VISION 20003/2000
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Zur Freiheit hat uns Christus befreit

Artikel drucken Die Heilsgeschichte als Jahrtausende währende Befreiungsaktion Gottes (P. Karl Wallner OCist)

Wie ist das mit der "Freiheit und Herrlichkeit der Kinder Gottes"? (Röm 8,21) Können wir die Glaubenserfahrung eines heiligen Paulus teilen, der formuliert: "Zur Freiheit hat uns Christus befreit!" (Gal 5,1)

Christlicher Glaube erhebt den Anspruch, frei zu machen, er gleicht einem großen Durchatmen und Luftholen der Seele. Am tiefsten dürfen das Menschen erleben, die nicht "automatisch" gläubig waren. Jemand, der das Grau in Grau der Ferne von Gott durchlebt hat - das, was die Bibel "Finsternis und Schatten des Todes" nennt (Lk 1,79; Mt 4,16) -, der weiß von der Erfahrung der Bekehrung her, was Freiheit bedeutet.

Solchen Neubekehrten braucht man die Freiheit der Kinder Gottes nicht zu erklären. Sie haben ja die geistige Befreiung erlebt, jenes unbeschreibliche Gefühl, als würde man aus einem dunklen Gefängnis, aus einem finsteren Loch, aus einer bedrückenden Enge in eine helle Weite ausschreiten. Allen, die eine solche Erfahrung gemacht haben, kann man gratulieren, denn sie haben erlebt und erfahren, daß das Christentum die Religion der Freiheit ist.

Aber wie ist das mit jenen, denen solche tiefen Bekehrungserfahrungen fehlen? Dazu gehören heute auch viele Christen, die gleichsam selbstverständlich und krisenlos in die kulturelle Tradition des Christentums hineingewachsen sind? Von außen gesehen scheint Christsein ja nicht unbedingt eine attraktive Befreiungsbewegung zu sein. Christentum erscheint eher die Religion der Einschränkung der Selbstbestimmung, der Unterwerfung unter Gebote, der Einengung durch Regeln, Ordnungen und Autoritäten zu sein.

Immanuel Kant hat den christlichen Glauben als "selbstverschuldete Unmündigkeit" bezeichnet. Die Aufklärung - in den romanischen Sprachen nennt sie sich "Erleuchtung" - versteht sich als das Verlassen des geistigen Gefängnisses des Christentums. Die Französische Revolution hatte ihren Schlachtruf "liberté" (Freiheit) bald auch gegen die kirchliche Ordnung gerichtet. Und heute, wo die einzige gemeinsame Grundlage der Gesellschaft das Ja zum absoluten Individualismus des Einzelnen ist - Schlagwort Toleranz - wollen viele Menschen mit der Kirche nichts zu tun haben, weil sie sich von niemandem ihren Glauben vorschreiben lassen wollen.

Daß das Christentum die Religion der Freiheit ist, kann man niemandem anargumentieren. Wer Wiener Schnitzel pfui findet, ohne es gekostet zu haben, dem kann man nicht helfen. Die Christen haben aber guten Grund, sich als befreit und erlöst, als glückliche Kinder eines freimachenden Gottes zu begreifen. Die Heilsgeschichte zeigt, daß wir mindestens in doppeltem Sinn befreit sind.

Der Mensch ist unausrottbar religiös! Der Drang, sich nicht mit der Begrenztheit und Hilflosigkeit eines kurzen Lebens abzufinden, sondern sich ein Jenseits zu suchen, einen Sinn oder Grund, - eben einen Gott - ist sicher ein Grundbestandteil der menschlichen Psyche. Niemand wird diese Veranlagung heute ernsthaft bestreiten, die Frage ist nur, wie sie interpretiert wird. Sigmund Freud etwa meinte, es handle sich hier nur um eine Art gesamtmenschheitliche Neurose, eine Art gigantischer Ödipuskomplex, der aus einer Art Schuldgefühl gegenüber dem geheimnisvollen "Göttlichen" kommt.

Die Kirche sieht in dem "Instinkt des Herzens" (2. Vaticanum) zwar etwas zutiefst Positives, nämlich eine Veranlagung hin auf die Wahrheit Gottes, sie weiß aber auch, daß darin etwas Problematisches liegt. Denn in dem Maß, wie der Mensch nach dem Göttlichen sucht, ist er auch in Gefahr, sich selbst dieses Jenseitige und Geheimnisvolle vorzustellen und anzueignen. Wir erleben dies derzeit im Aufblühen der abstrusesten Sekten und religiösen Weltdeutungen. Je leiser und verschämter die Christen die Wahrheit Gottes verkünden, desto eifriger produzieren die Postchristen ihre neuen Götter: ein bißchen Meditation zur Selbstberuhigung der Seele, für den Body Fitneß, vor den anderen Status. Alles im trendigen Life-Style. Unsere Wirtschaft lebt davon, ihre Produkte als Weg in die Freiheit anzupreisen. Das brauchst Du noch, dann! Was dann?

Da ist zunächst die Freiheit vom Götzendienst. Die Selbstproduktion von Göttern - die Schrift spricht von Götzen - mündet immer in der Angst und Unterwürfigkeit. Die Angst ist der Motor, die den Kulten und Riten Energie liefert. Man möchte die Unberechenbarkeit der göttlichen Gewalten eindämmen. Es geht um Erfolg und Fruchtbarkeit, Ehre und Glück, Krankheit und Tod. Verhält es sich mit den Götzen unserer Zeit nicht genauso? Haben Gurus nicht deshalb solchen Zulauf, weil die Menschen (gerade in oder nach der Midlife-Crisis) panische Angst vor der Sinnleere haben? Schießen die Fitneß-Studios nicht deshalb aus dem Boden, weil die Zeichen des körperlichen Verfalls, des Alters, uns Angst einjagen?

Die Heilsgeschichte ist die Erzählung einer großen, Jahrtausende umfassenden Befreiungsaktion Gottes. Das erste, wovon Gott die Menschen befreien will, ist dieser Zwang, sich selbst Götter zu schaffen, damit man dann etwas hat, wovor man sich fürchten kann. Gott offenbart sich machtvoll, erhaben, stark, eifersüchtig. Er gibt sich zu erkennen, um dem Menschen klar zu machen, daß Er allein Sinn, Grund, Ziel, Fundament von allem ist. Feierlich schwört sich Gott dem Abraham zu: "Dir und deinen Nachkommen werde ich Gott sein." (Gen 17,7)

Eindrucksvoll ist, mit welcher Energie Gott Propaganda gegen die angstmachenden Götzenbilder startet. Weg mit dem Aberglauben und Angstglauben, weg mit der dämonischen Psychologie von Totem und Tabu!

Die Bibel wird jedenfalls nicht müde, die Nichtigkeit und Machtlosigkeit der Bilder, der toten (Ps 106,28), nichtigen (Jer 2,5), stummen Götzen (Hab 2,18; 1 Kor12,2) zu verspotten (Ps 115, 4-7; Jes 41,29; 44,9-20; Jer 10,14). Und Gott befreit nicht nur durch Worte vom Aberglauben, son-dern durch Taten. Die Geschichte Israels ist eine einzige Geschichte der Befreiung: Gott befreit aus Ägypten, Gott befreit aus der babylonischen Gefangenschaft, Gott verkündigt die endgültige Befreiung durch den Messias, dessen Name auf griechisch "Christos" lautet.

Aber die Geschichte Israels steht auch exemplarisch für das Phänomen, daß der Mensch es scheinbar liebt, sich immer wieder selbst gefangenzunehmen. Wir Menschen können es nicht lassen, wir kehren immer wieder lustvoll zu unserem Aberglauben zurück. Der Mensch liebt es nicht, sich bedingungslos befreien zu lassen! Die gerade erst aus Ägypten Befreiten sehnen sich bald wieder nach der Gefangenschaft: "Wären wir doch in Ägypten gestorben!" (Ex 16,3) Man kann Sigmund Freud verstehen, wenn er hier eine Zwangsneurose konstatiert, - wir Christen nennen diese ja schon seit zweitausend Jahren Erbschuld.

Das Wunderbare dabei liegt auf der Seite Gottes selbst, der den Menschen ganz offensichtlich wirklich in wahrer Freiheit schaffen wollte. Denn selbst diejenigen, die die Wunder Gottes mit eigenen Augen sehen konnten, bleiben frei, wahrhaft frei. Sie können sich jederzeit von neuem goldene Kälber gießen und diese Götzen nach Herzenslust verehren. Daß Gott unsere Freiheit niemals aufheben wollte und will, bleibt eines seiner tiefsten Geheimnisse. Es läßt sich nur daraus erklären, daß er uns wirklich als Wesen mit Würde und Abbilder seiner eigenen Schönheit liebt und ehrt.

Gott befreit sein Volk nicht nur von etwas, sondern auch zu etwas. Das eigentliche Problem mit der Freiheit beginnt ja erst dort, wo sie in richtiger Weise gebraucht werden soll. Solange etwa in einem Land eine Diktatur herrscht, hat man einen gemeinsamen Feind, ein Ziel. Sobald aber die Diktatur gestürzt und "Freiheit" ausgerufen ist, taucht die Frage auf: Wie geht man mit dieser Freiheit um?

Freiheit ist immer Freiheit zu etwas. Im Alten Testament hat Gott sein Volk nicht nur von der Bindung an die selbstgemachten Götzen befreien wollen, sondern ihm auch eine Richtung gegeben: Der Sinn der Freiheit ist es, den Willen Gottes zu erfüllen, diesen seinen Willen hat Gott seinem Volk auch klar mitgeteilt: durch das sogenannte Gesetz, durch die Tora!

Freiheit ist für uns niemals Willkür. Man könnte sie als ein Werkzeug bezeichnen, als Arbeitsinstrument, um den Willen Gottes zu erfüllen. Aber kann ich in all meiner Freiheit Gottes Willen jemals vollkommen erfüllen? Bleibt nicht immer ein Rest an Ungenügen?

In der Bibel des Neuen Testamentes begegnet uns einer, der die alttestamentliche Selbstoffenbarung Gottes sehr gut verstanden hatte. Sein Name: Paulus! Paulus, oder besser: Saulus, weiß in Dankbarkeit um die befreiende Liebe Gottes, er weiß aus seiner Ausbildung als Pharisäer um seine Pflicht, das Gesetz zu erfüllen, und ist wohl glücklich dabei. Er schreibt von sich: "In der Treue zum jüdischen Gesetz übertraf ich die meisten Altersgenossen in meinem Volk, und mit dem größten Eifer setzte ich mich für die Überlieferungen meiner Väter ein." (Gal 1,14)

Paulus ist zumindest ein Perfektionist, vielleicht sogar ein Skrupulant!

Aber: Was ist mit jenem geheimnisvollen Rest, der wie Unrat an der Seele klebt und trotz aller Bemühungen weder durch rituelle Waschungen, noch durch penible Vorschriftenerfüllung, noch durch kultische Sühneopfer wegzuwischen ist: mit dem Dreck der Sünde? Kann sich jemand selbst mit seinem peniblen Bemühen aus dem Schmutz ziehen? Kann jemand aus eigenem dem erhabenen Gott gefallen und sich von seinen Sünden reinigen? Alle Religion ist im Kern Selbsterlösung, der Mensch möchte durch sein eigenes Tun und Werken mit dem dunklen Rest in sich selbst fertig werden.

Dem Saulus gehen vor Damaskus die Augen auf, zum Paulus wird er aufgrund dieser einzigartigen Erkenntnis, daß nicht er selbst es machen muß, sondern daß Gott es für ihn getan hat, und zwar auf einzigartige und unerfindliche Weise: Gott selbst wollte den Menschen recht machen, gerecht machen, indem Er in Seinem Sohn die Sünde weggetragen hat.

Das ist die Botschaft von der Befreiung oder Erlösung oder Rettung oder Sühne - das Neue Testament hat viele Worte und meint doch im Kern dasselbe: Wir müssen uns nicht mehr selbst erlösen, wir haben einen Erlöser gefunden. Christus führt uns durch Sein Wort (heilige Frohe Botschaft!), durch die Eucharistie (Feier Seines Hingabetodes am Kreuz und Seiner ewigkeitsschaffenden Auferstehung), durch die von Ihm gestiftete Gemeinschaft der Kirche mit ihrer bergenden und herausfordernden Ordnung zur wahren Freiheit.

Das Sakrament der Befreiung ist die Taufe. Durch das Wasser und den Heiligen Geist treten wir ein "in Christus". "Nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir. Soweit ich aber jetzt noch in dieser Welt lebe, lebe ich im Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt und sich für mich hingegeben hat." (Gal 2,20) Zu diesem Zweck hat Gott uns Freiheit geschenkt, damit wir diese nach dem Bild und der Gestalt seines ewigen Sohnes leben und vollziehen.

Erst wenn wir unsere Freiheit so verwenden wie Christus, sind wir wahrhaft frei. Die Taufe - und der Glaube - sind deshalb so wichtig, weil hier unser eigenes Ich umgeformt wird in das Ich Christi. Der Getaufte trägt ja dann auch Seinen Namen und heißt Christ[us].

Augustinus, der meinte sich nicht taufen lassen zu können, weil er in der panischen Angst lebte, mit seinen Sünden auch dann als Christ nicht fertig zu werden, bekehrt sich als er auf wunderbare Weise auf die Stelle in Röm 13,13f. stößt: "Laßt uns ehrenhaft leben wie am Tag, ohne maßloses Essen und Trinken, ohne Unzucht und Ausschweifung, ohne Streit und Eifersucht. Zieht (als neues Gewand) den Herrn Jesus Christus an, und sorgt nicht so für euren Leib, daß die Begierden erwachen." Der Anstoß ist für ihn das Wort "Zieht den Herrn Jesus Christus an!" Durch dieses Wort weiß Augustinus, daß er von nun an unter dem Gesetz der Gnade steht, daß er es wagen kann. Später wird Augustinus das Wort schreiben: "Ama et fac quod vis! - Liebe und dann tue, was Du willst!"

Wir Getaufte müssen uns bewußt werden, daß wir Christus angezogen haben und damit in den Raum Seiner unendlichen Freiheit eingetreten sind, in den Raum seiner göttlichen Liebe. Wie Jesus nicht willkürlich cool sich selbst auslebt, sondern Seine "Speise" darin hat, den Willen des Vaters zu erfüllen (Joh 4,34), so wird unsere Freiheit als Christenmenschen nur dann berauschend und erfüllend, wenn wir die Hingabe Christi mitleben.

Seine Hingabe, sein Gehorsam, seine Annahme des Willens Gottes, der uns in der Kirche auch durch das von Christus eingestiftete Amt begegnet, sind das Gesetz, das uns frei macht. Wurde in der Menschheitsgeschichte je ein freieres und befreiteres Wort gesprochen als jenes, das der Sohn am Ölberg blutschwitzend Seinem menschlichen Willen abringt: "Nicht mein, sondern dein Wille soll geschehen!" (Lk 22,42)

In diesem "Dein Wille!" liegt der Erfolg der Befreiungsaktion Gottes, hier löst Er den Krebsknoten in unserem menschlichen Ich auf, hier endet unsere tödliche Selbstbezogenheit. Jetzt wissen wir, was wir mit unserer Freiheit tun müssen, um auf ewig den Tod nicht zu schauen: Das Glück von uns Christen, ja unsere Ewigkeit ist es, in Christus den Willen des Vaters zu erfüllen. Wo wir so ein Geist mit Christus sind, "da ist Freiheit" (2 Kor 3,17).

Der Autor ist Dekan der Theologischen Fakultät in Heiligenkreuz

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