Ein verständlich geschriebenes Buch, das ich zum zweiten Mal gelesen habe, denn es setzt sich mit einem zentralen Thema auseinander: mit der Frage, wem wir heute – auch in der Kirche – eher folgen: dem „Zeitgeist oder dem Geist der Zeit?“ – so der Titel des Werkes.
Wie relevant und bedrängend die Frage ist, macht Pfarrer Richard Kocher, Programmdirektor von radio horeb, mit einem Zitat von Papst Paul VI., das er anstelle eines Nachwortes bringt, deutlich. Da heißt es: „Wenn ich die katholische Welt betrachte, scheint es, dass im Inneren des Katholizismus manchmal ein Denken von einem nicht katholischen Typus die Oberhand gewinnt, und es kann geschehen, dass morgen dieses nicht katholische Denken im Inneren des Katholizismus das stärkste sein wird. Aber es wird nie das Denken der Kirche darstellen. Es ist notwendig, dass eine kleine Herde bleibt, wie klein sie auch immer sein mag.“ Wohlgemerkt: Es ist ein Wort aus dem Jahr 1977.
Wie aktuell ist es in unserer Zeit geworden, in der Bischöfe und Kardinäle sich in grundlegenden Fragen der Moral bekriegen und der Synodale Weg die deutsche Kirche in die Irre führt! Welche Verunsicherung das unter Gläubigen hervorruft, bekommt Pfarrer Kocher als Leiter eines Radios, das sich der zeitlos gültigen Lehre der Kirche verpflichtet fühlt, hautnah mit. „Ich glaube aber behaupten zu können, dass wir noch nie eine solche Verunsicherung bei den Gläubigen erlebt haben wie derzeit. Jeden Tag bekommen wir 50 bis 60 Rückmeldungen durch unsere Zuhörer, die dies belegen.“
Hier Abhilfe zu schaffen, ist das Anliegen von Kochers Buch. In elf recht unterschiedlichen Kapiteln versucht er, dem Leser eine Hilfestellung bei der Unterscheidung an die Hand zu geben. In den ersten beiden blickt der Autor auf die auch kirchlich unterstützte Kriegseuphorie im Ersten Weltkrieg und von beachtlichen Teilen der – vor allem der Evangelischen – Kirche bejahten nationalsozialistischen Ideologie zurück. In beiden Fällen war die einseitige Lektüre der Frohen Botschaft der Hebel zur Irreführung. Kochers Schlussfolgerung: „Doch täuschen wir uns nicht: Es ist eine große Verpflichtung, die Botschaft unverfälscht in sich zu empfangen; deshalb gibt es so viele von uns, die sie schminken, verstümmeln, verharmlosen…“
In weiteren Kapiteln spricht der Autor unterschiedliche Themen an: Unsere Verführbarkeit, weil wir sein wollen wie die anderen; die Notwendigkeit, Irrwege zu verlassen, um sich Jesus anzuvertrauen, sprich umzukehren; die Bereitschaft zu ertragen, dass man belächelt wird und auf Widerstand stößt… Damit zurechtzukommen, ist nun einmal nicht leicht. Mit dem Strom „mitzuschwimmen und dem Zeitgeist unkritisch gegenüberzustehen, ist das Schlimmste, was die Kirche tun kann,“ hält Kocher fest. „Nahe bei den Menschen zu sein, darf auf keinen Fall dazu führen, sich zum Komplizen des Menschen gegen Gott zu machen.“
Ausführlich behandelt der Autor die prophetische Berufung der Kirche. Sie müsse „die Menschen mit der Vertikalen konfrontieren, der Perspektive Gottes. Das ist ihr genuiner prophetischer Auftrag, dem sie nicht ausweichen darf. Sie darf sich nicht in tagesaktuellen Geschehnissen verlieren, weil dies nicht ihre Sendung ist, sondern muss diese im Licht der Offenbarung reflektieren und von dort her Antwort geben.“
In den Schlusskapiteln steht die Frage im Raum: Was kann die Kirche heute tun, um ihrem Auftrag besser gerecht zu werden? Kochers Antwort: Es bedarf einer pastoralen Neuausrichtung. Ihr Schwerpunkt: die Evangelisierung. Wir Christen müssten vor allem Christus besser kennen und lieben lernen. Das zeichne den Jünger Christi aus. Am Ende des Matthäus-Evangeliums kann jedermann klar und deutlich das zentrale Anliegen des Herrn nachlesen: In die ganze Welt zu gehen und überall die Menschen zu Jüngern zu machen.
Zeitgeist oder Geist der Zeit. Von Richard Kocher. Media Maria Verlag 2022, 189 Seiten, 20,50€.