n meiner Krankheit, als ich wirklich nichts mehr machen konnte und auch die Ärzte nichts mehr machen konnten, als ich kapituliert hatte, damals habe ich die Erfahrung gemacht, daß ich nichts anderes brauche als Gott. "Gott allein genügt", wie Teresa von Avila sagt. Das klingt verrückt, aber es ist so.
Ich war also schwer krank. Bin auf der Intensivstation gelegen und war überzeugt davon, daß ich in ein, zwei Tagen tot sein würde. Obwohl ich mich im Laufe meiner Erkrankung viel mit dem Sterben auseinandergesetzt und eigentlich keine Angst davor gehabt hatte, war die Situation in dem Augenblick, wo ich mir des Sterbens sicher war, doch wieder ganz anders: Wie ein Windstoß, der den Nebel vertreibt.
Ich weiß noch, wie ich meine Hand angeschaut und mir gedacht habe: In einer Woche wird diese Hand eingegraben. Gleichzeitig wurden die Schmerzen immer stärker. Dann das Wissen: Diese Schmerzen hören von nun an nicht mehr auf. Sie werden immer ärger, bis Du tot bist.
Und dann stand die Frage vor mir: Was ist mein Leben, wenn das Bisherige alles war? Bis zuletzt war da - trotz allen Wissens um mein mögliches Ende - ein Planen, ein Hoffen gewesen ... Aber jetzt war das Ende. Das bist Du. Dein Leben. Mehr ist es nicht. So wirst Du vor Gott erscheinen. Und in dieser Situation sieht man ganz anders auf das Leben als vorher.
Und man entdeckt: So vieles, was Dir sehr bedeutsam vorgekommen war, ist unwichtig, absolut unwichtig. Etwa die Sorgen, was die Leute denken könnten, oder die Angst, man könnte mich auslachen, oder der Kummer, weil ich keine besseren Noten bekommen hatte - alles gänzlich unwichtig. Es zählt nicht mehr. Anderes wäre dafür wichtig gewesen - und ich bin locker darüber hinweggegangen. Wie gesagt: Wie ein Windstoß - und der Nebel ist weg.
Und da wurde mir vollkommen klar: Es ist nur wichtig, wie ich vor Gott lebe, nicht vor den Menschen.
In diesen Momenten war das einzige, was ich beten konnte: "Kyrie eleison" - "Herr, erbarme Dich!" Da waren keine Gefühle, sondern nur das eigenartige Wissen um den Gekreuzigten. Er ist da. Ich bin mit Ihm verbunden.
Erst in dieser äußersten Hilflosigkeit habe ich begriffen, was es heißt, daß Er für mich am Kreuz gestorben ist. Ich konnte in diesem Augenblick nicht beten: Laß diesen Kelch an mir vorübergehen, weil ich dachte: Er geht auf keinen Fall an mir vorüber. Auch Christus ist gestorben und ich werde sterben.
Und selbst wenn ich überleben sollte, war mir doch klar: In genau derselben Situation würde ich wieder stehen - ob in 15 oder 50 Jahren...
Nun, ich bin durchgekommen. Trotzdem hat mich diese Erfahrung nie mehr wirklich verlassen. Sie ist mir ständig im Hintergrund meines Bewußtseins gegenwärtig - und zwar keineswegs beängstigend.
Ich erlebe dieses Bewußtsein vielmehr als total befreiend, weil es mir immer vor Augen hält: Du mußt so leben, daß Du in diesem entscheidenden Augenblick Frieden hast. Und das hilft mir in so vielen Situationen, frei zu sein von nur menschlichen vergänglichen Urteilen. Es ist befreiend zu wissen: Dieses Leben ist begrenzt und so viele Sorgen ganz unbedeutend. Auf dem Hintergrund dieser Erfahrung brach das Gebot Gottes in einer neuen Weise in mein Leben ein: Nicht als bedrohlich und einengend, sondern als Möglichkeit, gegen den Zeitgeist zu leben. Und im Tun der Gebote erfahre ich, daß es ein Weg zum inneren Frieden ist.
Jesus sagt: Wer die Wahrheit tut, wird sie erkennen.
P. Clemens Pilar