Ernestine Zippusch, eine missionarische Wirtin |
Rohrbach-Berg im Mühlviertel liegt sowohl nahe der tschechischen wie auch der bayrischen Grenze. Der Landgasthof Dorfner, den mein Mann und ich ansteuern, befindet sich gleich in der Nähe der Kirche. Wir haben den Tipp bekommen, ein Portrait der Wirtin Ernestine Zippusch zu machen. Sie sei eine missionarische Seelentrösterin, mit einem besonderen Blick für die Bedürfnisse und Sorgen ihrer Gäste. „Bei uns wird Gastfreundschaft gelebt,“ steht auch auf ihrer Website.
Mit einem offenen, freundlichen Lächeln begrüßt sie uns beim Eingang und führt uns in den sehr gemütlich und liebevoll eingerichteten Schankraum. Wir fühlen uns hier sofort wohl. Frau Zippusch wirkt auf mich ausgeglichen, irgendwie in sich ruhend. Sie verwöhnt uns mit einem Essen, obwohl heute Ruhetag ist. Seit ca. eineinhalb Jahren, nach dem tödlichen Verkehrsunfall ihres Mannes, haben sie und ihre Tochter – die vor 10 Jahren den Gasthof übernommen hatte – auf Frühstückspension (also keine warme Küche mehr) umgestellt.
Mit Erni, wie die Wirtin allgemein gerufen wird, ins Gespräch zu kommen, fällt nicht schwer. Sie erzählt: 1954 – sie selbst ist 1958 geboren – habe der Vater den jetzigen Landgasthof übernommen und umgebaut. „Es war eigentlich immer irgendwo eine Baustelle,“ erinnert sie sich lächelnd. „Und mein Mann und ich haben dann auch wieder umgebaut.“ Ihre Mutter als Wirtin hatte immer sehr viel zu tun. Daher hat Erni – sie ist die ältere von zwei Schwestern – von Jugend an viel in der Gastronomie mitgeholfen. Nach der Schule absolviert sie die Gastronomieschule in Gmunden und geht zur weiteren Ausbildung nach Gastein.
Karl Zippusch, ihren Mann, lernt sie 1979 kennen. Um ein technisches Gebrechen zu beheben war er nach Rohrbach gerufen worden und ist dann im Gasthof abgestiegen. Es bleibt nicht bei diesem ersten Besuch. Mit seinem Motorrad zieht es ihn - trotz der 300 Kilometer – wieder aus der Steiermark ins Mühlviertel. Ein gemeinsamer Theaterbesuch, der wegen beiderseitigem mangelndem Interesse am Theaterstück in der Pause abgebrochen wird, endet am Pöstlingberg und vertieft die Freundschaft. „Ab da haben wir uns regelmäßiger gesehen,“ erinnert sich Erni sichtlich gern zurück.
Ich unterbreche unser Gespräch, denn mir ist aufgefallen, dass auf jedem Tisch ein Kärtchen mit Gebeten steht. Ziemlich ungewöhnlich, aber sympathisch, denke ich und frage die Wirtin, ob sie immer schon gläubig war. „Ja,“ antwortet sie prompt. „Schon der Vater war tiefreligiös. Er hat uns Kindern immer wieder erzählt, welche Rolle der Glaube für ihn spielt. Und die Burschen, die in den Gasthof kamen, hörten gern seine Geschichten. Denn der Vater hat im Krieg viel mitgemacht, aber immer wieder durchscheinen lassen, dass er damals auch viele Wunder erlebt hat, die ihn und andere im Glauben bestärkten.“
Auch die Mutter ist diesbezüglich ein Vorbild. In ihrer Kindheit fragt Erni sie eines Tages: „In der Kirche sitzen immer alte Frauen, die dauernd Rosenkranz beten. Wozu denn?“ Die Antwort der Mutter hat sie bis heute nicht vergessen: „Die beten für alle, die nicht soviel Zeit zum Beten haben wie sie.“ Eine Erklärung, die ihr auch als Kind einleuchtet.
Ob sie je Zeiten erlebt habe, in denen sie sich vom Glauben entfernt habe? „Nein,“ ist die eindeutige Antwort, „aber das war eine Gnade.“ Im Glauben bestärkt wurde sie durch Kurse und Reisen – 1979 durch einen Cursillo, einen kleinen Glaubenskurs, der in den 70-er Jahren viele Menschen zum Glauben geführt hat. Ursprünglich wollte der Berger Pfarrer, dass alle Männer des Ortes diesen Kurs besuchen. Tatsächlich war dann auch ein Großteil von ihnen beim Cursillo. Als Erni auch zu einem solchen Kurs fahren möchte, erklärt der Pfarrer, mit ihren 19 Jahren sei sie noch zu jung. Sie würde das wahrscheinlich nicht verstehen. „Hast du nicht einen Bruder? Der soll fahren,“ sagt er. Nein, habe sie nicht. „Hast du überhaupt schon einen Führerschein?“ Ja, hat sie – und „ich fahre auf jeden Fall,“ lässt sie sich von ihrem Vorhaben nicht abbringen.
Als sie dort ankommt, fragt sie der geistliche Leiter, woher sie komme. Aus Rohrbach. „Ah, von dort hatten wir gerade einen Wirten,“ heißt es. „Der ist mein Vater,“ erklärt sie und erfährt: „Seitdem beten wir im Kurs einen Rosenkranz.“ Ernis Vater hatte nämlich ein Erlebnis aus dem Krieg erzählt: Die Geschichte vom Minenfeld, das er und seine Soldaten überqueren mussten. Mit dem Rosenkranz in der Hand und viel Vertrauen in die Muttergottes, hatte er den Männern erklärt, sie sollten ihm genau in seinen Fußstapfen, einer hinter dem anderen über das Minenfeld folgen. Es erübrigt sich zu sagen, dass alle Männer unbeschadet auf der anderen Seite ankamen.
Am 24. Dezember im Jahr drauf hat ihr Vater einen Herzinfarkt und stirbt noch am selben Abend. Es stellt sich die Frage, wer nun den Gasthof übernimmt. Die Familie entscheidet sich für Erni – die Mutter arbeitet als Angestellte weiter.
Schon in diesen jungen Jahren legt sie alle ihre Tätigkeit in Gottes Hände, erfragt alles im Gebet. Als sie den Betrieb übernimmt, etwa die Frage: Soll sie ihn vergrößern oder nicht? Sie hält Ausschau nach einem Zeichen vom Himmel. Da kommt der Primar vom Spital und erklärt ihr, er würde für fünf Jahre 25 Betten für Internatsschüler der Krankenpflegeschule brauchen. Leider unmöglich, überlegt Erni: Wenn sie nämlich alle Betten an die Schülerinnen vermietet, stünde sie in fünf Jahren ohne Hausgäste da. Also vergrößern? Eine Schwester und einen Priester, die ihren Urlaub bei ihr verbringen, bittet sie um ihr Gebet.
Da ergibt es sich, dass Burschen im Ort ohne Arbeit sind und monatelang stempeln gehen müssten, weil ihre Baustelle gesperrt wurde. Ob sie nicht ausbauen will, fragen die Männer – und werden von der jungen Wirtin prompt engagiert, nachdem ein Architekt, Gast des Hauses, sich bereit erklärt, die Pläne für einen Ausbau zu zeichnen. Bald rennt alles wie am Schnürchen – und sie kann nun sowohl ihre eigenen Stammgäste wie auch die Mädchen unterbringen.
Nun weiß sie aber nicht, was sie dafür verlangen soll. Wieder bittet sie um Gebet. Und siehe da: Ein Gast ersucht sie, ihn am nächsten Tag ins Krankenhaus zu begleiten. Wie sich herausstellt, ist der Mann in Oberösterreich für Internate zuständig. Er nennt ihr eine Summe, die sie für die Miete verlangen soll – die bei weitem das übersteigt, was sie von sich aus genannt hätte. Alles hat sich also in Wohlgefallen aufgelöst. Lächelnd meint sie: „Ich habe mir immer wieder gedacht: Das kann doch unmöglich alles nur ein Zufall sein.“ Nein, wirklich nicht!
1984 heiraten Erni und Karl, aber auch Ernis jüngere Schwester: Also eine Doppelhochzeit. Karl, der ja eigentlich Techniker ist, wird nun also der Wirt vom Gasthof Dorfner. So wie seine Frau ist auch Karl sehr gläubig und stets bereit, seinen Glauben mit anderen zu teilen. So auch mit einer Gruppe von Chinesen, die einmal für einige Tage zu Ostern bei ihnen wohnen: ein Kommissar, zwei Funktionäre, einige junge Männer – auf die der Kommissar stets ein Auge hat – und eine Dolmetscherin. Sie sind in Rohrbach, weil sie das Know-how einer in Rohrbach ansässigen Lederfabrik kaufen wollen, um in China die gleichen Produkte herstellen zu dürfen. Ernis Mann geht mit den Burschen Fußballspielen: große Begeisterung, auch am Karsamstag. Nach einiger Zeit schaut er auf die Uhr und erklärt, nun müsse er aufhören, da er mit der Familie zur Auferstehung gehe. „Auferstehung? Was ist das?“ wollen die jungen Chinesen wissen. Also bekommen sie einen kurzen Glaubenskurs, ungefähr mit den Worten: „... und Jesus, der für uns und unsere Sünden am Kreuz gestorben ist, ist nach dem Tod auferstanden und deshalb immer bei uns.“
Wo denn das gefeiert werde, wollen die jungen Chinesen wissen. In der Kirche! Ob sie mitgehen wollen? Ja, aber dürften sie denn das? Selbstverständlich. So gehen alle mit. Oben auf der Empore haben sie einen guten Überblick über das Geschehen . „Wie wir nach der Kommunion zurück gegangen sind, haben sie uns von oben zugewunken. Es sei sehr emotionell für sie gewesen, haben sie uns gestanden. ,Ihr seid sehr beschenkt’, hat uns die Dolmetscherin übersetzt. Am meisten erwischt hat es den Kommissar, der mitgekommen war, um seine Schäfchen überwachen zu können. Die vielen Gemälde, die schöne Kirche haben ihn fasziniert. Begeistert erzählt er: ‚Dann wird etwas vorgelesen und alle hören zu, dann wird für die, die das nicht verstanden haben, alles erklärt. Und dann bekommen alle noch etwas zu essen – ohne Gedränge’. „ Der hat gestrahlt, gleichzeitig aber haben unsere Gäste die Leere in ihrem Inneren wahrgenommen und vielleicht geahnt, wie sie diese füllen könnten.“
Welche Wirkung dieses Fest auf die Gruppe Chinesen hatte, wird ihr Mann, der nun schon seit 1,5 Jahren bei Gott ist, bereits wissen. Der Samen war gepflanzt. „Für uns war es ein Erfühlen, welches Defizit in diesen Ländern besteht und wie wichtig es ist, dieses zu beheben.“
Viele ähnliche Erlebnisse, Gespräche über Gott und die Welt, über die Sorgen und Ängste von Menschen, die ihr Herz öffnen, kann die Wirtin erzählen. Denn sie ist jemand, der zuhören kann und helfen möchte. Oft schickt ihr Gott auch Menschen, die Hilfe brauchen. So sitzt etwa eines Tages noch ein Hausgast, eine Dame, in der Stube, als Erni zusperren möchte, da es schon spät ist. Die Dame bittet Erni jedoch, sich noch zu ihr zu setzen, was Erni auch tut. „Bleiben Sie länger?“ fragt sie. „Nein, ich bin heute früh in Kärnten losgefahren, ohne besonderes Ziel. Hab mich in einen Zug gesetzt und bin in Linz ausgestiegen. Dort bin ich zu einem Bus gegangen und habe dem Chauffeur gesagt, ich möchte wohin fahren, wo ein Gasthof recht zentral liegt, wo ich essen und schlafen kann und nicht weit gehen muss. In Rohrbach angekommen, hat er gesagt, ich solle in diesen Gasthof gehen.“
Als Erni fragt, wie es ihr gehe, erzählt ihr die Frau, sie habe Metastasen in der Wirbelsäule, starke Schmerzen und werde nicht mehr lange leben. Sie selber sei 35 Jahre Notärztin gewesen. Ihre Situation mit anderen Ärzten zu besprechen, gäbe nichts mehr her. Da gäbe es keine Hilfe, sie sei frustriert. Nachdem sie lange der Wirtin von ihren Sorgen hatte erzählen können – mittlerweile ist es drei Uhr nachts vorbei – rät ihr Erni am nächsten Tag zum Pfarrer zu gehen. Er wohne gegenüber im Pfarrhof, sei ein wunderbarer Beichtvater und für alle Gespräche offen. So geschieht es auch. Nach dem Besuch beim Pfarrer fährt die Dame direkt nach Hause.
Bei der nächsten Chorprobe meint dieser, wenn die Wirtin wieder so einen Fall habe, dann soll sie ihn gleich anrufen. „Um eins in der Nacht?“ Ja auch dann, jederzeit, meint der offensichtlich wunderbare Pfarrer (Alfred Höfler). Bald meldet sich die Dame telefonisch bei Erni: „Es war wunderbar. Nun mag alles geschehen, es ist alles recht. Ich bin jetzt auf eine andere Art geheilt,“ erklärt sie ihr froh. Mittlerweile ist sie verstorben, höre ich und bin sicher, Erni hat auch ihr damals eine wundertätige Medaille mitgegeben.
Denn jeder Gast bekommt eine wunderbare Medaille. Diese liegen auch in den Zimmern auf, ebenso wie gute christliche Bücher und Zeitschriften – übrigens auch Vision2000! Alles kann der Gast nach Hause nehmen. Erni ist nämlich geradezu „un-verschämt“ missionarisch. Sie lacht und ist ziemlich sicher, dass jeder ihrer Gäste, die – mittlerweile ist es Sonntag – nebenan in der Gaststube sitzen, eine Medaille in der Tasche hat. „Wir werden von den Gästen, die bei uns absteigen und die Gebete, christliche Zeitschriften und Bücher im Zimmer oder bei Tisch vorfinden, oft gefragt: ,Und Sie glauben das alles?’ Auf diese Weise ergeben sich oft wichtige, tiefe Gespräche.“
Und weiter sinniert die Wirtin: „Ich denke, dass gerade junge Leute oft einen besseren Zugang zu Außenstehenden haben, um über persönliche Themen zu reden, als vielleicht zu Hause.“ Dann seien sie auch eher bereit zuzuhören oder einen Rat anzunehmen – etwa den, den einen oder anderen Psalm zu lesen, in dem eine Antwort stecken könnte. So rät manchmal Erni jedenfalls. Es kann aber auch sein, dass sie Gäste, die sehr früh zum Frühstück kommen, einlädt, doch mit ihr die Frühmesse zu besuchen. Ich bin beeindruckt.
Eines Tages fragt sie ein junges Ehepaar, das gerade ein Baby bekommen hat, ob es schon getauft sei. Als die Mutter erklärt, sie selbst sei ja auch nicht getauft, bietet sie ihr ein Gespräch mit dem Pfarrer über die Taufe an. Und siehe da, nach einem Glaubensunterricht werden Mutter und Kind getauft und es gibt eine große Tauffeier. Die Familien sind begeistert.
Ein anderes Mal kommt ein junger Bursch, der wusste, dass die Wirtin eine gute Adresse ist, um seine Verzweiflung abzuladen, und erzählt, die Freundin habe ihn verlassen, er habe das Auto kaputtgefahren – und weitere Probleme kämen noch dazu. Erni macht sich Sorgen, er könnte aus lauter Verzweiflung einen Blödsinn machen. Nach einem langen Gespräch gibt sie ihm eine wundertätige Medaille – und hilft ihm auch finanziell etwas aus. Lange Zeit sieht sie ihn nicht mehr. Eines Tages erscheint er mit einem Anhänger. Zwei Gäste helfen ihm beim Ausladen: Es ist ein Kirschholz- Schubladenkasten, den er selbst gebaut hat und der Wirtin nun aus Dankbarkeit schenkt. Es muss also ein gutes Gespräch gewesen sein – und sicher hat die Muttergottes (die wundertätige Medaille) auch das ihrige zum Erfolg beigetragen.
Samstag 26. Juni 2021: In der Früh erzählt Pfarrer Anton Lässer in Radio Maria: Er sei zu einem Sterbenden gerufen worden, der dann aber keinen geistlichen Beistand wollte und sowieso keine Gebete kenne. Der Priester geht zur Türe, ist schon im Hinausgehen, da ruft ihn der Sterbende noch einmal zu sich: Er wisse doch ein Gebet: „Jesus, Dir leb’ ich, Jesus Dir sterb’ ich, Jesus Dein bin ich im Leben und im Tod.“ Erni erinnert sich: „Mein Mann und ich haben dann darüber geredet, wie schön es ist, sagen zu können‚ Dein bin ich im Leben und im Tod.“
Am selben Tag sind sie bei der Tochter Doris, die auf einem Bauernhof in der Nähe lebt, zu Besuch. Mit den Enkelkindern (sechs und acht Jahre alt) wollen sie über einem Feuer Knacker braten. Ein schöner Tag. Als es ans Nachhause-Fahren geht, fährt Erni mit dem Auto vor und ihr Mann verlässt etwas später die Tochter, um mit seinem Oldtimer-Motorrad heimzufahren. Beim Überqueren einer Kreuzung gleich in der Nähe des Bauernhofs wird er von einem Auto regelrecht „abgeschossen“. Er ist auf der Stelle tot. Ein Notarzt, der zufällig kurz danach vorbeikommt, kann nur mehr diese Tatsache feststellen. Die Tochter ruft die Mutter an: ‚Der Papa hat es nicht geschafft.’ Erni fährt sofort zurück und als sie ihren Mann in den Armen hält, gibt sie ihm das mit, was sie in der Früh in Radio Maria gehört hat: „Jesus Dir leb’ ich, Jesus Dir sterb’ ich, Jesus Dein bin ich im Leben und im Tod.“ Damit übergibt sie ihn dem Herrn.
„Und es war wieder so wie bei meinem Vater: Ich bin nicht in ein großes Trauerloch gefallen. Wenn mich wer fragt, wie es mir geht, so merken die Leute, dass ich diesen Tod meines Mannes im Glauben tragen darf. Warum soll ich hadern wenn der Herr die Quelle aller Weisheit ist? Dann brauch ich gar nicht erst fragen, wie es anders sein könnte.
„Hast du das Gefühl, dass er da ist?“, wird sie manchmal gefragt. Dann antwortet sie: „Also da, bei mir, ist unser Herr, der auferstanden ist. Etwas anderes weiß ich nicht. Ich kann nur darum beten, dass Karl erlöst ist. Wir leben so als wäre er erlöst, ohne Angst… Natürlich ist nicht jeder Tag gleich,“ fügt sie hinzu. Und: „Ich habe mich schon oft bedankt, dass ich, aber auch meine Tochter, die Beerdigung und alles so erlebt haben, als ginge Jesus zwischen ihr und mir. Auch sie war so behütet, obwohl es so ein Schock war. Die Ärzte, die wir kannten, wollten uns etwas geben um das besser aushalten zu können, stellten aber schnell fest, dass wir nichts gebraucht haben.“ Dann fährt sie in ihren Gedanken fort: „,Trauert nicht wie die Heiden, die keinen Glauben haben’, heißt es ja. Wenn wir glauben, dann ist jetzt der Moment, wo wir ihn wirklich brauchen. So war es auch. So etwas von Nähe von Jesus habe ich noch nie gespürt und auch Doris nicht.“
Da Erni nun in Pension ist, beschließen sie, dass der Gasthof nun als Frühstückspension geführt wird. Da stellt sich natürlich die Frage der Auslastung. Und wieder ergibt sich eine segensreiche Fügung: „Der Direktor der kaufmännischen Berufsschule ist mit einer Bitte gekommen: ‚Wir haben eine duale Akademie, können aber nicht alle Schüler im Internat unterbringen. Können die bei Euch unterkommen? Die Versicherungen oder Banken, die ihre Mitarbeiter herschicken, zahlen ihnen während der Ausbildung das Quartier. Seitdem sind wir gut ausgelastet,“ freut sich Erni. „Elf Wochen sind die Gäste jeweils da. Da wird schon am Abend, wenn alle beieinander sitzen, vieles besprochen: über die Akademie, wenn es dort gerade Prüfungen oder Lernprobleme gibt. Auch meine jetzige Situation kommt immer wieder zur Sprache, wie ich verkrafte, dass mein Mann gestorben ist… Und so ergeben sich viele schöne Gespräche.“
Erni – wir sind schon längst per Du – ist froh in der Pfarre eingebettet leben zu können. Diese ist recht lebendig: Es gibt fünf Sonntagsmessen, viele Runden, sowohl Frauen- wie Männerrunden, fünf Chöre – und das bei 5000 Einwohnern. Die Musikanten, die Chöre, treffen sich genauso wie die Golfer, die Bauern, die Alten oder der Museumsverein. Es heißt immer: Wo kommen wir zusammen? „Am Sonntag nach der Kirche im Gasthof Dorfner.“ Und da treffen sich die Männer nach der Frühmesse, die Frauen nach der nächsten Messe. Wie Erni es so gerne möchte, wird vor allem in der Kirche, aber wohl auch danach im Gasthof „all das Schlechte, das Traurige von unserer Festplatte gelöscht.“ Das sei wichtig und habe viel mit Verzeihen zu tun, aber auch mit dem Füreinander-Dasein. Wie das geht, merke ich, als Doris hereinkommt und unser Gespräch unterbricht, weil jemand im Gastraum Geburtstag hat. Erni begleitet die Tochter und sie stimmen an: „Der Herr segne dich, der Herr behüte dich…“