Anfang des Jahres fand in der Pariser Kirche Saint-Sulpice ein Gebetstreffen von Christen und Muslimen statt, das auf heftige Kritik gestoßen ist. Im Folgenden Gedanken über die Sinnhaftigkeit solcher Begegnungen.
Was halten Sie von der Begegnung von Muslimen und Christen in Saint-Sulpice?
P. François Jourdan: Meiner Meinungen nach ist die Wahl einer Kirche als Ort für Begegnung und Gebets ungeschickt. Für Muslime ist so etwas der Vorgriff auf eine fortschreitende Islamisierung Frankreichs, die auch Orte des Gottesdienstes erfasst. Hier haben wir es mit einer Doppeldeutigkeit zu tun. Man hätte das in einem Versammlungsraum der Pfarre oder dem einer benachbarten Moschee machen können.
Man betete dort gemeinsam mit Maria…
Jourdan: Stimmt, aber Maria hat in beiden Religionen keineswegs denselben Stellenwert. Auch da gibt es Doppeldeutigkeit. Zugegeben, Maria ist im Koran die Mutter Jesu, aber Jesus ist für Muslime ein muslimischer Prophet. Außerdem hat die Jungfräulichkeit Marias keinerlei Bedeutung für Muslime. Der Zusammenhang im christlichen und im muslimischen Glauben ist ein ganz anderer. Das ist bei diesem Treffen keineswegs herausgekommen. Dadurch entsteht die Illusion einer Annäherung. Nehmen wir zum Beispiel Abraham. Er ist der Vater der Juden und Christen, aber keineswegs jener der Muslime. Der Islam ist eine von Adam, nicht von Abraham abgeleitete Religion. Daher sind wir aus muslimischer der Natur nach wie Adam alle als Muslime geboren. Daher darf man sich nicht wundern, dass dieses Treffen massive Kritik ausgelöst hat…
Kann es gemeinsam Gebete mit Muslimen geben?
Jourdan: Sicher nicht! Man kann an einem neutralen Ort, weder Kirche noch Moschee, eine Gebetszeit halten, wobei jeder zu seinem Gott betet. Ich habe das erlebt. Ich betete in meinem Herzen, während der andere auf eine Weise betete, die nicht meine ist. Man kann sich beim Beten treffen, aber man betet nicht miteinander. Jeder betet auf seine besondere Weise. Aus einem einfachen Grund: Wir haben nicht die gleiche Gottesbeziehung.
Ist ein christlich-muslimischer Dialog notwendig?
Jourdan: Selbstverständlich! Aber ein echter, das heißt einer, der den Unterschieden Rechnung trägt. Die wahre Begegnung findet statt, wenn man sich über unseren Dissens einigen kann. Aber die Fatiha mit zwei Imamen in einer Kirche zu singen, wie es in Saint-Sulpice geschah, das passt nicht. Sie ist die erste Sure des Korans, ein rituelles Gebet, das die Muslime 17 Mal täglich beten. Dieses grundlegende kurze Gebet endet mit „Führe uns nicht auf den Weg der Verirrten“. Und dabei sind der gesamten islamischen Tradition zufolge wir Christen gemeint.
Wie stellen Sie sich den Dialog mit den Muslimen vor?
Jourdan: Es begegnen einander Wahrheit und Liebe, wie es im Psalm heißt. Denn die Wahrheit wird uns frei machen. Man muss die Zweideutigkeiten der Worte vermeiden, die in beiden Religionen verwendet werden, aber nicht denselben Sinn haben. Barmherzigkeit zum Beispiel: Die des Korans hat nichts mit der in der Bibel verwendeten zu tun. Warum? Weil für uns Christen und Juden Gott der Retter ist. Er wirkt in der Geschichte des Menschen, Er gibt sich hin: Das gibt es überhaupt nicht im Koran. Deshalb bekommt Barmherzigkeit einen ganz anderen Sinn. Wenn man nicht klarstellt, was man mit diesem oder jenem Wort meint, gibt es keinen Dialog. Er wird zur Lüge. Man täuscht den anderen und sich selbst. Das ist interreligiöser Obskurantismus.
(…)
Kann der Dialog eine Vorstufe dafür sein, Christus zu verkündigen?
Jourdan: In einem Dialog stellt mir zwangsläufig der andere seinen Glauben vor und ebenso tue ich das mit meinem. Das ist gut so, vorausgesetzt es wird nicht als Druckmittel eingesetzt. Daher ist Vorsicht mit Methoden gewisser amerikanischer evangelikaler Gruppen geboten.
Das Gespräch führte Charles-Henri d’Andigné für Famille Chrétienne v. 17.2.22 mit dem Autor von Islam et christianisme. Comprendre les différences. Verlag L’Artilleur.