Pauline Marie Jaricot |
Am 22. Juli 1799 wurde Pauline Marie als 7. Kind von Antoine und Jeanne Jaricot geboren. Die Familie war sehr wohlhabend, da Antoine als gelernter Kaufmann schon früh geschickt in das Geschäft der Seidenfabrikation eingestiegen war. Lyon war zu dieser Zeit weltberühmt für seine wunderbaren Seidenstoffe.
Pauline als Nesthäkchen wurde von allen verwöhnt und umhegt. Immer bekam sie die neuesten und modischsten Kleider. Und doch wollte sie schon in jungen Jahren ihrer mildtätigen Mutter nacheifern und träumte von einem „Goldbrunnen“, um allen Menschen in Not helfen zu können. Ebenso konnte sie sich in ihrer kindlichen Fantasie gut vorstellen, sich als Mann zu verkleiden und so als Missionar in ferne Länder zu reisen.
Früh zeigten sich bei Pauline Charakterzüge, die später entscheidend für die Gründung ihrer Werke sein sollten. Ich möchte ein Beispiel zitieren aus der Biografie der Schwester Angelica vom armen Kinde Jesu aus dem Jahre 1918: Pauline und ihr um zwei Jahre älterer Bruder Phileas waren unzertrennlich, stritten aber auch heftig. So kam es, dass Phileas einmal erklärte: „Vorerst, du Kleine, merke dir, ich bin ein Mann und lerne Latein. Folglich hast du mir zu gehorchen.“ Seine Männlichkeit und Lateinkenntnisse machten auf das Schwesterchen jedoch nicht den gewünschten Eindruck. Es kam zu lärmenden Auseinandersetzungen, die in Tätlichkeiten ausarteten. Dann nahm wohl die Mutter die beiden Kinder auf den Schoß, um die Gemüter durch ein gutes christliches Wort zu beschwichtigen. Pauline reichte wie gewöhnlich zuerst die Hand zur Versöhnung, erklärte dabei aber entschieden: „Nicht, weil du ein Mann bist und Latein lernst, sondern weil ich den lieben Gott nicht beleidigen will.“
Bei der Beschäftigung mit der seligen Pauline und ihrer Lebensgeschichte, traf ich immer wieder auf diese Eigenschaften: eine große Willensstärke verbunden mit einer tiefen Demut und Liebe zu Gott. Dazu war dem französischen Fräulein auch noch ein großes Organisationstalent gegeben und offensichtlich ein Feuer der Begeisterung, das viele anstecken konnte.
Ihre Herzens-Bekehrung erlebte sie mit 17 Jahren. Tief bewegt von einer Predigt des Abbé Jean Würtz in ihrer Pfarrkirche Saint-Nizier in Lyon über die Eitelkeit der Welt, erkannte sie klar ihren großen Stolz und ihre Schwachheit: „Es ist so schrecklich für mich, mit den Gewohnheiten von Luxus und Eleganz zu brechen. Niemals werde ich von der Eitelkeit heilen, außer wenn ich sie beherrsche.“ So entschloss sie sich zu einer radikalen Änderung ihres äußeren Erscheinungsbildes. In ihrer Zeit war in der Gesellschaft aber sehr genau festgelegt, wer was tragen durfte, sogar wem welche Stoffart für seine Kleider erlaubt war. Pauline verkaufte entschlossen ihre Seidenkleider und auch ihren Schmuck. Den Erlös ließ sie den Armen und der Kirche zukommen. Von nun an kleidete sie sich ausschließlich wie die einfachen Frauen aus dem Volk, die Arbeiterinnen. Man hielt sie daraufhin für verrückt.
Unbeirrt vom Gerede der Menschen suchte sie von da an, nur dem Herrn zu dienen. Ihr Beispiel im Dienst an bedürftigen und kranken Menschen und sicher ihre ehrliche und lebhafte Persönlichkeit trugen dazu bei, dass das Gerede sich wandelte…man hörte auf Pauline, ließ sich mehr und mehr von ihrer Begeisterung anstecken. Sie betete intensiv, und so empfing sie zwei ihrer entscheidendsten Ideen in der Anbetung.
Die erste geniale Idee hilft bis heute tausenden Menschen in den verschiedenen Missionen der katholischen Kirche. Pauline entwarf eine Art Pyramidensystem, in dem jeweils zehn Personen in einer Gruppe zusammengefasst waren. Unter der Leitung einer elften Person verpflichteten sich die zehn, einen Sou pro Woche für die Mission zu spenden. Ein Sou war damals in etwa so viel wert wie 40 Cent heute. Das konnte wirklich fast jeder entbehren. Gleichzeitig informierte Pauline mit einer von ihr herausgegebenen Zeitung, was mit den gesammelten Geldern in den fernen Ländern Gutes bewirkt wurde. Durch die Briefe von Missionaren aus aller Welt hatte sie immer Neues und Spannendes zu berichten. Jeder der zehn Spender suchte nun wieder zehn Freunde…So schlossen sich innerhalb kürzester Zeit tausende Menschen dieser neuen Spenden-Bewegung an.
Pauline erkannte, dass es eine zweite Säule brauchte zum Wohle der Menschen: das Gebet. Das Rosenkranzgebet war nach den Schreckenszeiten der Revolution fast in Vergessenheit geraten. Das sollte nicht so bleiben. Sicher durch den engen Kontakt mit den Arbeitern und Arbeiterinnen und deren Familien hatte Pauline viel Verständnis für deren sehr anstrengenden Alltag. Zugleich war sie überzeugt, dass Gebet für jeden Menschen lebenswichtig ist, egal ob viel oder wenig beschäftigt: 5 Minuten täglich, das sollte doch für alle zu schaffen sein. Wenn jeder nur ein Gesätzchen des Rosenkranzes pro Tag betete, aber mit 14 anderen zusammengeschlossen wäre, wobei auch jeder ein Gesätzchen betete – dann bildeten sie doch gemeinsam einen Psalter der drei damals üblichen Rosenkränze, einen „Lebendigen Rosenkranz“ an jedem Tag. Auch diese zweite Idee war genial: Millionen Menschen machten mit. Pauline sagte bescheiden über sich selbst: „Ich war nur das Streichholz, welches das Feuer entfacht hat.“ Aber das Feuer brannte lichterloh, Unzählige beteiligten sich am Spenden und Beten. In den Missionen konnten zahlreiche Kirchen, Schulen und Krankenhäuser gebaut werden, Priester und Katecheten wurden ausgebildet, den Ärmsten der Armen tatkräftig geholfen. Und dieses Feuer brennt bis heute weiter: in den Päpstlichen Missionswerken weltweit. Lassen wir Pauline selbst zu Wort kommen: „Wir wollen uns nicht damit zufriedengeben, Jesus für uns allein zu lieben und nachzuahmen. Wir wollen, dass auch die anderen Ihn kennenlernen, Ihn lieben und Ihm dienen! Jesus, unser Leben, unsere Hoffnung, unser Alles!“
Pauline Marie Jaricot schwebte aber keinesfalls von Erfolg zu Erfolg. Gerade das macht sie als Person so interessant und berührend. Denn sie ging in ihrem Leben auch durch sehr „dunkle Täler“. Nie verlor sie dabei den Blick auf Jesus, ihren guten Hirten.
Das eindrücklichste Zeugnis dafür ist folgendes: Tief bewegt durch die Aufstände der Seidenweber in Lyon, die um ein besseres und menschenwürdigeres Leben kämpften, entwickelte Pauline einen neuen Plan. Sie wollte ihr eigenes ererbtes Vermögen, außerdem ihren guten Ruf und ihre Beziehungen nützen, um Geldgeber zu finden, dann eine Fabrik zu kaufen und sie umzuwandeln in einen Arbeitsplatz mit gerechten Löhnen, freien Sonntagen, freundlichen Werkswohnungen und Gewinnbeteiligungen. Sie fand tatsächlich eine geeignete Fabrik und beauftragte zwei Geschäftsmänner ihres Vertrauens mit dem Kauf. Doch die beiden waren raffinierte Betrüger, setzten sich ab und verschleuderten das Geld.
Das Sozialwerk gelang also nicht. Die verarmte Pauline Marie unternahm so gegen Ende ihres Lebens viele Bettelreisen, um das geliehene Geld zurückzahlen zu können. Vor dem eucharistischen Heiland bewegte sie immer wieder die Frage. „Warum hast du das zugelassen?“ und kam schließlich zu einem demütigen „Fiat“, ohne Bitterkeit und Groll gegen die, die sie ausgenutzt und betrogen hatten.
Von den „Töchtern Mariens“, die mit ihr in einer Laiengemeinschaft im Haus Lorette in Lyon gelebt hatten, blieben bis zu ihrem Tode nur drei bei ihr. Sie war nun so mittellos, dass sie in die Armenliste Lyons aufgenommen wurde und ihr Essen von der Armenausspeisung bekam. Sie starb am 9.Jänner 1862 mit den Worten: „Maria, meine Mutter, ich bin ganz dein.“
Der heilige Pfarrer von Ars – mit dem sie zeitlebens sehr verbunden war, sagte über sie: „Ich kenne einen Menschen, der es versteht, auch die schwersten Kreuze anzunehmen, und der sie mit großer Liebe trägt. Diese Person ist Fräulein Jaricot aus Lyon.“
Wir wechseln nun in das Jahr 2022: Nach einem von Medizinern beglaubigten Heilungs-Wunder an der dreijährigen Mayline in Folge einer Novene zu Pauline Marie, wird diese am 22.Mai 2022 in Lyon seliggesprochen. Mayline darf dabei das Kreuz vor den Altar tragen, das der heilige Pfarrer von Ars Pauline einst geschenkt hatte.
Pauline Marie Jaricot ist ein großes Vorbild in ihrem Mut, die Ideen, die sie von Gott im Gebet empfangen hat, umzusetzen und zugleich ein Vorbild in ihrer Demut, alles Ihm zu unterstellen, Erfolg wie Misserfolg, Gesundheit wie Krankheit, Freude wie Leid.
„Ich will in mir nichts mehr sehen außer dich allein. Daher will ich nur in dir atmen, kämpfen, handeln, in dir ausruhen, nur mit dir leben und nur für dich sterben.“