Er sei in die Welt gekommen, um Zeugnis für die Wahrheit abzulegen, erklärte Jesus dem römischen Statthalter Pontius Pilatus, was dieser mit der skeptischen Antwort: „Was ist Wahrheit?“ quittierte. Ähnlich die Skepsis der Menschen heute. Sich dieser zu stellen, ist die Herausforderung der Christen heute.
Anna Diouf |
Katholisch werden? Warum das denn?! Ich werde immer noch ungläubig angeschaut, wenn ich erzähle, dass ich evangelisch war, aber in die katholische Kirche eingetreten bin. Völlig verrückt! Aus der zeitgemäßen, modernen evangelischen Konfession austreten, um Teil einer rückständigen, patriarchalen, machtbesessenen Institution zu werden? Das halten die meisten Menschen in meinem Umfeld für einen schlechten Tausch.
Lange Zeit war meine Antwort auf die Frage „Warum?“: „Weil der katholische Glaube wahr ist.“ Ich hatte eben schon immer ein gutes Gespür für Fettnäpfchen. Denn das Unverständnis für meine Entscheidung wurde mit dieser Antwort nicht geringer, sondern größer. Und hinzu gesellte sich meist auch noch ein übler Verdacht: Halte ich mich womöglich für besser als andere, weil ich „die Wahrheit besitze“? Dieser Verdacht lässt sich kaum je zerstreuen, und schon ist das gesamte weitere Gespräch vergiftet.
Warum ist vielen Menschen so unangenehm, über Wahrheit zu sprechen? Man erkennt hier einerseits, wie tief das relativistische Wahrheitsverständnis, dass es keine absolute Wahrheit gebe, und das Konstruktivistische, dass wir Wahrheit individuell selbst konstruieren, also „bauen“, in unsere Gesellschaft eingedrungen sind. Beide Ideen führen dazu, dass, wer offen daran festhält, dass es eine absolute Wahrheit gibt, als intolerant und fundamentalistisch betrachtet wird – und als ewiggestrig.
Im Grunde geht es hier aber um etwas anderes: Es geht um Angst. Wer sagt, dass es Wahrheit gibt, löst im Gegenüber das unangenehme Gefühl aus, dass einem selbst etwas fehlt. Vielleicht etwas Entscheidendes, grundlegend Wichtiges. Und dieses Gefühl stimmt oft mit dem überein, was uns das eigene Gewissen sagt.
Das Gewissen hat nämlich nicht vergessen, dass es eine Wahrheit gibt: Das innere Drängen des Menschen nach Wahrheit ist ja nicht einfach verschwunden, weil philosophische Ideen behaupten, das Ziel dieser Sehnsucht gäbe es nicht. Wenn jemand nun behaupten würde, es gäbe keine Liebe, würden Menschen ja auch nicht aufhören, Liebe zu empfinden. Ihnen würden nur irgendwann Worte und Mittel fehlen, um das Gefühl auszudrücken.
So ist es auch mit der Wahrheit. Die Menschen spüren eine Lücke und verdrängen diese Erfahrung. Wenn jemand das Problem offen anspricht und uns dadurch dazu zwingt, uns unseren Ängsten zu stellen, löst das oft Feindseligkeit aus. Kein Wunder also, dass viele den wichtigen Fragen ausweichen, dass man über Philosophie und Religion lieber gar nicht mehr diskutiert.
Meiner Ansicht nach liegt hier ein trauriges Missverständnis vor. Die Suche nach Wahrheit ist ein spannendes Abenteuer. Wie jedes echte Abenteuer kann sie auch bedrohlich werden: Es ist „gefährlich“ für unser Weltbild und für unsere Persönlichkeit, wenn wir uns auf den Weg machen, wenn wir dem Aufruf Jesu folgen: „Duc in Altum!“, fahre hinaus in die Tiefe bzw. in die Weite.
Mit ziemlicher Sicherheit werden wir uns verändern lassen müssen. Und wir stellen fest, dass der Horizont, die Grenze unserer Erkenntnis und unseres Weltbildes, nicht näherkommt, sondern von uns weicht, je weiter wir vorstoßen. Es gibt immer noch mehr zu entdecken, wir werden nie „fertig“. All das kann tatsächlich überwältigend und beängstigend sein.
Zugleich aber sind Christen gewiss, dass ihre Suche dennoch kein zielloses Kreuzen auf einem gewaltigen Ozean ist: Gott selbst kommt uns entgegen. Und mehr noch: Es stellt sich heraus, dass die Wahrheit kein Ding oder Gedanke ist, sondern eine Person: Jesus Christus, der Weg, die Wahrheit und das Leben.
Diese Erkenntnis haben nicht findige Menschen erdacht. Es ist Offenbarung. Niemand von uns kann durch eigene Klugheit oder Weisheit zu dieser Erkenntnis kommen. Es ist Gott selbst, der sich uns schenkt, und uns in die Wahrheit hineinnimmt.
Die Haltung, die daraus entspringt, ist ganz anders als das, was säkulare Menschen gern als „Hardliner“, „Fundamentalismus“ oder „strenggläubig“ (mit negativer Konnotation) bezeichnen. Christen glauben eben nicht, im Besitz der Wahrheit zu sein, sondern, dass die Wahrheit sie in Besitz genommen hat, und dass alle Menschen in einer Beziehung zur Wahrheit stehen. Natürlich wollen wir jemanden, mit dem wir in einer Beziehung sind, immer besser kennenlernen. Daran ist nichts „Hartes“ oder „Fundamentalistisches“.
Übrigens betrifft das Problem, dass Wahrheit verkannt wird, nicht nur die Religion. Wir sehen in unserer Gesellschaft ganz praktisch, wozu die Angst vor Wahrheit führt: Menschen hören auf, sich ihrer eigenen Fehlerhaftigkeit zu stellen. Sie behaupten von sich, perfekt zu sein, oder, dass man ja nicht perfekt sein müsse, dass die eigenen Fehler also nicht nur in Ordnung, sondern im Gegenteil wunderschön und wertvoll seien. Auch hier fürchtet man sich eigentlich vor der Wahrheit, weil man nicht weiß, dass der, der die Wahrheit ist, zugleich auch die Liebe ist.
In einem Gespräch mit einer evangelischen Freundin kurz vor meiner Konversion sagte diese, dass es doch besser sei, ein Mensch kenne die Wahrheit nicht, und sei damit glücklich, als dass er sie kenne, und damit unglücklich sei. Eine Aussage, die mich bis heute erschreckt. Denn nur, wenn wir die Wahrheit kennen, können wir auch versuchen, ihr gemäß zu leben. Wenn ich im Spiegel sehe, dass das Kleid, das ich trage, einen Fleck hat, dann kann ich es wechseln. Weiß ich es nicht, ist das Kleid trotzdem verdreckt, auch, wenn ich es nicht weiß.
Das gilt auch für unser Seelenleben: Wie oft wissen Menschen schlichtweg nicht, warum sie leiden, woher ihre Probleme kommen. Aber sind die Probleme weg, weil der Mensch nicht weiß, dass sie aus Mangel an Wahrheit im eigenen Leben rühren?
Interessanterweise hat mir die Konversion geholfen, in allen Bereichen meines Lebens ehrlicher und furchtloser zu werden. Und das hat etwas damit zu tun, dass ich erfahren durfte, dass die Wahrheit nicht grausam und nachtragend ist. Nicht dunkel und verborgen, etwas, das Gott von uns fernhält, weil Er die Kontrolle behalten will, sondern klar und hell, wie das Licht Christi. Natürlich wird nicht alles in unserem Leben unmittelbar von dieser Wahrheit durchleuchtet. Wir werden nicht plötzlich allwissend und legen all unsere Fehler ab. Aber allein die Gewissheit, dass Wahrheit uns nicht zerstören, sondern aufbauen, nicht verdammen, sondern retten will, hilft uns, uns sowohl im religiösen als auch im alltäglichen Leben dieser Wahrheit anzuvertrauen. Und dadurch werden wir letztlich auch frei: Frei, unsere Unzulänglichkeiten zu erkennen, frei, uns zu verändern. Frei, uns gegenüber genauso barmherzig zu sein, wie Gott es ist.
Meiner Ansicht nach ist dies ein wichtiger Hinweis darauf, wie wir selbst Wahrheit vermitteln sollen. Die Welt versteht unter christlicher Wahrheit ein rigides Set aus Regeln, die in vormodernen Zeiten erfunden wurden, und heute fanatisch als gottgegeben verteidigt werden. Wir neigen manchmal dazu, diese Definition unbemerkt zu übernehmen.
Das liegt auch daran, dass die Leute meist nur nach diesen Regeln fragen – weil sie sich gar nicht vorstellen können, dass es in der Kirche eigentlich um etwas anderes geht.
Wir sollten uns also immer wieder vergegenwärtigen, dass die primäre Wahrheit unseres Glaubens Jesus Christus ist und Sein Evangelium. Wenn Menschen nicht zuerst von der Vorstellung erschlagen werden, dass sie wegen ihrer Unkenntnis verdammt würden – eine Vorstellung, die ja nicht von Gott oder von der Kirche kommt, sondern aus ihnen selbst und aus ihrem Gewissen, das sie verurteilt – können sie sich der Wahrheit öffnen, sich ihr frei stellen: Weil sie wissen, dass sie nicht einem starren Prinzip, sondern dem lebendigen Gott gegenübertreten.
Die Autorin ist Redakteurin von EWTN-TV.