Als Christus geboren wurde, rief der Engel den Hirten zu: „Fürchtet euch nicht, ich verkünde euch eine große Freude – gaudium magnum!“ Einen solchen Engelsruf würde ich mir heute manchmal für mich persönlich und für die ganze Kirche in Europa wünschen, denn viel „Freude“ macht mir die Kirchensituation derzeit nicht. Und ich habe das Gefühl, dass es vielen so geht, die den Glauben ernst nehmen.
P. Karl Wallner auf einer seiner Reisen nach Afrika, … |
Können wir etwas tun, um wieder mehr Freude zu haben; oder zumindest: dass wir uns nicht noch weiter runterdrücken lassen?
Meine Tätigkeit für die Päpstlichen Missionswerke hat mich bisher in 18 Länder Afrikas, Asiens und Südamerikas geführt. Der Kontrast innerhalb der Weltkirche ist groß: Vor allem in Afrika gibt es Aufbruchstimmung und Wachstum. Der Glaube ist stark, die Liebe zu den Sakramenten groß. Die größte Herausforderung ist es, das Wachstum zu bewältigen. Missio konnte 2022 Gott-sei-Dank 3 Priesterseminare in Uganda ausbauen, sonst hätten 130 Priesterstudenten abgewiesen werden müssen... Die Kirche wächst weltweit jedes Jahr um ca. 16 Millionen, am stärksten in Afrika.
Bei uns in Europa hingegen schmilzt der Glaube an Jesus Christus, und zwar schneller als jeder Gletscher! Unsere Schrumpfungskurve geht immer steiler nach unten. In meiner Geburtstadt Wien sind nur noch 31 Prozent katholisch, 38 Prozent deklarieren sich mittlerweile als glaubenslos, und der Islam wird schon aufgrund der demographischen Entwicklung in wenigen Jahrzehnten die Mehrheitsreligion sein. Kein Wunder, dass auch viele Verantwortungsträger depressiv sind, weil ihre Hauptaufgabe darin besteht, im Schwund des Bisherigen zu retten, was zu retten ist…
Nein, die Kirche wird nicht untergehen. Aber wir müssen realistisch sein: Auch wenn es Aufbrüche in der Kirche gibt: Wir sind noch lange nicht an der Talsole angekommen. Es macht mich traurig, dass ich in meiner Kirche viel zu wenig „Fischerwille“ finde. Haben wir die Sehnsucht zu wachsen? Haben wir die Sehnsucht nach vollen Netzen? Papst Franziskus appellierte in seinem Antrittsschreiben „Evangelii Gaudium“, dass jetzt alles missionarisch werden soll. Und was tun wir dazu?
Wenn es schon mir so geht, der ich die junge mutige wachsende Kirche im Süden erleben darf, wie trüb muss es dann bei denen ausschauen, die „nur“ das große Schrumpfen hier erleben? Wie geht es den Priestern und pastoral Engagierten in den Pfarren? Nach Corona kommen noch weniger in die Kirche, der Altersschnitt steigt und steigt. Wie geht es den Eltern und Großeltern, die sich so sehr bemüht haben, um ihren Kindern den Glauben schmackhaft zu machen? So viele leiden, weil alles scheinbar fruchtlos war. Wie geht es den Engagierten, die mit neuen Ideen einen missionarischen Aufbruch wollen. Wie oft müssen sie sich innovativen Gremien unterordnen und werden durch Strukturen nicht gefördert, sondern aufgerieben und blockiert. Wie geht es denen, die den Glauben ernst nehmen wollen und sich an die Lehre der Kirche halten wollen? Sehen sie sich nicht oft gerade deshalb, weil sie es ernst nehmen wollen, mit Ablehnung und Ausgrenzung innerhalb ihrer eigenen Kirche konfrontiert?
Also: Wie sollen wir da zu Freude kommen? Ich muss dazu den Kirchenfrustrierten, die das lesen, sagen: Wir sind von Bethlehem weg zwar alle zum „gaudium magnum“, zur großen Freude, berufen. Aber Jesus hat die Jüngerschaft immer mit der Bereitschaft verbunden, ihm als dem Kreuztragenden nachzufolgen. Echte Fruchtbarkeit kommt aus der Bereitschaft, in diese Situation hineinzusterben. Nicht weggehen! Das Geheimnis vieler Heiliger war es, dass sie „durch die Kirche für die Kirche“ gelitten haben. Das macht fruchtbar. Oder, wie es der verstorbene Sozialanalytiker Johann Millendorfer ausgedrückt hat: „Die Kirche ist die Infrastruktur für die Heiligen, die sie nicht verhindern konnte.“
Zurück zur Freude: Neben der Pflicht, das Kreuz, das einem manchmal die eigene Kirche bereitet, anzunehmen, gibt es auch das Recht, alles zu versuchen, um aus kirchenbedingter Frustration und Depression rauszukommen. Ich möchte dazu die Tipps, die der heilige Thomas von Aquin († 1274) gegeben hat, weitergeben. Diese „Antidepressiva“ – er spricht von „Medikamenten gegen die Traurigkeit“ (remedia contra tristitiam: S. th. I-II, qu. 38) – empfiehlt Thomas gegen jede Form von persönlicher Traurigkeit. Ich möchte sie im besonderen gegen die Bedrückungen empfehlen, die der Zustand der heutigen Kirche in unseren Seelen hervorrufen kann.
1. Das erste Medikament nennt Thomas die „delectatio“, das heißt eigentlich „Genuss“. Also nicht bloß „Freude“, sondern „Genuss“. Mein Tipp: Wenn Dir die Freude am Glauben, am Christsein, an Deiner Kirche, an Deiner Pfarre ausgeht, dann suche doch etwas, das Dich besonders „delektiert“. Was baut Dich besonders auf? Eine Wallfahrt, Exerzitien, ein aufbauender christlicher Film, ein Glaubensevent, ein guter christlicher Vortrag? In Frustrationsphasen genügt mir oft schon eine Viertelstunde vor dem Allerheiligsten und ab und zu eine Wallfahrt, heuer etwa nach Medjugorje.
2. Als zweites empfiehlt Thomas „die Tränen“. Ja, wenn man über etwas weinen kann, dann befreit das, dann löst das innere Verspannungen und Krämpfe. Wenn der Kirchenfrust zu groß ist, dann dürfen wir ihn „rauslassen“ und Gott hinhalten. Vor dem Tabernakel, im persönlichen Gebet. Wir dürfen nicht nur, wir sollen es dem Herrn der Kirche sogar sagen, was uns leiden macht und uns die Freude raubt…
3. Das dritte Medikament ist nach Thomas die „amicitia“, die „Freundschaft“. Freundschaft besteht dort, wo es einen gewissen Gleichklang in den Einstellungen und Zielen gibt. Wie aufbauend ist es, wenn man mit Menschen zusammen ist, die eine ähnliche Wellenlänge haben. Wo man sich austauschen kann, wo man nicht jedes Wort taktisch abwägen muss, wo man angehört und verstanden wird… Bitte suche Dir eine Gemeinschaft, und wenn Du keine hast, dann gründe eine Gebetsgruppe.
4. Zur Therapie gehört nach Thomas, dass wir uns bemühen, die Wirklichkeit wahrzunehmen, wie sie wirklich ist. Also Realismus. Im Bezug auf die Kirche: Schluss mit Verallgemeinerungen wie: „Alles ist schlecht! - Nichts funktioniert mehr! - Es hat alles keinen Sinn!“ Das ist trübes Blendwerk. Es gibt – auch in der derzeitigen Situation der Kirche – immer irgendwo etwas Gutes, etwas Aufbauendes, etwas Freudeschenkendes! Schau gut hin, nimm Wirklichkeit wahr: Du wirst sehr viel finden, das Freude macht.
5. Die letzte Arznei gegen Traurigkeit ist überraschend „praktisch“. Der heilige Thomas empfiehlt nämlich schon vor 750 Jahren „heiß Bad und gesunden Schlaf“, also etwas, das Deinem Körper gut tut. Ein heißes Bad ist ein wirkungsvolles Antidepressivum, das nicht nur Stress, sondern auch innere Verspannung und Traurigkeit abbauen hilft. Viele Priester wissen das ohnehin und setzen sich an ihrem freien Tag ins Whirlpool eines Thermalbads, um mal auszuspannen. Gut ausschlafen ist auch so ein praktischer Tipp, denn gut schlafen kann man ja nur, wenn man zu den Problemen, die einem belasten, in die Distanz geht. Das Wohlbefinden Deines Leibes hilft Dir, wenn Deine Seele bekümmert ist.
Traurigkeit frustriert, lähmt, macht apathisch oder aggressiv. Alles nicht gut. So ändert sich gar nichts. Wir dürfen uns schon deshalb nicht runterziehen lassen, weil uns der Glaube doch sagt, dass Christus bereits Sünde und Tod überwunden habe. Und wenn Du wirklich glaubst, dann schau doch bitte immer auf den Himmel: Dort erwartet Dich das große, nie endende Freudenfest, die Hochzeit des Lammes… Und wenn Deine irdische Pilgerschaft derzeit gerade bedrückt ist, dann rate ich Dir mit dem heiligen Thomas: (1) Such in der Kirche das, was Deine Seele erquickt und genieße es; (2) schütte Dein trauriges Herz vor dem Herrn aus; (3) suche Dir Freunde mit gleicher Wellenlänge; (4) beachte das viele Gute, das es auch in der heutigen Kirche gibt; und (5) schließlich, mit den Worten der heiligen Teresa von Avila: „Tu deinem Leib des öfteren etwas Gutes, damit deine Seele Lust hat, darin zu wohnen.“
Pater Dr. Karl Wallner ist Nationaldirektor der Päpstlichen Missionswerke in Österreich.