Warum nennen wir Gott „Vater“, aber nicht „Mutter“? „Vater unser“ – so hat uns Jesus aufgetragen zu beten. Nicht „Mutter unser“ oder „Vater und Mutter unser“, sondern einfach Vater unser. Ist das vielleicht eine Sprechweise der damaligen Zeit, die einfach soziologisch zu erklären ist? Ein Ausdruck patriarchalischer Strukturen und männlicher Dominanz? Oder soll es bedeuten, dass wir uns Gott nur männlich vorzustellen hätten?
Rembrandt: Der verlorene Sohn |
Aber hat Gott nicht den Menschen nach Seinem Abbild als Mann und Frau erschaffen? Bringen uns nicht eine Reihe alttestamentlicher Texte den mütterlichen Aspekt Gottes nahe? Da reicht in der Tat eine soziologische Erklärung nicht mehr aus. Die rechte Spur weist uns auf das männliche und das weibliche Prinzip in der Schöpfung hin. Beides ist in Gott vorhanden. Beides ist von absolut gleicher Würde. Der Vater ist der zeugende Ursprung im dreieinigen Gott, der Christus, seinen eingeborenen Sohn, zeugt.
Was in Gott eine untrennbare Einheit ist, das zeigt sich auch in der Schöpfung als Mann und Frau. Beide sind jeder für sich Abbild Gottes und von gleicher Würde in ihrer Verwiesenheit aufeinander. Vaterschaft und Mutterschaft gibt es nur gemeinsam und niemals getrennt voneinander. Da Gott in der Schöpfung immer der Gebende ist, während sich die Geschöpfe Ihm gegenüber empfangend verhalten, deshalb spricht die Bibel Ihn als Vater und nicht als Mutter an.
Dabei ist der mütterliche Aspekt nicht zu übersehen, wenn es zum Beispiel bei Jesaia 66,13 heißt: „Wie eine Mutter ihren Sohn tröstet, so tröste ich euch.“ Die Heilige Schrift zögert hier nicht zu sagen: Gott ist wie eine Mutter. In der Sprache Jesaias hängt das Wort trösten mit dem Wort mitleiden zusammen. Man fühlt sich nicht mehr allein gelassen, nicht mehr einsam den Chaosmächten dieser Welt ausgeliefert.
Mütterlichkeit ist eine göttliche Eigenschaft. Das hebräische Wort Erbarmen hat nämlich dieselbe Wurzel wie die Worte Mutterschaft und Gebärmutter. Gottes Barmherzigkeit, Sein Erbarmen ist also Seine mütterliche Seite.
Was geschieht denn, wenn eine Frau ein Kind erwartet? Normalerweise nimmt sie es bedingungslos an. Egal, ob Mädchen oder Junge, groß oder klein, blond oder braun. Unabhängig, ob gesund oder krank. So nimmt Gott auch jeden bedingungslos an, eben so, wie wir sind. Das ist Mütterlichkeit. Die werdende Mutter trägt das Kind in ihrem Schoß. In ihrem Körper baut sich ein neuer Körper auf. Die Mutter weiß, dass dies auf Kosten ihrer eigenen Gesundheit gehen kann. Sie trägt das Kind unter ihrem Herzen, auch wenn das Kreuzschmerzen und Übelkeit mit sich bringt.
Menschen nähren, das ist Mütterlichkeit: mit Zuwendung, Anerkennung und Nähe. Menschen tragen, das ist Mütterlichkeit. Das Kind ist im Mutterschoß geborgen. Es ist geschützt vor schädlichen Umwelteinflüssen. Geborgenheit schenken, das ist eine wesentliche Seite der Mütterlichkeit.
Genauso geht Gott mit uns um. Er sandte uns Jesus, Seinen Sohn, damit wir durch Ihn leben. Er nährt und trägt uns, auch wenn das auf Seine Kosten geht, wie Sein Kreuzestod gezeigt hat. Unwillkürlich fällt mir meine eigene Mutter ein: Wenn ich manchmal als kleines Kind weinte, nahm sie mich auf ihren Schoß, streichelte mich und flüsterte mir ins Ohr: „Es wird alles, alles wieder gut.“ Auch als Heranwachsender konnte ich mit meinen Problemen zu ihr kommen. Sie nahm mich in den Arm, schenkte mir ein aufmunterndes Wort. Manchmal auch ein unsanftes im Klartext.
Gott ist in der Mütterlichkeit der Mütter in Seiner unendlichen Liebe selbst bei uns gegenwärtig. Mütterlichkeit ist nicht nur auf körperliches Muttersein beschränkt. Es ist die Kraft des Herzens, eine göttliche Eigenschaft. Es ist uns zugesagt, dass Gott, der uns wie Mutter und Vater ist, alles geben wird, worum wir Ihn im Namen Jesu bitten. Gott lädt uns in Seiner Mütterlichkeit ein, Ihm ganz zu vertrauen, Seines Segens sicher zu sein, dass wir ganz bei Ihm geborgen sind und uns immer wieder zu Ihm flüchten dürfen. Es werden ein neuer Himmel und eine neue Erde unter uns anbrechen. Gott wird unter uns Wohnung nehmen und in unserer Mitte sein. Der mütterliche Gott wird uns die Tränen abwischen. Gegen Trauer, Klage und Mühsal wird Er klare Zeichen setzen. Dann wird der Tod nicht mehr das Letzte sein, sondern das Leben.
In Israel reden hebräisch-sprachige Kinder ihren Vater als Abba an. Dies verändert sich auch nicht, wenn die Kinder erwachsen sind. Eine Vater-Kind-Beziehung ist unabhängig vom Alter. So versteht man auch die Aussage des Apostels Paulus, dass Christen ihren Gott als „Abba, Vater“ anrufen dürfen. Jesus spricht von Gott sehr häufig vom „Vater im Himmel“ oder vom „himmlischen Vater“. Er selbst als Sohn Gottes redet Gott natürlich als Vater an und lehrt uns auch, das zu tun.
Auch Papst Franziskus lädt uns ein in der Generalaudienz vom 16. Januar 2019: „Wir sind eingeladen, ‚Papa’ zu sagen, ein Verhältnis zu Gott zu haben wie das eines Kindes, das ‚Papi’ sagt zu seinem Vater. Denn diese Worte bringen Zuneigung, bringen Wärme zum Ausdruck – etwas, was uns in die Kindheit zurückversetzt ... Aber Gott ist nicht nur ein Vater. Er ist gleichsam eine Mutter, die nie aufhört, ihr Kind zu lieben…“