Dass uns schwierige Zeiten bevorstehen, spüren viele Menschen heute. Die Frage ist nun: Soll man dieses Thema ansprechen? Versetzt man damit nicht die Menschen in Angst und Schrecken? Im Folgenden der Versuch darauf zu antworten und herauszustellen, welche Chancen die Krise birgt.
Im Juni las ich heuer einen Artikel des Historikers David Engels, der schon damals Gedanken über die sich abzeichnenden unbeschwerten Ferienwochen des Sommers 2022 anstellte. Er verglich sie mit den Sommertagen des Jahres 1914 und 1939, die im Rückblick heute vielen „als verantwortungsloser Tanz auf dem Vulkan der dräuenden Katastrophen“ erscheinen dürften. Bezüglich der sich derzeit abzeichnenden Krise erklärt der Historiker: „Selten in der jüngeren Geschichte Europas waren die Zeichen einer veritablen Zivilisationskrise so deutlich an die Wand geschrieben wie in diesem Sommer des Jahres 2022 – und zwar nicht nur aufgrund des Krieges in der Ukraine, der in vielerlei Hinsicht eher das Symptom zahlreicher vergangener Fehlentscheidungen und -entwicklungen ist als ein wirklich singuläres Ereignis.“
Und dann zählt Engels eine lange Liste solcher Fehlentwicklungen auf, aus denen ich im Folgenden nur einige herausgreife, weil sie die geistige Fehlausrichtung unserer Völker kennzeichnen. Er spricht von „kulturpolitischem Utopismus“, „demographischem Selbstmord“,„transhumanistischer Hybris“, „sanitärem und sicherheitspolitischem Überwachungsstaat“, von der Zerstörung der Gemeinschaften, die den Zusammenhalt gewährleisten: Geschlecht, Familie, Glaube, Nation.
Schließlich stellt Engels die naheliegende Frage: „Wieso also geht Europa nunmehr in einen scheinbar unbeschwerten Sommerurlaub, anstatt die Alarmglocken zu läuten?“ Und antwortet darauf: „Es ist die klassische Ruhe vor dem Sturm. Niemand will die Verantwortung auf sich nehmen, für eine Panikstimmung verantwortlich gemacht zu werden…“ – nachzulesen in Die Tagespost v. 30.6.22.
Ich greife das Wort Panikstimmung auf: Genau das wollen auch wir nicht, wenn wir uns mit dem Geschehen in unseren Tagen auseinandersetzen. Vielmehr geht es darum, sich nüchtern ein Bild zu machen von der Situation, in die wir geraten sind. Denn als Christen begreifen wir das Geschehen rund um uns nicht nur als Ergebnis menschlichen Wirkens, das schon auch, vor allem aber auch als Sprache Gottes, den wir als Herrn der Geschichte ansehen. Gott lässt dieses wachsende Chaos zu, um uns auf Wesentliches aufmerksam zu machen: Dass wir unsere Hoffnung zu sehr auf das menschengemachte Glück gesetzt haben, jedoch für Ihn selbst und Seine Botschaft zu wenig offen waren.
Hand auf’s Herz: Wer ist nicht von dieser Mahnung persönlich betroffen? Sicher wir haben uns bemüht, möglichst nach Seinen Geboten zu leben, uns im Umgang mit anderen Menschen wohl zu verhalten, Gebetszeiten zu pflegen… Aber hat Gott tatsächlich absolute Priorität in unserem Leben?
Dass es sogar weite Bereiche in der Kirche gibt, die sich fast vollständig von der Vorstellung dieser Priorität Gottes entfernt haben, dafür ist das Geschehen während des jüngsten Treffens des „Synodalen Wegs“ in Deutschland ein sprechendes Beispiel. Da stimmte zunächst eine knappe Sperrminorität von 21 Bischöfen gegen einen hochumstrittenen Grundtext, der massive Änderungen in der Lehre zur Sexualmoral der Kirche forderte. Schon der Umstand, dass sich nur ein Drittel der Bischöfe für die Lehre der Kirche eingesetzt hat, ist bedenklich. Dennoch war ich froh, als ich das Ergebnis hörte.
Wirklich schlimm war dann aber, was nachher geschah: Durch Verfahrenstricks und massiven Druck des Präsidiums sowie der großen Mehrheit der Teilnehmer wurden zweifelhafte Themen im Nachhinein dennoch durchgeboxt. Und so stimmten nur mehr acht Bischöfe gegen eine Erklärung, die eine Neubewertung der Homosexualität verlangte. Und nur zehn Bischöfe lehnten ein Dokument ab, das die Weihe von Frauen fordert. Unwillkürlich denkt man die Worte: „Hütet euch vor den falschen Propheten,“ wie wir bei Matthäus (7,15) lesen. Sie kommen daher harmlos wie die Schafe, sind aber „reißende Wölfe“.
Auch das gehört zu einer nüchternen Betrachtung der Situation, in der wir stehen. In der Kirche breitet sich seit Jahrzehnten eine Tendenz aus, die Sache Gottes selbst in die Hand nehmen zu wollen. Daher wird es für den einfachen Gläubigen schwieriger, sich zu orientieren. Viele Hirten verlieren ihre Glaubwürdigkeit, weil sie meinen, die Kirche müsse die „Errungenschaften“ unserer Zeit, die „Erkenntnisse“ der heutigen Sozialwissenschaften übernehmen.
Wer sich jedoch in diesem Bereich auch nur ein bisschen auskennt, weiß, wie ideologisch belastet dieser Zweig der Wissenschaft ist. Typisch dafür sind die „Einsichten“ der Sexualforschung, die drauf und dran ist, den Menschen zu dekonstruieren, um ihn von tradierten, in fast allen Hochkulturen bewährten Verhaltensweisen abzubringen. Und diesen Irrweg beschreiten nun viele Hirten. Das zur Kenntnis zu nehmen, schmerzt, bietet aber die Chance, sich selbst mit der zeitlos gültigen Lehre der Kirche auseinanderzusetzen, um zu entdecken, wie lebensträchtig sie ist, im Weltkatechismus außerdem sehr verständlich nachzulesen.
Ich komme noch einmal auf das Thema Panik zurück: Negative Aspekte des Zeitgeschehens zu betrachten, löst dann nicht Panik aus, wenn der Beobachter selbst festen Boden unter den Füßen hat, der ihm die Zuversicht gibt, auch unter sich abzeichnenden schwierigen Bedingungen bestehen zu können. Auf die Bedeutung dieser Tatsache macht uns Jesus am Ende der Bergpredigt aufmerksam, als Er vom Haus spricht, das auf Fels gebaut ist. Als „die Wassermassen heranfluteten, als die Stürme tobten und an dem Haus rüttelten, da stürzte es nicht ein…“ (Mt 7,25)
Wir erfahren also, dass es um uns herum rund gehen wird, Stürme toben und Wassermassen heranfluten werden. Am Haus wird gerüttelt werden. Als Christen werden wir also nicht vor dem möglicherweise bevorstehenden Chaos bewahrt bleiben. Aber wir werden in ihm bestehen können – vorausgesetzt, wir haben unser Haus auf Fels gebaut, unser Leben Jesus Christus anvertraut. Jeden Abend betet die Kirche in der Komplet: „Herr, auf Dich vertraue ich, in Deine Hände lege ich mein Leben.“
Das sollte – eigentlich schon immer – der Schwerpunkt unserer Bemühungen sein. In den sich abzeichnenden Krisenzeiten, bekommt dieses Programm allerdings besondere Aktualität. Wer sich ihm verschreibt, wird auch in ihnen bestehen können.
Das gilt es, sich bewusst zu machen: Wir müssen nicht die Welt und nicht die Kirche retten, nicht das Klima sanieren oder den Frieden in der Ukraine herstellen. Nein, unser primäres Anliegen als Christen wird es sein, uns für das Wirken Gottes in uns und durch uns zu öffnen. Denn Jesus will in dieser Welt regieren, Ihm ist alle Macht gegeben, „im Himmel und auf der Erde.“ (Mt 28,18)
Und damit sind wir beim zweiten wichtigen Aspekt des Programms: „In Deine Hände lege ich mein Leben.“ Auf diese Weise kann auch die Welt letztendlich saniert werden, weil „Gott bei denen, die Ihn lieben, alles zum Guten führt“, wie Paulus an die Römer schreibt (Röm 8,28).
Das sind keine frommen Sprüche, sondern es ist seit 2000 Jahren das Programm, durch das der Herr Seine Botschaft in die Welt getragen und den Glauben immer wieder erneuert hat. Menschen wie die Apostel, die Märtyrer, die großen Glaubenszeugen wie der heilige Benedikt, der heilige Franziskus, der heilige Ignatius, die heilige Teresa von Avila, die heilige Katharina von Siena, die kleine Thérèse von Lisieux und viele andere haben durch ihre Gottverbundenheit die Herzen der Menschen bewegt.
Wer sich auf diesen Weg begibt, an dem geschieht zunächst nichts „Weltbewegendes“. Aber er wird zunehmend inneren Frieden und Freude ausstrahlen und damit seine Umwelt erstaunen. Die Leute werden fragen: Woher hat er das? Er wird ein immer besserer Ehemann werden, der seiner Familie Vorrang vor anderen Interessen einräumt oder eine Mutter, die zugunsten ihrer Kinder zurücksteckt, wodurch diese erfahren, dass Liebe mehr ist als Emotion, sondern Hingabe und Treue. An ihren Eltern können Kinder dann erleben, dass in menschlichen Beziehungen die Liebe Vorrang hat und dass Gott tatsächlich gegenwärtig ist.
Alleinstehende werden entdecken, dass es in ihrem Umfeld ein Fülle von Menschen gibt, die der Zuwendung und Hilfe bedürfen. Und sie werden ihren Dienst so erfüllen, dass sie danach gefragt werden, woher sie die Kraft zu solchem Einsatz nehmen und Lust bekommen, sich der Quelle dieser Kraft zu nähern. Schließlich werden manche Menschen einen besonderen Ruf erfahren, der sie zu Diensten für die größere Gemeinschaft befähigt.
Klingt fast lächerlich für aufgeklärte Ohren, ist aber der bewährte Weg, auf dem Gott die Welt erneuert kann – wenn wir uns auf Ihn einlassen.