Selbst erlittenes Leiden kann zu persönlichem Wachstum führen – und damit im Nachhinein zu einer Erfahrung „der Freude und Befreiung“, wie die Autorin des folgenden Beitrags berichtet.
Sarah Cain |
Ziemlich regelmäßig fragt man mich, ob ich wütend auf den Mann sei, der mich vorigen Sommer mit einem Jeep angefahren hat, wobei ich mir, als ich an einem sonnigen Tag unterwegs war, beide Arme brach. Ich bin es nicht.
Soweit ich informiert bin, ist dieser Mann nicht böse. Er ist einfach ein Mensch. Da war keine böse Absicht bei dem, was er tat, es war fahrlässiges Verhalten. Genau genommen: Er hat einen Fehler gemacht. Und wenn wir ehrlich sind: Wir alle machen von Zeit zu Zeit Fehler, handeln fahrlässig oder rücksichtslos. Meistens geht alles gut aus. Bei einigen passiert dann aber das schlimmstmögliche Szenario – eben einen Radfahrer niederzustoßen, während man beim Autofahren auf das Handy schaut.
Ich kenne den Mann nicht, der mich angefahren hat. Wir sind einander nie begegnet, weder vor noch nach dem Unfall. Aber ich habe lange über ihn nachgedacht. Erstaunlicherweise: Das einzige, was ich über ihn weiß, ist, dass er ein Mensch ist. Ich weiß, dass er fehlerbehaftet ist, eben Fehlverhalten an den Tag legt. Ich war das Opfer eines solchen Fehlers und hatte monatelang an den Folgen zu leiden.
Mir drängt sich die Frage auf: Würde sich die Art und Weise, wie wir miteinander umgehen ändern, wenn wir uns dieser Tatsache im Umgang mit allen Menschen bewusst wären? Man muss nicht lange darüber nachdenken, um draufzukommen, dass wir alle fehlerbehaftet sind und häufig etwas falsch machen.
Menschliche Unzulänglichkeit sollte eigentlich nichts Neues für uns sein, es reicht schon, wenn wir uns in den Spiegel schauen.
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Lange, nachdem das Ereignis geschah, waren dessen Folgen zu tragen. Das Leiden war nicht zu Ende, als sein Wagen meine Knochen zerbrach. Dann fingen die Kämpfe erst an. Wenn man daran wächst: Wäre es dann nicht sogar möglich, dass man später einmal sagt, man sei froh, dass es geschah, auch wenn wir die Erfahrung nicht noch einmal machen wollten? Obwohl ich niemanden ein solches Erlebnis wünschen würde, kann ich doch sagen, dass meine Verletzung auch Segen und Freundschaft bewirkt hat.
Mit anderen Worten: Gott hat meine Wunden nicht unberührt gelassen.
Gleich nachdem ich das Spital verlassen hatte, zog ich in das Haus einiger der nettesten Menschen, die ich je kennengelernt habe. Wir hatten davor gemeinsam freiwillige Hilfsdienste in der Pfarre geleistet. Meine Arme schmerzten mehr als mich ihre Unbeweglichkeit störte. Sie waren allerdings so schwach, dass ich Hilfe brauchte, um die ganz gewöhnlichen Alltagsaufgaben zu bewältigen.
Täglich haben mich diese Leute mit Essen versorgt, das ich nicht allein hätte zubereiten können. Jeden Tag gab es Palatschinken zum Frühstück. Trotz aller Bemühungen (und ich bin da sehr hartnäckig) war ich aber nicht imstande, sie zu schneiden, weder mit dem Messer noch durch Zerreißen. Glauben Sie mir, ich habe mich bemüht. Man fühlt sich wie eingesperrt, wenn man den Gebrauch seiner Arme verliert. Ausgeliefert, unnötig, unfähig, das zu tun, was man will. Man ist sich seiner Verwundbarkeit, ja, seiner Sterblichkeit viel mehr bewusst.
Es ist also eine Gelegenheit, tiefer zu vertrauen. Nicht nur den liebenswürdigen und großzügigen Freunden, sondern dem Herrn – dass irgendwie etwas Gutes entstehen kann, aus etwas, das man irrtümlich als leeres Zufallsgeschehen missdeuten könnte.
Missverstehen Sie mich nicht, bitte. Ich habe keine Ahnung, wie Gottes Willen in unserem Alltag wirkt – ob Er etwas zulässt oder es genauso gewollt hat. Ich weiß auch nicht, ob es überhaupt eine Möglichkeit gibt, dies zu unterscheiden. Ich vertrete nicht die Ansicht, dass jeder Autounfall gottgewollt ist, habe auch keinen Grund zu vermuten, meiner sei es gewesen. Spekulationen über die Göttliche Vorsehung überlasse ich größeren Geistern. Aber eines weiß ich: Schreckliche Lebensumstände können wunderbare Früchte hervorbringen, wenn wir mit der Gnade kooperieren.
Ohne den Herrn wäre jedes Leiden wertlos und daher Grund zur Verbitterung. Es gibt nichts Positives an der Finsternis zu entdecken. In dieser Sicht auf die Welt gibt es nicht einmal einen Himmel, den man um Gerechtigkeit anrufen könnte.
Ich kann mich hingegen auf Bischof Fulton Sheen berufen, der an einem Karfreitag auf das Leiden in seinem Leben einging, um zum Schluss festzustellen: „Es war weniger arg, als ich verdient hätte.“ Leiden ist nur dann skandalös, wenn wir Besseres verdient hätten – und ich verdiene es nicht. Christus kam, um uns zu einem für Ihn furchtbar hohen Preis zu erlösen – eine Handlung, die notwendig war, um uns vor dem zu bewahren, was eigentlich gerecht gewesen wäre. Betrachtet man es von der Warte der Sünden aus, sind alle Leiden, die wir im Leben zu ertragen haben, weniger schlimm als das, was uns zusteht.
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Vielleicht können Sie nicht erkennen, wie die Unfähigkeit, die eigene Palatschinke zu schneiden, in die Freiheit führen kann. Ich schon. Es ist mühevoll, auf diese Art zu begreifen, wie zerbrechlich unser Leben ist. Es brauchte so ein Leiden, das ich nicht noch einmal erleben möchte, das ich aber im Rückblick zu schätzen gelernt habe. Ich bin aber dafür dankbar, dass ich all das einfach als Freude und Befreiung entdecken durfte. Dieser Tag brachte Klarheit, was meine Hilflosigkeit anbelangt – da gab es nichts, was ich hätte tun können, um nicht niedergestoßen zu werden. Und dazu kam dann die Hilflosigkeit durch die Unfähigkeit, meine Arme zu gebrauchen.
Wir alle sind jedoch sehr verletzlich in wichtigen Bereichen. Wir haben Katastrophen nicht unter Kontrolle. Sie werden in unserem Leben stattfinden. Was wir allein unter Kontrolle haben, ist unsere Art, auf sie zu reagieren. Dann können wir unsere Leiden zum Kreuz hinwenden, dem Herrn näher kommen und ernst nehmen, was wir zum Ausdruck bringen, wenn wir zu sagen wagen: „… wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.“
Cain Sarah: © 2023 EWTN News, Inc. Nachdruck mit Erlaubnis von National Catholic Register – http://www.ncregister.com
Auszug aus Cains Artikel in National Catholic Register v. 4.4.23, übersetzt von CG.