Mir kommen die Worte einer weisen italienischen Schauspielerin, Anna Magnani, in den Sinn. Als man zu ihr sagte, dass man die Falten entfernen solle, sagte sie: „Nein, rührt sie nicht an! Es hat viele Jahre gedauert, sie zu bekommen: Rührt sie nicht an!“ Das ist es: Die Falten sind ein Zeichen der Erfahrung, ein Zeichen des Lebens, ein Zeichen der Reife, ein Zeichen dafür, einen Weg zurückgelegt zu haben. Man darf sie nicht anrühren, um jung zu werden, aber jung im Gesicht: Interessant ist die ganze Persönlichkeit, interessant ist das Herz, und das Herz behält jene Jugend des jungen Weines, der immer besser wird, je mehr er altert.
Das Leben im sterblichen Fleisch ist eine wunderschöne „Unvollendete“: wie gewisse Kunstwerke, die gerade in ihrer Unvollkommenheit eine einzigartige Faszination besitzen. Denn das Leben hier unten ist „Initiation“, nicht Vollendung: Wir kommen genau so zur Welt, als reale Personen, als Personen, die im Alter voranschreiten, aber immer real sind. Das Leben im sterblichen Fleisch ist jedoch ein zu kleiner Raum und eine zu kurze Zeit, um den kostbarsten Teil unserer Existenz in der Zeit der Welt unversehrt zu bewahren und zur Vollendung zu bringen.
Der Glaube, der die Verkündigung des Evangeliums vom Reich Gottes, für das wir bestimmt sind, annimmt, hat eine erste wunderbare Wirkung, sagt Jesus. Er gestattet es, das Reich Gottes zu „sehen“. Wir werden in die Lage versetzt, wirklich die vielen Zeichen der Annäherung unserer Hoffnung an die Vollendung dessen zu sehen, was in unserem Leben das Zeichen der Bestimmung für Gottes Ewigkeit trägt. Die Zeichen sind jene der Liebe nach dem Evangelium, die von Jesus auf vielerlei Weise erleuchtet werden. Und wenn wir sie „sehen“ können, können wir auch in das Reich „kommen“, mit dem Hindurchgehen des Geistes durch das Wasser, das neu geboren werden lässt.
Das Alter ist der Zustand, der vielen von uns gewährt wird und in dem das Wunder dieser Geburt von oben innerlich angenommen und für die menschliche Gemeinschaft glaubwürdig gemacht werden kann: Es teilt nicht die Sehnsucht nach der Geburt in der Zeit mit, sondern die Liebe zur endgültigen Bestimmung. In dieser Perspektive hat das Alter eine einzigartige Schönheit: Wir gehen dem Ewigen entgegen. Niemand kann wieder in den Schoß der Mutter zurückkehren, und auch nicht in seinen technologischen und konsumistischen Ersatz. Das schenkt keine Weisheit, das schenkt keinen vollendeten Weg, das ist künstlich. Es wäre traurig, auch wenn es möglich wäre. Der alte Mensch geht voran, der alte Mensch geht seiner Bestimmung entgegen, dem Himmel Gottes, der alte Mensch ist mit seiner während des Lebens gelebten Weisheit unterwegs. Daher ist das Alter eine besondere Zeit, um die Zukunft von der technokratischen Illusion eines biologischen und roboterhaften Überlebens zu lösen, vor allem aber, weil es offen macht für die Zärtlichkeit des Schoßes Gottes, der schöpft und zeugt. Hier möchte ich dieses Wort hervorheben: die Zärtlichkeit der alten Menschen. Achtet darauf, wie ein Großvater oder eine Großmutter ihre Enkel betrachten, wie sie ihre Enkel liebkosen: jene Zärtlichkeit, frei von jeder menschlichen Prüfung, die die menschlichen Prüfungen überwunden hat und fähig ist, die Liebe unentgeltlich zu schenken, die liebevolle Nähe des einen zum anderen…
Aus der Ansprache des Papstes an die Mitglieder der Föderation katholischer Verbände Europas am 10.6.22