Wie wird man, was man ist? Es ist immer wieder faszinierend, Lebensläufe zu studieren und zu sehen, wie das Leben einen so führt, all die Möglichkeiten, die sich einem auftun (oder auch nicht), all die Talente, die man zur Verfügung hat, einzubringen oder auch nicht…
Nicht immer ist es möglich, alle Begabungen zu jeder Zeit zur Entfaltung zu bringen, immer wieder muss man das eine oder andere zugunsten höherer Dringlichkeiten und Lebensaufgaben hintanstellen. Aber glücklich der Mensch, der an seinem Sterbebett dankbar sagen kann, dass sich alles gut gefügt hat und sein Leben sinnerfüllt war.
Professor Alfred Winter, Landesrat für kulturelle Sonderprojekte, will sein letztes Lebensjahrzehnt der Bekanntmachung einer Seligen widmen, die von Salzburg aus gewirkt hat: Maria Theresia Ledochówska. Diese Selige ist die jüngste der Heiligen-Darstellungen im Salzburger Dom (man findet ihr Bildnis im rechten hinteren Seitenaltar). Dennoch ist die Selige und ihr Werk, selbst in katholischen Kreisen, weitgehend unbekannt: Anlässlich ihres 100. Todestages findet am 3. Juli 2022 um 10 Uhr eine große Festmesse im Salzburger Dom statt.
Maria Theresia Ledóchowska wurde am 29. April 1863 in Loosdorf in Niederösterreich als älteste von neun Kindern geboren. Ihr Vater Anton Ledóchowski, ein Pole, brachte aus erster Ehe drei weitere Kinder mit. Mutter Josephine Salis-Zizers, eine Schweizerin, war fröhlich und voller Tatendrang. Beide Eltern wiesen ihre Kinder intensiv in den Glauben ein. Fast täglicher Messbesuch und häufiges Beichten waren von klein auf eine Selbstverständlichkeit und blieben eine lebenslange Gewohnheit.
Die Kinder wuchsen in einer Villa in Loosdorf auf und wurden von Privatlehrern unterrichtet, bis die Familie aufgrund des Konkurses einer Bank, bei der der Vater einen Großteil seines Vermögens angelegt hatte, in ein Miethaus nach St. Pölten übersiedeln musste. Maria Theresia verbrachte eine schöne, abwechslungsreiche Kindheit, mit vielen Besuchen, vielen Reisen zwischen Österreich und Polen, in bester Gesellschaft und von Eltern und Verwandten sehr geliebt und gefördert. Besonders das Schreiben hatte es ihr angetan. Sie führte schon bald ausführliche Tagebücher und brachte belletristische Literatur heraus.
Doch: Wohin sollte ihr Lebensweg führen? Drei Jahre lang übernahm die junge Dame Verwaltungsaufgaben auf dem neu erworbenen Landgut des Vaters in Polen, als sie im Jänner 1885 an Pocken erkrankte und in Isolation leben musste. Ihr geliebter Vater starb, nachdem er sich bei einem Besuch an ihrem Krankenbett angesteckt hatte. Im selben Jahr entschied sich ihr Bruder Wladimir zum Priesterberuf, und ihre Schwester Julia (2003 als Mutter Ursula heiliggesprochen) trat bei den Ursulinen in Krakau ein.
Auch Maria Theresia verließ die Heimat und trat 1885 als Hofdame der Großherzogin Alice von Toskana in Salzburg ihren Dienst an. Diese hatte 10 Kinder, das Zeremoniell bei Hof war streng und arbeitsintensiv. Dort konnte Maria Theresia sich in Kunst, Literatur und auch Politik weiterbilden und vor allem auf den zahlreichen Empfängen und Einladungen später nützliche Kontakte zu einflussreichen Leuten schließen.
Dank des Besuches zweier Franziskaner-Missionsschwestern kam die Hofdame mit Afrika in Berührung. Ihr wurde eindrucksvoll vom harten Leben, den Krankheiten und den Problemen (besonders des Menschenhandels) berichtet. Die Selige fühlte jedoch, dass ihr kränklicher Körper für solche Strapazen nicht geschaffen sei. Erleichterung brachte ein Satz in einer Broschüre von Kardinal Lavigerie, dem Begründer der Antisklaverei-Bewegung: „Christliche Frauen Europas! Wenn Gott Ihnen das Talent zum Schreiben gegeben hat, stellen Sie es in den Dienst dieser Sache! Sie könnten keine heiligere finden!“
„Meine Feder soll von nun an nur noch dem Apostolat der Missionen dienen,“ schrieb sie in ihr Tagebuch und nützte jede freie Minute, um sich in die Problematik des Sklavenhandels und die Situation der Missionare zu vertiefen. Sie schrieb „Zaïda, das Negermädchen“, eine Art Jeanne-d’Arc-Theaterstück und gab es unter dem Pseudonym Africanus heraus, andere Schriften unter dem Namen: Alexander Halka.
Im Juni 1890 erschien die erste Ausgabe vom Echo aus Afrika, einer eigenen Monatszeitschrift, die über die Missionen auf dem afrikanischen Kontinent informierte. Die Arbeit wuchs bald ins Immense, und die Hofdame entschloss sich, ihre sichere Anstellung aufzugeben. Sowohl bei Hof als auch bei der eigenen Mutter erntete sie Unverständnis für diesen Schritt.
An dieser Stelle muss ein kurzes Ereignis übernatürlicher (?!) Natur erwähnt werden: Als Maria Theresia sich zur Erholung nach Breitenfurt bei Wien zurückzog, wurde sie dort von einem Unbekannten überfallen und brutal zu Boden geschleudert. Der Mann begann, mit den Füßen auf ihr herumzutrampeln. In ihrer Not rief sie den hl. Aloisius an – und der Attentäter verschwand unerkannt. Allerdings litt die Selige Ihr Leben lang an den körperlichen Folgen dieser Untat.
Maria Theresia verließ also 1891 den Hof von Toskana, um sich ganz der Missionsarbeit zu widmen: Sie schrieb Artikel, publizierte Briefe aus der Mission, informierte und machte den Menschen ihrer Zeit die unmenschlichen Zustände des Sklavenhandels bewusst. „Von früh bis abends arbeite ich für Afrika. Es ist mir eben ganz klar, dass mich der liebe Gott zu dieser Missionsarbeit berufen hat, und ich bin darüber überaus glücklich“.
Bald erforderte der Arbeitsumfang weitere Mitarbeiter. So gründete Maria Theresia die Laienbewegung „St. Petrus-Claver-Sodalität für die Afrikanischen Missionen“ und schrieb mit der Unterstützung von P. Schwärzler SJ die Konstitutionen. Am 29. April 1894 (ihrem Geburtstag) erhielt sie eine Audienz bei Papst Leo XIII. und die päpstliche Bestätigung für ihr Unternehmen. Deren geistige Führung übernahm P. Viktor Kolb SJ. Er wies die Ordensgründerin an, sich mehr in Askese, Opferbereitschaft und Selbsthingabe zu üben.
Die Anfänge des Werkes waren äußerst bescheiden: im Frühsommer 1894 bezog sie zwei Zimmer im rechten Flügel des heutigen Priesterseminars in Salzburg. Dorthin folgte als erste ständige Gefährtin Melanie von Ernst aus Trient. Die schriftstellerische Arbeit nahm immer mehr zu. Die Besuche, auch von Missionaren und Bischöfen, mehrten sich, Vorträge in Wien, München, Breslau, Trient, Köln, Paris, Krakau… riefen Maria Theresia immer wieder von Salzburg weg.
Am Karfreitag 1897 erhielt sie von Kardinal Haller, dem Erzbischof von Salzburg, die erste Gutheißung für die jesuitisch geprägte Ordensregel. Es kamen neue Mitschwestern dazu. Für die wachsende Gemeinschaft kaufte Maria Theresia 1897 das Gut in Lengfelden, ursprünglich eine Papiermühle, das sie „Maria Sorg“ nannte. Hier machte sie eine eigene Druckerei auf, wo man nicht nur Missionsschriften, sondern auch Bibeln, Katechismen, Gebetsbücher usw. in afrikanischen Sprachen druckte.
Am 6. August 1897 wurde die erste hl. Messe in der kleinen Gartenkapelle in Maria Sorg gefeiert, und einen Monat später, am Fest Maria Geburt, legten die Gründerin sowie ihre erste Begleiterin Sr. Melanie von Ernst in Anwesenheit des Erzbischofs die ewigen Gelübde ab.
Mit Mut und Ausdauer – ganz nach ihrem Motto: „Immer heiter, Gott hilft weiter“, versuchte die Gründerin in verschiedenen Ländern Europas durch Konferenzen und Dia-Vorträge das Interesse für die Missionen in Afrika zu wecken. „Es ist meine Lebensaufgabe und die der Gesellschaft, welcher ich angehöre, das Missionsinteresse immer mehr und mehr auszudehnen und womöglich in die Herzen aller Menschen zu pflanzen.“ Ihre Hilfe umfasste alle Missionare ohne Unterschied der Kongregations-Zugehörigkeit oder Nationalität.
Als „Mutter der Afrikaner“ verehrt, verstarb sie körperlich völlig ausgezehrt am 6. Juli 1922 im Generalatshaus der Kongregation in Rom. Maria Theresia Ledóchowska wurde von Papst Paul VI. 1975 selig gesprochen. Ihr Festtag wurde auf den 6. Juli festgelegt. Bei der Seligsprechung erinnerte der Papst daran, dass „die missionarische Bemühung uns alle auf die eine oder andere Weise verpflichtet. Die Mission ist eine Aufgabe, die die Solidarität aller Christen verlangt. Die Mission ist eine Verpflichtung, die alle Gläubigen angeht.“
Die Petrus-Claver-Sodalität wurde 1947 umbenannt in „Missionsschwestern vom heiligen Petrus-Claver“. Sie sind auf allen Kontinenten vertreten und fördern junge Kirchen in den Entwicklungsländern durch pastorale und humanitäre Projekte mit Schwerpunkt auf der Erst-Evangelisierung. Bis heute wurden etwa 12,4 Millionen Bücher in 263 afrikanischen Sprachen gedruckt. Das Echo aus Afrika – inzwischen mit dem Zusatz „und aus anderen Erdteilen“ – erscheint heute weltweit in 9 Sprachen.
Maria Teresia Ledóchowskas damalige Ziele haben bis heute nichts von ihrer Aktualität verloren. Nach Angaben der Internationalen Arbeitsorganisation sind immer noch ca. 40 Millionen Menschen Opfer verschiedenster Formen von Sklaverei: Kindersoldaten, Zwangsprostitution, wirtschaftliche Ausbeutung auf Feldern, in Minen, Fabriken oder als Haushaltshilfen, Menschenhandel… 24 Millionen Menschen leisten Zwangsarbeit. Die moderne Form der Sklaverei hat also viele Gesichter und ist an Orten anzutreffen, an denen man sie nicht erwartet, d. h. gedeckt im Glanz der Öffentlichkeit und tragischerweise auch innerhalb christlicher Kreise.
Das Vermächtnis der seligen Maria Teresia bleibt somit gültig: Sich um das seelische und leibliche Wohl der Menschen Afrikas sowie anderer Benachteiligter zu sorgen. Für ihren unermüdlichen Einsatz schöpfte sie Kraft aus dem unerschütterlichen Vertrauen auf Gott, indem sie alles durch Ihn und nichts durch ihre eigene Kraft erwartete.
Einige ihrer Worte bleleiben in Erinnerung:
„Herr dein Wille, ich bin Stille.“
„Immer heiter, Gott hilft weiter,“
„Arbeiten wir, meine Kinder, zum Ausruhen werden wir die ganze Ewigkeit haben!“
Save the Date: 3. Juli 2022: 10h Festmesse im Salzburger Dom. Texte von und über die Selige: www.mariasorg.at