Die Kirche lehrt uns, dass wir alle zur Heiligkeit berufen sind. Doch wie kann ein Mensch heilig werden? Papst Franziskus hat 2019 in seiner Angelusansprache zu Allerheiligen gesagt, die Heiligkeit sei ein Ziel, „das nicht allein durch eigene Kraft erreicht werden kann, sondern sie ist die Frucht der Gnade Gottes und unserer freien Antwort darauf. Deshalb ist die Heiligkeit Gabe und Berufung.“ Das kurze Leben des seligen Carlo Acutis veranschaulicht sehr gut, welch reiche Frucht sein treu gelebter Glaube als freie Antwort auf die Liebe Gottes, sowohl in seinem eigenen Leben als auch in dem der Menschen in seiner Umgebung getragen hat.
Carlo wurde am 3. Mai 1991 in London geboren. Seine Eltern, beide Italiener, hielten sich beruflich in London auf. Sie waren katholisch, damals aber nicht praktizierend und kehrten kurz nach Carlos Geburt nach Mailand zurück, wo er dann aufwuchs.
Die Mutter sagte später, dass sie vor Carlos Geburt nur dreimal in der heiligen Messe war: am Tag ihrer Taufe, ihrer Erstkommunion und am Tag ihrer Hochzeit. Bei Carlo hingegen zeigte sich sehr früh schon ein tiefes Verlangen nach Spiritualität. Sehr günstig erwies sich da der Einfluss seines jungen tiefgläubigen polnischen Kindermädchens, das er vom 3. bis zum 6. Lebensjahr hatte. Sie vermittelte ihm die Grundzüge des Glaubens und lehrte ihn die ersten Gebete.
Bereits zu dieser Zeit fing er an, mit ihr den Rosenkranz zu beten und in die Kirche zu gehen. Das tat er gern, und es war ihm ein Bedürfnis, Jesus zu begrüßen, wann immer er später mit der Mutter unterwegs war und sie an einer Kirche vorbeikamen.
Als der Bub vier Jahre alt war, verstarb sein Großvater mütterlicherseits. Dieser sei ihm kurz nach seinem Tod erschienen, erzählte Carlo später, und habe ihm gesagt, er solle für ihn beten, da er im Fegefeuer sei. Von diesem Augenblick an wollte Carlo täglich in die Heilige Messe gehen. Hatten seine Eltern oder seine Großmutter einmal keine Zeit dazu, reagierte der kleine Carlo wie andere Kinder, wenn ihnen Süßigkeiten verweigert werden: Er wurde bockig.
Zunehmend sehnte er sich danach, Jesus in der Eucharistie zu empfangen. Mit sieben Jahren wurde er zur Erstkommunion zugelassen und versäumte von da an die Hl. Messe an keinem einzigen Tag, pflegte täglich die eucharistische Anbetung vor oder nach der Messe, betete den Rosenkranz und beichtete wöchentlich. Bereits mit 11 Jahren engagierte er sich als Katechet in seiner Pfarrgemeinde.
Für einen Jugendlichen ist das sehr ungewöhnlich. Andererseits hatte er aber auch Spaß an denselben Dingen wie andere Kinder in seinem Alter: Er liebte Drachensteigen, Fußballspielen mit Freunden, das Wandern, Skifahren, das Spielen auf der Play-Station und das Programmieren am Computer. Dafür besaß er eine besondere Begabung. Er war lustig und freundlich. Viele behielten ihn so in Erinnerung.
Carlo hatte jedoch ein klar definiertes Ziel: Er wollte in den Himmel kommen. „Immer mit Jesus vereint sein: das ist mein Lebensprogramm,“ pflegte er zu sagen und: „Die Hl. Eucharistie ist meine Autobahn in den Himmel.“ Den Rosenkranz bezeichnete er als „kürzeste Leiter in den Himmel“ und die Hl. Schrift galt ihm als „Kompass“ auf seinem Weg. Seine Grundsätze, um die Heiligkeit zu erreichen, nach denen er selbst gelebt hat, sind klar und lassen erahnen, wie wichtig sie ihm waren:
– Du musst die Heiligkeit aus ganzem Herzen wollen. Und wenn diese Sehnsucht noch nicht in deinem Herzen erwacht ist, musst du den Herrn inständig darum bitten.
– Gehe jeden Tag zur Hl. Messe und empfange die heilige Kommunion.
– Denke daran, jeden Tag den Rosenkranz zu beten.
– Lies täglich einen Abschnitt aus der Hl. Schrift.
– Nimm dir Zeit für die Eucharistische Anbetung. Jesus ist da wirklich gegenwärtig. Du wirst sehen, welche Fortschritte du in der Heiligkeit machst!
– Gehe jede Woche zur Beichte, auch wenn Du nur lässliche Sünden begangen hast.
– Lege Fürbitte ein und schenke Blumen (Opfer und gute Taten) dem Herrn und Maria, um anderen zu helfen.
– Bitte deinen Schutzengel, dir immer zu helfen, damit er dein bester Freund wird.
Es machte Carlo zunehmend traurig zu beobachten, wie wenig Jesus im Allerheiligsten Altarsakrament erkannt und geliebt wird. So kam ihm die Idee eine virtuelle Ausstellung über die eucharistischen Wunder in der Welt zu erstellen. Diese hat er nach zweieinhalb Jahren konsequenter Arbeit, verbunden mit Reisen zur Recherche und Dokumentation im Alter von 14 Jahren fertiggestellt. Dabei half ihm sein großes Talent für Informatik.
Diese Ausstellung ist mittlerweile auf allen Kontinenten zu Gast gewesen und hat viele Menschen berührt. In den USA wurde sie in tausenden Pfarreien und über 100 Universitäten gezeigt. Carlo dachte sich weitere Ausstellungen aus: eine über marianische Erscheinungen und Wallfahrtsorte, eine über Engel und Dämonen, eine über Himmel, Hölle und Fegefeuer. Leider blieb ihm nicht mehr die Zeit, diese Ausstellungen selbst fertigzustellen.
Es war ihm ein Anliegen, Jesus den Menschen zu bringen, damit sie ihm nachfolgen könnten. Seine Mutter sagt: „Carlo hat mich Gott näher gebracht. Er stellte Fragen, auf die ich keine Antwort wusste. Vor allem wegen meiner mangelnden Katechismuskenntnisse. So begann ich, mehr über meinen Glauben zu lernen, und das war aufgrund von Carlo. Viele weitere Menschen können das bezeugen: Menschen, die sich durch sein Beispiel und durch seine Worte bekehrt haben. Er lebte wirklich das, was er predigte. Er war ein Zeuge.“
Carlo verbarg seinen Glauben auch nicht vor den Schulkameraden, sondern verteidigte mutig die Lehre der Kirche bei Themen wie Lebensschutz, Reinheit, Heiligkeit der Ehe, auch wenn er damit aneckte und Spott ertragen musste. Er half den schwächeren Kameraden bei den Aufgaben und setzte sich für benachteiligte und schüchterne Mitschüler ein.
In den Ferien liebte er es, in Assisi Zeit zu verbringen und geistig aufzutanken oder mit seinen Eltern an Orte zu reisen, an denen er für seine Ausstellungen recherchieren konnte. Exotische Reisen, Markenkleidung oder Geld reizten ihn nicht.
Rajesh, ein im Haus angestellter Hindu und Brahmane ließ sich taufen und sagte: „Ich habe mich taufen lassen, weil er mich angesteckt, ja beinah umgeworfen hat mit seinem tiefen Glauben, seiner Nächstenliebe und seinem reinen Gemüt. Ich habe ihn immer als jemanden wahrgenommen, der außerhalb der Normalität steht. Denn so ein junger, schöner und reicher Junge führt doch sonst lieber ein anderes Leben.“
Carlo sprach jedoch nicht nur von Jesus, sondern lebte die Nächstenliebe, indem er bereit war, zu helfen und sich gerne Zeit nahm für Gespräche mit Migranten und Bettlern. Letzteren brachte er jeden Abend Essen, manchmal auch einen Teil seines eigenen Abendessens. Er spendete sein Taschengeld für die Armenspeisung der Kapuziner. Einem Obdachlosen, den er auf seinem Weg zur Hl. Messe täglich sah, kaufte er aus seinen Ersparnissen einen Schlafsack.
Carlo hatte, wie alle Menschen, auch Schwächen und Fehler. Darüber war er sich im Klaren und disziplinierte sich selbst, um diese zu besiegen. Seine Mutter erzählt: „Er spielte mit seiner PlayStation, verstand aber auch, dass Dinge, wie der Computer oder die Play-Station, eine Art "Tyrannei" auf die Seele ausüben können. Sie können dich süchtig machen, zum Sklaven dieser Dinge. So viel Zeit kann man verschwenden und Carlo hatte immer das Gefühl, dass er keine Zeit verschwenden durfte. Deshalb hat er sich selbst auferlegt, höchstens eine Stunde pro Woche auf seiner Play-Station zu spielen.“ oder „Er liebte es, zu essen und in einem Moment bemerkte er, dass er zu viel aß, und verpflichtete sich selbst zu mehr Mäßigkeit: Essen und genießen, aber zu den gegebenen Zeiten und auf angemessene Weise.“ Weiter erzählt die Mutter: „Carlo war in vielerlei Hinsicht ein ganz normales Kind gewesen, und auch wenn er nicht perfekt war, hatte er einen sehr starken Willen und verbesserte sich auf vielerlei Weise.“ Denn Carlo sagte: „Was nützt es dem Menschen, wenn er tausend Schlachten gewinnt und es dann nicht schafft, sich selbst zu besiegen?“
Selbst im Leiden war Carlo sehr mutig und stark. Das, was wie eine einfache Erkältung begann, führte innerhalb kurzer Zeit zu einer starken Verschlechterung seines gesundheitlichen Zustandes und schließlich zur Diagnose: Leukämie vom Typ M3, einer besonders aggressiven Form. Trotz der großen Schmerzen, nahm er Gottes Willen an und versuchte, immer zu lächeln und sich nicht zu beschweren. „Ich weiß, dass es andere gibt, die mehr leiden.”, war seine Antwort auf die Frage, ob er leide. Zuletzt war er so schwach, dass er sich nicht mehr bewegen konnte. Dennoch sorgte er sich auch dann nicht um sich selbst, sondern um die Krankenschwestern, aus Angst, er könnte zu schwer für sie sein, wenn sie ihn hochheben mussten. Bemerkenswert ist auch, dass er selbst in diesen schweren Momenten sein Ziel nicht aus den Augen verloren hat. Er sagte: „Ich opfere die Leiden, die ich ertragen muss dem Herrn auf für den Papst und die Kirche, damit ich nicht ins Fegefeuer muss, sondern gleich in den Himmel komme.“Am 12. Oktober 2006 starb er mit nur 15 Jahren an einer aggressiven Form von Leukämie und wurde am 10. Oktober 2020 in Assisi seliggesprochen. Sein Gedenktag ist der 12. Oktober. Bereits bei seiner Beerdigung waren die Kirche und der Friedhof überfüllt mit Menschen, denen er geholfen hatte. Mehr als 41.000 Menschen haben trotz Corona das Grab des Seligen Carlo Acutis während der 19-tägigen Feierlichkeiten zu seiner Seligsprechung besucht. Die Seligsprechungsfeier haben laut Angaben der Diözese Assisi 569.000 Menschen allein via Facebook-Streaming mitverfolgt.
Carlo Acutis kann Vorbild sein für jung und alt. Er hat uns einen Weg gezeigt, wie man gerade in unserer modernen Zeit den Glauben leben, sich nach der Heiligkeit ausstrecken und mit Gottes Gnade zusammenwirken kann. An ihm können wir gut erkennen, wie der aufrichtige und treue Glaube das ganze Leben eines Menschen u.a. seine Liebe zur Schöpfung und zu den Armen, seinen Umgang mit Schwierigkeiten, mit Leiden und sogar mit dem eigenen Tod prägen kann.
Für Carlo war „der Tod, der Beginn eines neuen Lebens“. Er machte ihm keine Angst und so konnte er sagen: „Ich sterbe glücklich, weil ich mein Leben nicht damit verbracht habe, meine Zeit mit Dingen zu verschwenden, die Gott nicht gefallen.“