6.425 Personen rettete der Vatikan-Diplomat und Priester Hugh Joseph O’Flaherty mit Mut, Tatkraft und Theatergeschick das Leben. Sein Gegenspieler war der Kommandeur der Sicherheitspolizei in Rom, Herbert Kappler, auch „Henker von Rom“ genannt.
Denkmal für Monsignore O’Flaherty im Killarney National Park, Irland |
Ego te baptizzo in nomine Patris et Filii et Spiritus Sancti“, spricht der aus Irland stammende Vatikan-Diplomat Hugh O’Flaherty 1959 die Taufformel über den „Henker von Rom“. Zu lebenslänglicher Haft ist der Täufling Herbert Kappler verurteilt – unter anderem wegen Mitwirkung beim Massaker in den Ardeatinischen Höhlen, wo 335 Geiseln erschossen wurden. Doch wie kommt es, dass der Priester den einstigen Nazi nun freudig in die katholische Kirche aufnimmt? Glich doch das Verhältnis zwischen den Erzfeinden, während der neunmonatigen Besatzungszeit Roms, einem mörderischen Katz-und-Maus-Spiel.
Zunächst absolviert der 1898 als ältestes von vier Kindern in Irland geborene Hugh O’Flaherty seine Schul- und Studienzeit auf der Grünen Insel. 1921 begibt er sich zum Studium nach Rom, wo er Diplomtheologe wird und seine Priesterweihe am 20. Dezember 1925 empfängt. Durch sein Genie wird er zum Vize-Rektor des Propaganda College ernannt. Der Ire studiert hart, was ihm 1928 den dreifachen Doktortitel in Theologie, Kanonischem Recht und Philosophie einbringt.
Während seiner Freizeit kommt sein sportliches Talent zum Vorschein. Er boxt, spielt leidenschaftlich Golf und begeistert sich auch für Handball. In den diplomatischen Dienst des Vatikans wird er 1934 berufen. Da ist er bereits Monsignore.
Da er neun Sprachen fließend spricht, setzt man den talentierten und in der vornehmen Gesellschaft gut vernetzten Mann für diplomatische Schachzüge in den verschiedensten Ländern ein. Zu seinen Stationen gehören Ägypten, Haiti, Santo Domingo und die Tschechoslowakei. Der Ruf zurück nach Rom ereilt den Monsignore 1938. Der Vatikan benötigt ihn nun beim Heiligen Offizium (spätere Glaubenskongregation). 1941-42 setzt man O’Flaherty als Sekretär des päpstlichen Nuntius ein.
So bekommt er die dramatischen Folgen des Krieges hautnah zu spüren, als er in Norditalien die alliierten Kriegsgefangenenlager seelsorglich betreut. Bei dieser Tätigkeit macht er Vermisste unter den Inhaftierten ausfindig und nennt, zum Trost der Angehörigen, deren Namen über die Wellen von Radio Vatikan. Spätestens ab Juli 1943 hat der vorausschauende Priester ein Netzwerk von Laien, Priestern und Ordensleuten ins Leben gerufen, das Verfolgte abtauchen lassen kann.
Mit dem Sturz Mussolinis und dem Einmarsch der Wehrmacht wird dieses Netzwerk für viele Menschen lebensrettend. Der Rektor des Priesterkollegs am Campo Santo Teutonico (deutsche Friedhof im Vatikan), Hermann Maria Stoeckle, gewährt dem Monsignore die Koordinierung seiner gefährlichen Hilfseinsätze von dort aus. Obwohl Hitler Papst Pius XII. eindringlich warnt, Juden zu helfen, kann O’Flaherty sein Werk fortsetzen, wenn auch ohne offizieller Erlaubnis.
Entflohene alliierte Kriegsgefangene, Flüchtlinge und Juden werden so über geheime Fluchtwege in mehr als 60 verschiedenen Quartieren in Rom versteckt. Kirchen, Klöster, Wohnhäuser von Sympathisanten und Priesterseminare sind die Unterschlupforte. Häufig werden die Hilfesuchenden zur Tarnung als Mönche, Nonnen oder arme Arbeiter verkleidet und mit gefälschten Papieren ausgestattet. Auch für Nahrung, Kleidung und Medikamente sorgt das große Netzwerk mit der vatikanischen Zentrale. Jeden Abend steht der hilfsbereite Priester an den Stufen von St. Peter als Ansprechpartner für Verfolgte.
Herbert Kappler, dem römischer Gestapo-Kommandanten, ist bald klar, dass O’Flaherty der Strippenzieher eines Netzwerkes sein muss. So beschatten den Priester von da an Agenten und spezialisierte Soldaten. Kappler gibt den Auftrag, mit weißer Farbe eine sichtbare Grenzlinie zwischen dem 44 Hektar großen Vatikan und dem vom Deutschen Reich besetzten Rom zu markieren . Dem Priester droht der NS-Kommandeur unverhohlen, dass er bei Übertretung der Linie augenblicklich erschossen würde.
Der irische Geistliche bietet seine ganzen Theaterkünste auf, indem er sich perfekt als Straßenkehrer, Postbote, Handwerker oder sogar als Nonne verkleidet. So bewegt er sich unbemerkt zwischen Vatikan und dem besetzten italienischen Staatsgebiet. Einmal, als hoher NS-Soldat verkleidet, wäre er um Haaresbreite Opfer eines Attentats geworden. Auch der Versuch von zwei Gestapo-Agenten, Monsignore O’Flaherty zu entführen, den aber vier Schweizer Gardisten vereiteln, ist legendär.
Mit der Befreiung Roms, am 4. Juni 1944, folgt im Mai 1945 auch die Inhaftierung Kapplers, der 1948 zu lebenslanger Haft verurteilt wird. Während seiner Haft besucht ihn monatlich der Mann Gottes. Sein Motto: „Gott hat keine Nationalität“. O’Flaherty sagt über sein späteres Verhältnis mit Kappler : „So weit bin ich gekommen, mit diesem Mann, der 30.000 Lire auf meinen Kopf ausgesetzt hatte – und jetzt sind wir so was wie Kumpel.“ 1959 bittet Kappler getauft und in die Kirche aufgenommen zu werden.
Der standhafte Ire wird mehrfach im Vatikan befördert, sogar zum Hausprälat des Papstes ernannt. Bis zu einem ersten Schlaganfall im Juni 1960 arbeite er beim Heiligen Offizium. Nach seiner Genesung wirkt O’Flaherty in der Kurie des Erzbischofs von Los Angeles. Nach weiteren zwei Jahren verschlechtert sich sein Gesundheitszustand so rapide, dass er zu seiner Schwester ziehen muss, die ihn fürsorglich pflegt. Fünf Monate darauf erleidet er einen zweiten Schlaganfall, der ihm am 30. Oktober 1963, mit nur 65 Lebensjahren, den irdischen Tod bringt. Im Film „Im Wendekreis des Kreuzes“ wird der Widerstandskampf O’Flahertys bildreich und realistisch in Szene gesetzt.
Und was wurde aus Kappler? Im Mai 1945 stellte sich Kappler der britischen Militärpolizei. Seine lebenslängliche Verurteilung von 1948 wurde durch ein Gericht 1952 bestätigt. Später stellten sogar der Bundespräsident, Bundeskanzler Willy Brandt, die Deutsche Bischofskonferenz und die EKD Gnadengesuche, die jedoch zunächst abgelehnt wurden.
Eine 1976 ausgesprochene Begnadigung wurde nach massiven Bevölkerungsprotesten durch ein Gericht revidiert. Als Kappler 1977 wegen einer Krebserkrankung im Militärkrankenhaus behandelt wurde, flüchtet er mit Hilfe seiner 1972 geheirateten Frau nach Deutschland. Dort lebte er nur noch wenige Monate, bis er 1978 in Soltau starb.