Im Petersdom herrscht eine Ruhe, wie man sie kaum je erlebt. Der Geräuschpegel ist zwar hoch angesichts der vielen tausend Menschen, die in einem nicht enden wollenden Strom das Kirchenschiff durchqueren. Dennoch ist die Stimmung anders als sonst.
Papst Benedikt XVI. aufgebahrt im Petersdom |
An gewöhnlichen Tagen scheint es, als gehöre die Basilika den Touristen. Die Gläubigen huschen zwischen ihnen dahin und flüchten in ihre Nischen, um zu beten, müssen darum bitten, durch Absperrungen zu Messe oder Beichte vorgelassen zu werden. Nun aber ist die touristische Geschäftigkeit einer gespannten Konzentration gewichen. Die Kirche hat den heiligen Raum für sich zurückgefordert:
Aufgebahrt am Petrusgrab liegt Benedikt XVI., und ein paar Tage lang ist er das Zentrum des Petersdoms, müssen alle touristischen Belange zurückstehen. Um seine Hände windet sich ein einfacher Rosenkranz, um ihn herum sind jene versammelt, die das Privileg haben, in seiner Nähe zu beten.
Weder die Menschenmassen, die stetig von Ordnern am Verstorbenen vorbeigelotst werden, noch das stete Murmeln, noch die zahlreichen Fernsehkameras, die das Geschehen aufzeichnen, können die schlichte, andächtige Gefasstheit stören, die in diesem Bereich herrscht.
Natürlich haben sich nicht nur Gläubige eingefunden: So mancher der 200.000 Besucher, die zur Aufbahrung kommen, scheint zufällig in diesen historischen Moment geraten zu sein. Viele zücken zwanghaft ihre Smartphones, um den Augenblick festzuhalten – obwohl ein Bild diesen Moment ohnehin nicht wiederzugeben vermag. Ein verständlicher Reflex. Dennoch schmerzt es, dass selbst angesichts des Todes so viele Menschen nicht im Hier und Jetzt sein können, eine virtuelle Wirklichkeit dem eigenen Erleben vorziehen.
Aber auch rührende Szenen spielen sich ab: Kleine Kinder, die ganz versunken beten. Die Ordensschwester, die in Tränen aufgelöst ist. Und die Rosenkranzbeterin, die sich vom Ordner einfach nicht weiterscheuchen lässt, sondern beharrlich an der Absperrung bleibt, um für die Seele des Verstorbenen zu beten.
Hier ist die Gemeinschaft der Kirche fassbar, ganz nah und konkret. Dieser Mann hat uns gedient, nun dienen wir ihm. Ein eindrucksvolles und edles Geschehen, das Hoffnung und Trost ausstrahlt. Zum Tode seines Vaters schrieb Benedikt XVI. einst: „Ich spürte, dass die Welt für mich ein Stück leerer geworden war und dass ein Teil meines Zuhauses in die andere Welt verlegt war.“
Nun spüren seine geistlichen Kinder, die Gläubigen, die um ihn trauern, die vielen Menschen, denen er den Glauben nahegebracht oder zurückgegeben hat, eben dies: Die „andere Welt“, oft so fern und diffus, tritt für einen Augenblick klarer hervor. Die Wirklichkeit Gottes umfasst die Seele Benedikts XVI. nun ganz und gar; seine Gebeine bleiben bei uns und legen Zeugnis ab für die Hoffnung, die er Zeit seines Lebens verkündet hat. Eine eindrücklichere Lektion über Leben und Tod, Vergänglichkeit und Ewigkeit, als selbst der größte Theologe mit Worten lehren könnte.