VISION 20005/2022
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Der Einzige, für den es sich lohnt zu leben und zu sterben

Artikel drucken Die Realität sehen – und die Hoffnung nicht verlieren (Peter Kwasniewski)

In den schwierigen Zeiten, die wir derzeit erleben, hat die Frage nach der Hoffnung auch in Not­zeiten höchste Prioriät. Christen dürfen darauf vertrauen, dass auch in größter Finsternis das Licht Christi nicht erlischt.

In der säkularen Welt und in der katholischen Kirche gibt es heute sicher genug Anlass zu einer negativen Haltung. Die politischen Strömungen richten sich gegen das göttliche Gesetz und das Naturrecht, von denen wir uns mit rasender Geschwindigkeit entfernen; viele unserer Hirten schlafen bei der Arbeit, tummeln sich mit den Wölfen oder sind dabei, sich in Wölfe zu verwandeln. Ich brauche nicht weiter auf die vielen großen Probleme einzugehen, die uns von überall her bedrängen. Die Frage ist immer, was wir mit der Negativität machen: Werden wir ihr entgegentreten oder lassen wir zu, dass sie in uns eindringt, sich in uns häuslich einrichtet und uns beherrscht?
(…) Am Passionssamstag lautet des Ende des Evangeliums im außerordentlichen Ritus: „Nur noch kurze ist das Licht bei euch. Geht euren Weg, solange ihr das Licht habt, damit euch nicht die Finsternis überrascht. Wer in der Finsternis geht, weiß nicht, wohin er gerät. Solange ihr das Licht bei euch habt, glaubt an das Licht, damit ihr Söhne des Lichts werdet. Dies sagte Jesus. Und er ging fort und verbarg sich vor ihnen.“ (Joh 12,35f)
Die Verse regen zum Nachdenken an, wieviel Dunkelheit es gibt  und wo man dennoch  immer noch das Licht finden kann. Jesus spricht so, als ob das Licht nur für eine bestimmte Zeit vorhanden sei und dann wieder weggenommen werde. Aber Er deutet auch an, dass diejenigen, die an das Licht glauben, selbst zum Licht werden. Und dann hat Er sich selbst versteckt.
Für mich geht es bei der Kirche nicht in erster Linie um die Kirche. Es geht um die Vereinigung mit Christus. In der Taufe bin ich mit Ihm gestorben und auferstanden; in der Eucharistie empfange ich Ihn. Für mich gibt es keinen anderen Grund, der Kirche anzugehören, als garantiert das Leben aus dem Leben, das Licht aus dem Licht zu empfangen. Durch die Zusicherung Gottes gibt mir die Kirche den Zugang zu Ihm – und deshalb bin ich katholisch. Ich bin nicht katholisch, um Zugang zum Klerus oder zur Liturgie zu haben; ich begrüße den (guten) Klerus und die (gute) Liturgie, weil sie mich näher zu Ihm führen, der mein Leben und mein Licht ist.
Auch in anderen Epochen war die Kirche in ihrer Hierarchie korrupt, dennoch haben wir diese Jahrhunderte überlebt, und es folgten Zeiten der Erneuerung, ausgelöst durch diesen oder jenen Reformer, diese oder jene Reformbewegung. Nicht alle, die in dunklen Zeiten lebten, haben die spätere Erneuerung miterlebt. Menschen leben in der Regel nicht lange genug, um große Veränderungen von gut zu schlecht oder von schlecht zu gut mitzuerleben, die sich im Vergleich zu einer normalen Lebensspanne im Zeitlupentempo vollziehen.
Im Gegensatz zu einigen beruhigenden Stimmen, die meinen, die Dinge „ins rechte Licht zu rücken“, glaube ich nicht, dass wir nur eine weitere Krise – und nicht die schlimmste – unter den vielen Krisen durchmachen, die die Kirche Gottes im Laufe von 20 Jahrhunderten Geschichte durchmachen musste. Ganz im Gegenteil: Ich glaube, wir befinden uns auf dem historischen Tiefpunkt der katholischen Kirche auf Erden, neben dem die arianische Krise des vierten Jahrhunderts oder der protestantischen Revolte des 16. Jahrhunderts ziemlich zahm erscheinen.
(…) Aber warum sollten wir glauben, Satan habe Gott zu gu­ter Letzt in die Enge getrieben, Ihn in eine Enge gedrängt, aus der es kein Entrinnen gibt? Halten wir so viel von der Macht Satans –  so wenig von der Macht Gottes?
Letzten Endes gibt es zwei Alternativen: Glaube oder Nihilismus. Für den denkenden Menschen läuft es auf diese beiden hinaus, und das einzige Ziel im Leben ist, ein Heiliger zu werden oder bei diesem Bemühen zu sterben.
Die Heiligen sind Verrückte, aber auch die Atheisten (z. B. Marx, Nietzsche, Derrida, Daw­kins). Ich würde mein Los lieber mit den Heiligen teilen.
Nennen Sie es eine aktualisierte Pascalsche Wette: Ich würde lieber all meine Chancen auf die Verheißung des ewigen Lebens mit Christus nutzen, als die Hoffnung darauf aufzugeben – nur um der kurzzeitigen, letztlich unbefriedigenden Genugtuung willen, ein Pessimist oder Skeptiker zu sein, der sich die Welt ansehen und sagen kann: „Das stimmt: Es ist ein gigantisches, bedeutungsloses Chaos.“ Oder: „Die Kirche ist ein gigantisches, hoffnungsloses Durcheinander. Sie ist nicht das, was sie zu sein vorgibt. Entweder hat Christus gelogen, oder Er hat uns verlassen.“ Oder: „Das Christentum ist ein riesiges Sys­tem der Unterdrückung und Ausbeutung, von dem die Hirten auf Kosten der Schafe profitieren.“
Vor einiger Zeit las ich die Biographie eines Trappistenabtes, Dom Gabriel Sortais, der von 1902 bis 1963 lebte. Er hatte ein feuriges Temperament, war politisch engagiert, war verlobt und wollte heiraten. Dann hörte er den Ruf zum Mönchtum, ließ alles stehen und liegen und wurde Trappist (Mitglied der Zisterzienser der strengen Observanz). So weit, so gut. Aber dann, nach seinen zeitlichen Gelübden, geriet er in eine totale Finsternis, in der er nicht mehr ohne Widerwillen an Gott oder Religion denken konnte. Er setzte aber weiterhin Glaubensakte. Und nach drei Jahren verschwand die Finsternis eines schönen Tages wie die Wolken, die der Sonne weichen.
Kurz darauf wurde er im Alter von 33 Jahren zum Abt der Gemeinschaft gewählt und nahm diese Last, die er nicht wollte, auf sich. Dann geriet er in eine zweite Finsternis, die diesmal die Tugend der Hoffnung betraf. Er konnte nicht glauben, dass Gott ihn liebte oder wollte, dass er in den Himmel komme; er glaubte vielmehr, dass er zur Verdammnis bestimmt sei, und nichts konnte diese Überzeugung erschüttern. Diese Finsternis dauerte viel länger als die erste, aber er blieb fest und betete einfach aus Liebe zu Gott – wie er damals sagte: „Auch wenn ich ein Sünder und ein Verstoßener bin, ist Gott immer noch gut und verdient meine Liebe, also werde ich Ihm alles geben, was ich kann.“
Seine Treue und Liebe während dieser Zeit des inneren Elends haben sich durchgesetzt, und als sich die Dunkelheit endlich verflüchtigt hatte, fand er zu einem Frieden und einer Zuversicht zurück, die trotz der schrecklichen Prüfungen durch nichts mehr zu erschüttern war. Die heilige Thérèse von Lisieux erlebte am Ende ihres Lebens eine ähnlich dunkle Nacht: Sie sagte: „Nur jemand, der durch einen Tunnel wie diesen gegangen ist, kann verstehen, was ich durchgemacht habe.“ Andere Heilige verbrachten Jahre in der Abwesenheit jedes Gefühls oder bewusster Wahrnehmung Gottes.
Sie beteten und arbeiteten jedoch weiter, wie sie es zuvor getan hatten. Und das Licht ließ sie letztendlich nicht im Stich; sie wurden noch mehr „Söhne des Lichts“ und gelangten dazu, das Licht in Person zu sehen – aber mit dem Vorteil: Sie waren bereits geläutert, brauchten keine Läuterung mehr. Die Heiligen, die wir heute als Vorbilder verehren, kannten massive innere Krisen, solange sie auf Erden lebten. Sie hielten durch, auch wenn sie nicht durch den Nebel oder die Dunkelheit sehen konnten. Deshalb sind sie Heilige geworden (für niemanden steht das am Anfang).
(…) Jeder, der versucht, Chris­tus nachzufolgen, wird Prüfungen erleben, genau wie Er es versprochen hat, und wenn Christen es mit der Nachfolge ernst meinen oder wenn sie eine Führungsposition innehaben, können sie garantiert mit massiven inneren Krisen rechnen. Die Frage, die ich mir stellen muss – die Frage, die Sie sich selbst stellen müssen – ist folgende: Tu ich das, was zu tun ist, um meinen Glauben zu nähren? Ich habe einmal einen Priester in einer Predigt sagen hören: „Der Glaube ist wie ein Muskel: Er wird stärker, wenn man ihn trainiert, und schwächer, wenn man es nicht tut.“
Während meines Studiums empfahl mir einmal jemand, jeden Tag ein Stück aus einem der Evangelien zu lesen, um Christus besser kennenzulernen, Ihm neu zu begegnen. Das klingt viel zu einfach und simpel, aber in diesem Ratschlag steckt viel Wahrheit.
Um auf das zurückzukommen, was ich vorhin gesagt habe: Er ist der Grund, warum ich all das tue, was ich tue – oder zumindest wünsche ich mir, es sei die Wahrheit, dass Er es ist. Und warum? „Kein Mensch hat je so geredet wie dieser Mensch!“ (Joh 7,46). Er ist der einzige im ganzen Menschengeschlecht, in der Menschheitsgeschichte, der die Realität durch und durch zu kennen scheint – meine, deine, die von allen, die von allem und jedem. Wenn Er nicht der einzig Wahre ist, derjenige, der es wert ist, Ihm zu folgen, für den es sich zu leben und zu sterben lohnt, dann gibt es nichts anderes, denn nichts anderes kann Ihm das Wasser reichen. Oder besser gesagt, all die anderen guten Dinge sind kleine Leuchten, und Er ist das Licht selbst, an dem sie sich entzünden. (…)
Der tägliche Kontakt mit Gott im Gebet und in der geistlichen Lesung hat nicht zur Folge, dass sich Probleme in Luft auflösen, die Lasten abnehmen oder Übel verschwinden; vielmehr gibt Er uns den Durchblick, sie zu durchschauen und über sie hinaus zu sehen, die Fähigkeit durchzuhalten, bis wir in Ihm ruhen, und die Gewissheit, dass die Übel der Welt endlich, vorübergehend und überwindbar sind. Das gilt auch für die Übel in der Kirche.Wir alle brauchen viel Gnade, um in einer höchst unheiligen und unchristlichen Zeit durchzuhalten. Beten wir mehr denn je, dass der Glauben an Gott, die Hoffnung auf Seine Verheißungen und die Liebe zu Seiner Güte – entfacht aus dem brennenden Ofen der Nächstenliebe, der das Heiligste Herz Jesu ist – wachsen mögen.

Auszüge aus LifeSite News v. 1.6.21. Der Autor ist Philosoph und wirkte am ITI in Trumau/Österreich sowie  später am Wyoming Catholic College in Lander/USA.

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