VISION 20002/2000
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Zwei Wege, die Liebe zu leben

Artikel drucken Als Besonderes berufen zur Einheit (Christof Gaspari)

Nach der Lektüre der vorhergehenden Beiträge steigt vielleicht in manchen Lesern der Gedanke hoch: Wieder einmal geht es vor allem um das Verhalten der Frau, wieder einmal macht man den Frauen ein schlechtes Gewissen, sie würden ihren Aufgaben nicht gerecht werden.

Und vielleicht denkt sich der eine oder andere Leser: Wieder einmal wird eine heile Welt an die Wand gemalt, total wirklichkeitsfremd. Wo sind denn Menschen, die so leben?

Diesen Fragen will ich mich stellen. Am besten fange ich mit der zweiten Kritik an. Es stimmt: Gerade in den Beziehungen von Mann und Frau läuft heute so viel schief, ist man mit so viel Scheitern konfrontiert, daß man sich kaum mehr traut, über gelungene Beziehungen zu reden. Man fürchtet sofort, all jene, die weit davon entfernt sind, dem Leitbild nahezukommen, könnten das Ideal als Vorwurf an ihre eigene Lebensgestaltung empfinden.

Daher sei klar festgehalten: Niemand sollte einen persönlichen Vorwurf aus den bisherigen Ausführungen herauslesen. Auch die kritischen Äußerungen in Sachen Feminismus gelten einer Idee und nicht den Personen, die diese Vorstellungen vertreten. Wieviel Leid, wie viele schlechte Erfahrungen, wieviel Benachteiligung mögen dazu beigetragen haben, daß sich Frauen (aber auch Männer) für diese Ideologie geöffnet haben! Man denke nur an verlassene Frauen mit Kindern ohne materielle Hilfe, an Frauen, die für dieselbe Arbeit weniger Lohn bekommen als Männer, an solche, die mißhandelt wurden...

Das vielfältige Scheitern darf aber nicht den Blick dafür rauben, daß es dennoch eine lebensträchtige Perspektive für das Zusammenleben der Geschlechter gibt. Denn es bleibt wahr, daß der Mensch von Gott zu Größerem berufen ist als zu der kleinen Liebe, die sich auf viel Emotionen und viel Sex beschränkt, wie sie uns in Film, Fernsehen und Magazinen vorgestellt wird.

Lassen wir uns also ganz bewußt darauf ein, eine Vision davon zu entwickeln, wie eine erfüllte Beziehung von Mann und Frau ausschauen könnte.

Üblicherweise sprechen wir von männlichen und weiblichen Rollen. Als wäre das Frau- und Mannsein etwas Äußerliches, das man über den eigentlichen ungeschlechtlichen Wesenskern der Person stülpen müßte.

Dieses Bild ist eigentlich falsch: Menschen existieren nun einmal als geschlechtliche Wesen (siehe Seite 4) - entweder als Mann oder als Frau. Sie erleben die Welt entweder als Mann oder als Frau. Sie lieben entweder als Mann oder als Frau. Ihre Existenz als Mann oder als Frau gehört zum tiefsten Kern ihres Wesens.

Es ist nichts Anerzogenes - auch wenn die Ausprägung des Mann- oder Frauseins von der Erziehung mitgeprägt wird -, es ist nichts, was man frei wählen könnte - auch wenn die Art, seine Geschlechtlichkeit zu leben, von der jeweiligen Person mitbestimmt wird.

Im Mann- oder Frausein ist, wie wir gesehen haben, eine lebensträchtige Polarität der Eigenschaften grundgelegt. Sie ist ausgerichtet auf eine gegenseitige Ergänzung der Geschlechter und sie hat ihr Fundament im Schöpfungsplan Gottes, wie wir schon in den ersten Kapiteln der Heiligen Schrift lesen.

Gott schuf also den Menschen als sein Abbild, als Abbild Gottes schuf er ihn. Als Mann und Frau schuf er sie (Gen 1,27), heißt es da. Gleich an Würde, sind die Frau und der Mann geschaffen, aber nicht als Eintopf. Die Besonderheit der beiden hat ihre Wurzeln in Gott. Beide sind Abbilder Gottes. An beiden ist Gottes Wesen erkennbar.

Und so wie die Besonderheit von Mann und Frau Abbild der Besonderheit der göttlichen Personen ist, so ist die Einheit, zu der Mann und Frau berufen sind, ein Abbild für den einen Gott in drei Personen. In der Einheit von Mann und Frau leuchtet das Geheimnis des Dreifaltigen Gottes in der Schöpfung auf, stellte Papst Johannes Paul II. schon am Beginn seines Pontifikats fest.

Das ist die Berufung von Mann und Frau: Das Geheimnis Gottes, der die Liebe ist, in der Welt aufleuchten zu lassen. Im Buch Genesis werden zwei wesentliche Dimensionen dieser Berufung angesprochen. Dort heißt es: Darum verläßt der Mann Vater und Mutter und bindet sich an seine Frau, und sie werden ein Fleisch." (Gen 2,24)

Mann und Frau sind dazu bestimmt, eins zu werden. Sexualfeindlichkeit hat also in der Kirche keinen Platz. Dieses Einswerden - das in der sexuellen Umarmung seinen Ausdruck findet - hat aber wesentliche Voraussetzungen: Es geht darum, sich aus der kindlichen Haltung, die alles von den anderen erwartet und selbst keine Verantwortung kennt, zu verabschieden. Und es geht darum, sich zu binden, Ja zu sagen zum anderen.

Damit sind wir bei einer Grunddimension der Liebe: Sie ist gekennzeichnet durch das unbedingte Ja zum anderen. Ich stehe zu Dir, was auch kommen mag. Du bist für mich so wertvoll, daß keine Lebensumstände etwas an meinem Ja zu Dir ändern werden."

Diese Dimension der Liebe in der Beziehung zwischen den Geschlechtern ist in besonderer Weise dem Mann aufgetragen. Aus gutem Grund: Er ist von seiner Veranlagung her weitaus stärker auf Funktionen, auf die Gestaltung des Umfeldes, das Verändern des gesellschaftlichen Umfeldes, das Festlegen und Verteidigen von Grenzen ausgerichtet. All seine Fähigkeiten hat der Mann nun in den Dienst seiner Frau zu stellen, indem er sich an sie bindet - ein für alle Mal.

Die mangelnde Bindungsfähigkeit und -bereitschaft der Männer ist eines der großen Probleme unserer Zeit. Hier Abhilfe zu schaffen, ist ein Schlüssel zu der anfangs angeschnittenen Frage. Nur durch Bindung eröffnet der Mann einen gesicherten Raum für das Wachsen der Beziehungen in der Ehe, einen vertrauenswürdigen Raum, in dem Hingabe - eine zweite wesentliche Dimension der Liebe - lebbar wird.

Diese Haltung aber ist die Gabe der Frau, die besonders auf Ausdauer und Stabilität, auf Bewahren und auf Zuwendung zu Personen ausgerichtet ist. Auf dem Hintergrund der Festlegung des Mannes entsteht somit ein Lebensraum, der unter der Führung der Frau zur Schule der Hingabe w ird, zu jener Haltung, zu der alle Menschen berufen sind.

Für unsere nüchterne, an das viele Scheitern gewöhnte Zeit mag all das wie eine unrealisierbare Idylle erscheinen, weitab von aller Realität. Mit diesem Befund aber sollten wir uns nicht abspeisen, sondern trotz allem von dieser Vision für ein erfülltes Leben begeistern lassen - auch wenn wir um die Probleme der Umsetzung wissen.

Christof Gaspari

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