VISION 20002/2023
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Abschied vom Glauben, Heimkehr in die Kirche

Artikel drucken Zeugnisse von Menschen, die auf unterschiedlichen Wegen Gott wieder oder neu entdeckt haben (Elisabeth Caillemer & Antoine Pasquier)

Wieviele Menschen bekommen zwar als Kinder noch etwas vom Glauben mit, verlassen dann aber spätestens nach der Firmung die Kirche. Einige aber kehren zurück. Im Folgenden die Geschichte einiger solcher Heimkehrer.

    
Rein aus Tradition empfangene Firmung ist häufig
auch Abschied von der Kirche
 

Mitten in ihrem katholischen Lebenslauf gibt es da ein Loch von zehn, 20 oder 30 Jahren. Zwar getauft, im Glauben unterrichtet, ja manchmal sogar gefirmt, haben sie die Tür zur Kirche hinter sich zugeworfen. Oder einfach aufgehört, sie zu öffnen – um sie Jahre später wieder aufzustoßen. Man nennt sie Heimkehrer. Ihre Geschichten sind schön, bewegend, ermutigend. Manchmal schmerzlich, immer lehrreich. Folgen mangelnder oder ungeschickter Weitergabe des Glaubens erinnern sie daran, dass es im Glauben keinen Automatismus gibt, weil er auf unserer Freiheit beruht. Diese Zeugnisse einer Rückkehr zur Kirche liefern Anhaltspunkte, wie man den uns Nahestehenden helfen könnte…
Ludovic de Villepin ist 42 Jahre alt. Er erhielt eine katholische Erziehung, die er als „klassisch“ bezeichnet. Seine Eltern „waren sehr engagiert in der Pfarre“. Er ist zur Erstkommunion gegangen, legte sein Glaubensbekenntnis ab und wurde gefirmt. „Ich hatte den Eindruck, diese religiösen Etappen wie Prüfungen bei Skikursen zu bestehen. Ich wurde zwar nicht gezwungen, die Messe zu besuchen, aber doch von meinen Eltern gedrängt. Emotional hat mich das dort nie berührt.“ Des Kampfes müde, hörte er mit 20 auf zu praktizieren.
Alix Beil, 34-jährig, ist in einer praktizierenden katholischen Familie in Versailles groß geworden. Auch sie blickt auf ihre Karriere zurück: Sakramente – katholische Schule – Katechismus – Sonntagsmesse – Pfadfinder. Rein mechanisch. Bis sie es satt hatte: „Mit 14-15 wurde mir bewusst, dass ich keinen Glauben hatte, dass ich das vor allem aus Tradition tat. Ich sagte meinen Eltern, dass ich nicht mehr in die Messe gehen will – etwas herausfordernd. Wohl rechnete ich damals damit, man würde es mir erklären. Aber da kam nichts. Also habe ich halt weiter praktiziert, gezwungenermaßen.“ Nach der Matura endlich „frische Luft schnappen“. Alix ist zum Studium nach Deutschland übersiedelt. „Da entdeckte ich, dass es anderes gab als die enge Welt daheim, in der ich aufgewachsen war. Ich passte mich an, beeinflusst von einer Gesellschaft, die nichts von Transzendenz hält. So bin ich Agnostikerin mit atheistischem Touch geworden, habe meine Herkunft verleugnet – und damit Gott.“
Ist elterlicher Druck also verhängnisvoll? Das Gegenteil ist nicht besser. Es gibt mehrere, bei denen es mangels eines tragfähigen Umfeldes ähnlich ausgegangen ist wie bei Ludovic und Alix. Von der 68-er-Ideologie beeinflusste Eltern hatten sich vom Glauben verabschiedet.
Aus einer Art Erziehungsreflex hatten sie ihnen Ansätze einer christlichen Erziehung angedeihen lassen. Ein Minimalprogramm: Taufe und Privatschule – und das zu einem Zeitpunkt, in dem mangelhafter Religionsunterricht zu wüten begann. „Ich hatte einen Gitarre-Malerei-Unterricht. Damals fand ich das nett, später aber erkannte ich, dass ich nichts mitbekommen hatte, was meinen Glauben vertieft hätte,“ erinnert sich Natalie Chambon, 50 Jahre alt, deren Eltern keine regelmäßigen Kirchgänger waren.
„Zuhause war Religion kein Thema,“ gesteht Florence, 47 Jahre. „Meine Eltern waren bei meiner, von der Schule veranstalteten Erstkommunion anwesend, weil es so Familientradition war – und weil es dazugehörte. Damals war es undenkbar auszuscheren. In der Messe aber waren wir nie. Meine Tante nahm mich am Palmsonntag und zu Ostern mit.“
Auch die Eltern von Christophe Haye gingen nie in die Messe, „außer zu den großen Festen, um meinen Großeltern eine Freude zu machen,“ erinnert er sich. „Als ich Ministrant war, brachten sie mich sonntags zur Kirche und kamen mich nachher abholen. Später bin ich allein mit dem Rad hingefahren. Wenn es regnete, hat mich der Pfarrer abgeholt. Ich war kein Einzelfall, bei den anderen Ministranten war es ähnlich.“ Christophe war Ministrant, bis er 20 wurde. Als Teenager war er Mitglied in einer Bewegung, hat an Lagern, die der Pfarrer organisierte, teilgenommen. Mit 21 war dann Schluss. „Für meine Altersgruppe gab es keine Angebote mehr, und in der Schule war ich umgeben von Leuten, die dem Glauben fern standen. Ohne richtig darauf zu achten, habe ich mich von der Kirche entfernt, aber weiter das Grab der Groß­mutter besucht, um dort zu beten. Sie war sehr gläubig; sie hat mir das Vaterunser beigebracht.“
Florence und Nathalie haben auch langsam aufgehört zu praktizieren. „Aber weiterhin die erlernten Wahrheiten akzeptiert,“ schwächt Florence ab. „Ich war zwei, als mein Großvater starb. Meine Großmutter hat mich immer auf den Friedhof mitgenommen. Sie sprach dort zu ihm. Mehr als der Religionsunterricht haben diese Friedhofsbesuche meine Überzeugung von der Exis­tenz Gottes und vom ewigen Leben in mein Herz eingraviert.“
Und eines Tages, sind diese rebellischen, verärgerten oder gleichgültigen Schafe in den Stall heimgekehrt – ausgelöst durch ein besonderes Ereignis. Oft ein schmerzliches.
Alix verlor plötzlich ihren Vater. Das weckte in ihr das Bedürfnis nach Transzendenz. Wohl um diese wiederzuentdecken, meint sie, begann sie wieder in die Messe zu gehen. Ihre Cousine hat ihr vorgeschlagen, an einer Wallfahrt mit „jungen Profis“ teilzunehmen. „Sie hat mich gewarnt, es würde täglich eine Messe geben. Es hat mich nicht geschreckt. Dank der Impulse, der gemeinsamen und persönlichen Gebete erlebte ich eine tiefe Got­tesbegegnung. Ich habe den Glauben nicht wieder-, sondern jetzt erst gefunden. Das hatte ich immer schon gesucht.“ Um „den Glauben mit der Vernunft zu verbinden“, besucht Alix zwei Jahre lang einen Kurs. Sie hat sich auch in der Gemeinschaft „Die Arche“ engagiert. Eine Offenbarung: „Bei diesen behinderten Personen wurde mir klar: Gott ist nicht oben, sondern mir gegenüber.“
Florence ist mit dem Himmel wieder in Kontakt getreten, als ihr der Arzt empfahl abzutreiben, weil ihr Kind vielleicht taub sein könnte. „Auch mein Mann wollte nicht, dass ich es behalte. Das war sehr schlimm. Mir war klar, dass ich Hilfe von oben brauchen würde, um da herauszukommen. Also habe ich mich instinktiv an Gott gewandt. Ich habe alles in Seine Hände gelegt. Und Er hat mich erhört.“ Ihr Mann gab nach, das Baby kam zur Welt – ohne jeden Schaden.
Florence wollte nun den Gott ihrer Kindheit wiederentdecken. Sie kannte Ihn eigentlich gar nicht. Auf einem Pfarrbrief im Postkasten entdeckte sie die Mail-Adresse der Pfarre. „Ich hätte mich nicht getraut anzurufen. So habe ich schriftlich angefragt, ob es Katechese für Erwachsene gäbe. Jetzt wollte ich die Glaubenswahrheiten und Dogmen kennenlernen – im Gegensatz zur Schulzeit.“ Zu ihrer großen Überraschung läutete einmal ein Pfarrmitglied an, um mit ihr über den Alpha-Kurs zu reden. Sie hat sich angemeldet, und er hat ihr mehr geholfen, als sie erhofft hatte.
Nicht selten ist das Ehesakrament die erste Etappe einer Rückkehr zur Kirche. In der Zeit, da sie ihr Leben als Erwachsene beginnen, spüren einige ein geheimnisvolles Bedürfnis, vor Gott ihre Bindung einzugehen. Natalie wollte eine religiöse Eheschließung – „aus Tradition“. Dann hat sie automatisch ihre Kinder in eine katholische Privatschule eingeschrieben. Dann ging es Schlag auf Schlag. Sie trat dem Elternverein bei, dann dem Verband katholischer Elternvertretungen – ohne sich deren katholischen Hintergrunds be­wusst zu sein.
In diesem Umfeld hat sie ihre Freundinnen dann auch zur Messe begleitet. Eines Tages hat eine von ihnen ihr gesagt: „Du bist doch sportlich, komm mit mir auf die Wallfahrt nach Chartres!“ „Ich habe zugesagt, ohne zu wissen, worauf ich mich da einließ,“ erzählt Natalie. „Am ersten Tag fragte ich mich, wo ich da hingeraten sei. Verblüfft sah ich junge Leute, die lange auf den Knien beteten. Ich kannte weder den Rosenkranz noch die Beichte, noch die Messe im außerordentlichen Ritus. Ich war verloren, aber von all dem überwältigt. Am zweiten Abend war ich bei der Anbetung. Auch das kannte ich nicht. Und da habe ich gehört, wie der Herr mir gesagt hat: ,Ich liebe Dich, folge mir nach.’“
Natalie bat daraufhin einen Priester, sie geistlich zu begleiten, nahm an einen Alpha-Kurs teil und bei „Mütter beten“. Schließlich schloss sie sich einer Evangelisationsgruppe an und macht Hausbesuche. „Ich musste viel lernen und die verlorene Zeit aufholen,“ erklärt sie.
Seine Ehe mit einer praktizierenden Katholikin hat Ludovic dazu veranlasst, wieder in die Messe zu gehen – zeitweise. „Ich hatte weiterhin keinen Glauben, ging mit, um ihr eine Freude zu machen.“ Als die Kinder zur Welt kamen, war er einverstanden, dass sie getauft wurden. Aber sein Sonntagvormittag war dem Wandern gewidmet. Mehrmals war ihm aufgefallen, dass seine 10-jährige Tochter ihren Rosenkranz vor ihm versteckte, wenn er in ihr Zimmer kam, um ihr ein Bussi zu geben. Eines Abends sagte sie ihm, wenn er lieber laufen als in die Messe gehe, sei er drauf und dran, einen Freund zu verlieren: Jesus. „Das hat mich getroffen,“ gesteht er. Als ihm dann sein Vater vorgeschlagen hat, zur Väterwallfahrt nach Cotignac mitzukommen, macht er mit, „um beiden eine Freude zu machen.“
Zur Freude seiner Frau und seiner Kinder kehrt Ludovic verklärt nach Hause zurück. Er baut in seinem Garten ein kleines Oratorium. Heute liest er das Evangelium, bevor er zur Messe geht, bereitet mit seiner Familie große religiöse Feiertage vor... und hat sogar Famille Chrétienne abonniert! „Der Besuch der Sonntagsmesse reicht nicht aus. Man muss nebenher konkrete Dinge machen, etwa Exerzitien und Pilgerfahrten. Ich glaube, das ist es, was ich in meiner Jugend vermisst habe. „In ein paar Jahren,“ verspricht er, wenn sein Sohn 13-14 Jahre alt sein wird, werden sie gemeinsam nach Cotignac aufbrechen.
Als er kirchlich heiraten wollte, hat Christophe etwas in Gang gesetzt, das seine ganze Familie durcheinanderbringen sollte. Seine Frau, die nicht getauft war, fand das nicht so toll, aber „war nicht dagegen“. Ein erster Priester weigerte sich, sie zu trauen. Christophe wandte sich dann an den Priester seiner Kindheit. „Er sagte zu und teilte uns mit, dass er die Gelegenheit nutzen würde, um unsere Tochter zu taufen.
Die Familie wuchs, Christophe wollte, dass seine Kinder in den Religionsunterricht gehen sollten. Bald erhob sich die Frage nach der religiösen Praxis. „Ich wollte meine Frau nicht drängen, aber wir mussten konsequent sein. Wir konnten uns nicht damit begnügen, die Kinder nur zum Religionsunterricht zu bringen.“
Der liebe Gott hielt Wache. Als Zimmermann wird Christophe von den Priestern der Gemeinschaft Saint-Martin gebeten, das Kreuz für einen Kreuzweg anzufertigen. Eingeladen zur Segnung des Kruzifixes, kommt er mit seiner Frau. „Sie hat die Pries­ter kennengelernt, der Funke ist übergesprungen. Ich beschloss, wieder zur Messe zu gehen, und sie begleitete mich. Während der Predigten merkte ich, dass etwas geschah. Eines Sonntags, am Ende der Messe, bat sie, ohne es mir vorher zu sagen, um die Taufe. Und ich nutzte die Gelegenheit, um mich auf die Firmung vorzubereiten.“ Heute ist Christophe dem Priester dankbar, der zugestimmt hatte, sie zu trauen, und den Priestern von Saint-Martin, die die rechten Worte gefunden und sie willkommen geheißen hatten.
Wie die Wege auch immer sein mögen, das Schaf, das zur Herde zurückkehrt, vermehrt die Herde. Und es trägt zum Wachstum jener bei, die mit ihm unterwegs sind.

Auszug aus Famille Chrétienne v. 12.-18.1.19


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