat mir Kraft gegeben. Ich wusste ja auch, dass Jesus gesagt hatte: ‚Was ihr den Geringsten meiner Brüder tut, das tut ihr mir.’ Das ist der mystische Christus, der da weiterleidet. Das ist mir in dem Moment stark zu Bewusstsein gekommen! Das ist Gnade. Solche Erlebnisse gaben uns Kraft und Freude. Nicht wahr Enzo?“ Und ihr Mann nickt zustimmend. Schließlich gelingt es den Carusos, dafür zu sorgen, dass die Gefangenen wenigstens einmal in der Woche eine anständige Mahlzeit bekommen.
Als Enzo bei der Arbeit zusammenbricht, nach einem Sturz starke Schmerzen hat, beschließt das Ehepaar, sich in Wien behandeln zu lassen und eine Zeit der Ruhe zu gönnen. Vorher sorgen sie dafür, dass alles, was sie dort begonnen hatten, reibungslos weiterläuft.
In Wien hat Enzo eine schwere Operation. Alle inneren Organe sind durch die verschiedenen Erkrankungen irgendwie verwachsen, verklebt. Die Ärzte wundern sich, dass er das überlebt. Elisabeth ist verzweifelt und „betet immer wieder zu Jesus, dem ,Meister des Unmöglichen’. Eine Knie-OP entpuppt sich fast als noch komplizierter. Doch mit Gottes Hilfe wird die schwierige Zeit überwunden. Bleiben sie jetzt endlich daheim? Nein! Im Februar 2005 geht es ins Lepradorf Ilena. Was sie hier vorfinden ist ganz übel: „Überall Dreck und übel riechende Exkremente. Die offenen Wunden der Leprakranken waren schon monatelang nicht verbunden worden. Die Behausungen stinkende Löcher.
Als Enzo all das sieht, erklärt er: „Der Herr wartet hier auf uns.“ Im oberen Teil des Dorfes leben 20 verstümmelte Leprakranke, deren gefühllose Wunden in der Nacht von Ratten angefressen werden, im unteren Teil vor allem gesunde Menschen, deren Vorfahren als Leprakranke hergezogen waren. Die Carusos vollbringen in diesem Ort Großartiges. Unterstützt durch die Wiener (nun auch Altsimmering) und die Bamberger Pfarren kaufen sie Grundnahrungsmittel, Fisch und Fleisch sowie Hygieneartikel. Die Bewohner können diese Spenden bekommen, allerdings unter der Voraussetzung, dass sie mit der Säuberung des Ortes beginnen, und die Alkoholiker sich nicht mehr im Nachbarort betrinken gehen.
Der „Deal“ klappt. Nach und nach bekommt jede Familie einen Acker sowie Geflügel, um sich selbst zu versorgen. Ambulanz und Häuser werden nach und nach renoviert. Ein Brunnen und der Bau einer Schule folgen, Unterricht in Hygiene und anderen Nützlichkeiten. Eine Dorfgemeinschaft entsteht, die Leute gewinnen an Selbstbewusstsein und der Ort verwandelt sich langsam in ein Schmuckkästchen. Immer mehr Leute kommen zum Gottesdienst. Sie erkennen: Auferstehung ist möglich. Als eine Typhus-Epidemie im Land ausbricht, überleben alle im Ort. Aber es erwischt Enzo und Elisabeth, die zusätzlich eine Herzmuskelentzündung bekommt. Als die Gemeinschaft von der Göttlichen Vorsehung Interesse zeigt, die Betreuung des Ortes zu übernehmen, beschließt das gesundheitlich angeschlagene Ehepaar blutenden Herzens aber mit großem Frieden, nach Österreich heimzukehren.
„Wenn wir heute an diese Zeit zurückdenken,“ erklären sie mir, „war es bestimmt die schönste Zeit unseres Lebens. Wir lebten in dem Bewusstsein, dass Jesus uns in den Armen und Kranken begegnet. Wir waren aber nur kleine Werkzeuge. Ihm allein gebührt unser Lob und Dank.“
Legen sie jetzt die Hände in den Schoß? Elisabeth klärt mich auf: „Wir gehen zwei-, dreimal in der Woche zur Seelsorge in Pflegeheime – vor allem zu den Sterbenden. Wir sind Gott so dankbar, dass wir gut genug beisammen sind, um uns selbst zu versorgen können und noch etwas für andere tun können. So lange es geht, sind wir froh, wenn wir jeden Monat unsere Pension bekommen und den Großteil nach Madagaskar weiterschicken können.“
Wie schön, dass es heute Menschen gibt mit soviel Bescheidenheit, Opferbereitschaft, Hilfsbereitschaft, Mut, Fürsorglichkeit – und die auch noch humorvoll sind. Und keine Berührungsängste kennen!