Während die Kirche in Europa sich auf dem Rückzug zu befinden scheint, blüht sie in Afrika auf. Beeindruckend die Freude, die ihre Mitglieder ausstrahlen. Im Folgenden ein Gespräch mit einem nigerianischen Priester über den Glauben in seiner Heimat.
Bilder der Kirche in Afrika zeigen uns lachende Gläubige, übervolle Gottesdienste und Priesterseminare. Was macht den Unterschied zwischen dem Glauben hier und dem in Nigeria aus?
Ndudi K. Izuagba |
Ndudi Kelechi Izuagba: Die Kirche in Nigeria unterscheidet sich von der Kirche hier. Dabei ist mir allerdings wichtig zu sagen: Ich möchte keine Vergleiche anstellen. Die beiden Kirchen sind kulturell unterschiedlich geprägt. Gläubige Christen hier drücken ihren Glauben nicht auf dieselbe Weise aus wie wir: durch Tanz, Händeklatschen, Musikbegleitung durch laute Instrumente… Sie haben ihre eigenen Ausdrucksformen. Aber wir glauben an denselben Gott. Und außerdem sind die Menschen in vieler Hinsicht die gleichen, unabhängig von der Hautfarbe, vom Kontinent, auf dem sie leben. Was man hier erlebt, sieht man auch in Afrika: Nicht alle Menschen in Afrika glauben an Gott oder gehen in die Kirche, nicht alle erleben Freude an unserem Glauben.
Dennoch scheint es in deiner Heimat eine freudigere Ausdrucksform für den Glauben zu geben als hierzulande. Oder ist das ein Klischee?
Izuagba: Wir sind uns bewusst, dass wir gefühlsbetonte Leute sind. Und wir drücken eben unsere Gefühle aus. Ich denke also, dass diese Beobachtung zutrifft. Wir bringen unsere Dankbarkeit für das, was Gott für uns getan hat, zum Ausdruck. In unserer Kultur sind wir als Christen in Nigeria von Gottes Gegenwart überzeugt: dass Er zu uns kam, für uns starb und von den Toten auferstanden ist. Und wir sind dankbar dafür, dass Er Sein Leben für uns gab und uns gerettet hat. Wir sind geprägt von dieser Dankbarkeit, wenn wir Ihn tanzend anbeten. Das ist Ausdruck unserer dankbaren Lebenseinstellung. Das macht unsere Gottesdienste lebendig. Auch die Musik, die Lieder sind ein Reflex dieser Dankbarkeit. Wir singen, wir tanzen – all das ist Ausdruck unserer Dankbarkeit.
Woher kommt diese besondere Antenne für die Dankbarkeit?
Izuagba: Afrika ist geprägt von der Zusammengehörigkeit in der Familie. Für uns ist die Familie von großer Bedeutung. Ich hatte das Glück, in eine katholische Familie hineingeboren zu werden. Meine Eltern sind tief gläubig. Sie haben uns zuerst mit Maria und dann mit Jesus bekannt gemacht. Wenn man meine Mutter fragt, warum das so war, antwortet sie, dass der Weg zu Jesus durch Maria immer der einfachste und sicherste ist. Ich wurde in einer achtköpfigen Familie geboren. Mein Haus war wie eine Gemeindekirche – mein Vater war der „Priester“ und meine Mutter die „Pastoralassistentin“. Wir wurden jeden Morgen um 5.30 Uhr mit einem Hauswecker geweckt, und jeder musste aufstehen – nicht freiwillig. Wir versammeln uns im Wohnzimmer, beten 5 Gesätze des Rosenkranzes, machen einen Lobpreis und lesen einen Abschnitt aus der Bibel. Von meinen Eltern habe ich den Sinn des Lebens gelernt: ein Leben, das Freude macht – nicht die Freude, die die Welt geben kann, sondern die Freude, die ewig ist, eine Freude, die man durch die Freundschaft mit Jesus bekommt. Auf diesem Hintergrund muss man unsere kirchlichen Feiern sehen: Für uns ist die Kirche so etwas wie eine große Familie. Unsere Zusammenkünfte in der Kirche sind wie ein Familientreffen. Und Gott ist das Haupt dieser Familie.
Wie definierst Du Freude?
Izuagba: Die Psychologin Verena Kast spricht von einer gehobenen Emotion, die das Herz weit macht. Freude kann man sich nicht verordnen. Doch in jedem von uns gibt es eine Quelle der Freude, auch wenn sie manchmal unter der Last der Sorgen und Ängste versiegt zu sein scheint. Freude steht in engem Bezug zu Jesus. Im Johannes-Evangelium sagt Er uns: „Dies habe ich euch gesagt, damit meine Freude in euch ist und damit eure Freude vollkommen wird.“ (Joh 15,11) Das Wort Gottes – Jesus – teilt uns mit Seinen Worten Seine innere Gestimmtheit von Freude mit. Und zugleich berührt Er mit Seinen Worten die Quelle der Freude, die auf dem Grund unserer Seele in uns strömt.
Ihr lebt daheim in einem schwierigen Umfeld: die Korruption, die Bedrohung durch muslimische Angriffe, die schlecht funktionierende staatliche Infrastruktur belasten das Leben. Beeinträchtigt das nicht euer Empfinden von Dankbarkeit?
Izuagba: Ich höre nicht auf zu wiederholen: Gott ist nicht für diese durchaus leidvollen Erfahrungen verantwortlich. Wir, die Menschen, sind es, die all das verursachen. Wir sprechen über Korruption, Bosheit, Hartherzigkeit, die wir von den Regierenden oder unseren muslimischen Brüdern erfahren. Aber noch einmal: Das ist von Menschen gemacht und hinter all dem menschlichen Versagen steckt das Wirken des Bösen. 90% der politisch Verantwortlichen kommen aus einem armen, schwierigen Umfeld. Gott lässt diese Menschen an verantwortliche Stellen kommen, damit sie ihren Mitmenschen dienen. Nur vergessen unsere Führungskräfte allzu rasch, woher sie ursprünglich kamen und dass sie ihre Stellung nicht allein sich selbst, sondern auch Gott verdanken. Gott kommt eben nicht vom Himmel herab, um unser Präsident zu werden, aber Er hat uns mit einem wunderbaren Land gesegnet. Wir müssen klar erkennen: Unsere Probleme sind von Menschen gemacht und nicht Ausdruck einer mangelnden Liebe Gottes. Gott ist treu. Gottes Liebe währt durch alle Zeiten, unabhängig davon, was uns zustößt.
Wie hast Du die Kirche hier in Europa erlebt, als Du herkamst?
Izuagba: Was mich tief betroffen gemacht hat, als ich hierher nach Europa kam, ist Folgendes: Es ist der Kontinent, der uns in Afrika den Glauben gebracht hat. Daher erwartete ich, hier Menschen zu begegnen, die tief vom Glauben erfüllt sind. Und dann sah ich, wie hier die Leute auf den Glauben herabschauen, ihn infrage stellen. Ich hörte in Gesprächen, wie man hier die Kirche kritisiert, ihre Fehler – siehe Missbrauch – groß herausstellt. So ist mir das vorgekommen wie, wenn ein Kind nur die Fehler seiner Mutter sieht, ihre Schwächen, ihr Fehlverhalten. Und dabei kocht die Mutter sehr gut, wäscht die Wäsche der Kinder, betreut sie, wenn sie krank sind, sorgt sich um sie, schaut darauf, dass sie in die Schule gehen und etwas lernen können. Ähnlich ist es mit der Kirche: Was hat sie nicht alles für unsere Kultur, für unser Zusammenleben, für unsere Bildung getan – und vor allem: Sie hat uns Christus gebracht. Und für all das sollten wir ihr dankbar sein.
Wann hast Du zuletzt richtig Freude erlebt?
Izuagba: Als ich heute aufwachte, mich hinkniete, um ein Dankgebet zu sprechen und Gott die Aktivitäten des Tages zu übergeben; als Er zu mir sprach und versicherte, Er werde auf meinem Weg bei mir sein und mich auch dann noch lieben, selbst wenn der Tag nicht so verläuft, wie er geplant war. Ich bin glücklich, dass ich täglich die Heilige Messe feiern kann und dass Gott noch Menschen hat, die Ihn lieben und an Ihn glauben. So unterschiedlich die Dinge sind, über die wir uns freuen, so schön ist es, dass sich jeder mit ein bisschen Nachdenken an große oder kleine Momente der Freude erinnern kann. Diese Momente sind es, die uns helfen, den Alltag zu leben und zu etwas Besonderem werden zu lassen. Sie sind wie kleine Lichter, die auch die dunklen Tage unseres Lebens erhellen.
Um solche Moment der Freude in unserem Alltag aufzuspüren, muss nicht immer etwas Außergewöhnliches passieren. Oft reicht es schon, sich wieder an die Dinge zu erinnern, die uns im Alltag selbstverständlich geworden sind und die doch Anlass bieten, sich über Gott an jedem neuen Tag zu freuen.
Mag. Ndudi Kelechi Izuagba ist Priester der Diözese Umuahia. Er studiert derzeit an der Päpstlichen Hochschule Benedikt XVI. in Heiligenkreuz. Er ist erreichbar unter: ndudilife7@gmail.com oder 0688 6423 8492 . Das Gespräch führte Christof Gaspari.