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Religionsfreiheit: In Europa zunehmend bedroht

Artikel drucken Einladung, diesem Trend Widerstand entgegenzusetzen (Anja Hoffmann)

Der Schock war groß, als plötzlich die Polizei vor seiner Tür stand und ihn zum Verhör abführte. Bis zu fünf Monate Gefängnis drohen Matthew Grech für ein Fernsehinterview, in dem er von seiner Bekehrung zum Christentum erzählte. Was aber an diesem Fall besonders schockiert, ist, dass er aus dem EU-Mitgliedsstaat Malta stammt.

 
Brandanschlag auf eine Kirche in Paris  

Der junge Malteser Matthew Grech war früher LGBTI Aktivist. Nach seiner Bekehrung zum Christentum begann er öffentlich darüber zu sprechen, wie sein Glaube sein Leben verändert und ihm im Umgang mit seiner geschlechtlichen Identität geholfen hatte – unter anderem in einem Interview mit dem Fernsehsender PMnewsMalta.
Kurze Zeit später, im Juni 2023, standen sowohl Matthew Grech als auch die Betreiber des Fernsehsenders vor Gericht. Anklageklagt sind sie für Verbreitung sogenannter „Konversionstherapie“, was in Malta mit Gefängnisstrafe bedroht ist. Dass Matthew Grech nie zu „Konversionstherapie“ (wobei unklar ist, was genau mit diesem Begriff gemeint ist) aufgerufen hat, hindert das Gericht nicht daran, seit Monaten ein umfangreiches Verfahren gegen Grech und die Mitangeklagten zu führen. Der Ausgang bleibt abzuwarten.  
Die Strafverfolgung von Matthew Grech ist nur eines vieler Beispiele davon, was Christen in Europa wegen öffentlichem Bekennen ihres Glaubens passieren kann. Als Dokumentationsarchiv der Intoleranz und Diskriminierung gegen Christen in Europa (OIDAC Europe) interessieren uns an solchen Fällen neben den Fakten besonders die dahinterliegenden Ursachen: Der folgende Überblick soll eine Hilfe für Christen sein, dieses Phänomen zu verstehen – und zu agieren, etwa wenn die Äußerung christlicher Überzeugungen als „Hassrede“ verfolgt wird.
Der Freispruch der finnischen Politikerin Päivi Räsänen am 14. November war eine große Erleichterung für viele Christen. Abgeordnete Räsänen hatte 2019 in einem Post auf Twitter die lutherische Kirche, der sie selbst angehört, für deren Unterstützung der LGBTI-Pride-Parade kritisiert und ihr Statement mit einem Bibelvers aus dem Römerbrief untermauert.
Dies führte zu einer Strafanzeige und schließlich zu einem langwierigen Gerichtsprozess gegen Räsänen wegen „Hassrede“ und „Verhetzung gegen eine Minderheit“. Der zweite Anklagepunkt war eine Broschüre mit dem Titel „Als Mann und Frau schuf er sie“ aus dem Jahr 2004, für deren Herausgabe neben Räsänen auch der lutherische Bischof Jujana Pohjola vor Gericht stand.

 
Matthew Grech  

Der dreieinhalbjährige Prozess endete zwar mit einem Freispruch des Berufungsgerichts, doch schwammig formulierte „Hassrede-Gesetze“ oder „Anti­diskriminierungs-Richtlinien“ könnten auch in Zukunft zu Verurteilungen von Christen für die friedliche Bekundung ihrer Glaubensüberzeugungen führen.
Das bewiesen auch die Entlassungen einiger christlicher Lehrer in Großbritannien in den letzten Monaten, die nach dem Bekenntnis ihres Verständnisses von Ehe und Familie oder der Zweigeschlechtlichkeit des Menschen wegen „Hassrede“ ihren Job verloren.
Noch weiterreichend sind sogenannte Bannmeilen-Gesetze („buffer zones“) rund um Abtreibungskliniken, die jegliche Art von „Beeinflussung“ verbieten. Darunter fallen auch friedliche Gebetsversammlungen, konsensuale Gespräche oder – laut aktuellem Gesetzesentwurf aus Schottland – sogar Lebensschutz-Aufkleber auf Autos.
Ein anderes Problemfeld für Christen in Europa ist die Einschränkung der Gewissensfreiheit in einigen Berufssparten. Trotz deren speziellen Schutzstatus in geltenden Menschenrechtsverträgen, wird die Gewissensfreiheit manchmal sogar sys­tematisch bedroht, wie ein Fall aus Deutschland zeigt. Dort soll laut aktuellem Entwurf des neuen Lehrplans für Medizinstudenten die verpflichtende Mitwirkung an Abtreibungen zum fixen Bestandteil des Studiums gemacht werden. Das würde Christen, die Abtreibung aus Glaubensüberzeugung ablehnen, mittelfristig gänzlich aus medizinischen Berufen in Deutschland verdrängen – eine beängstigende Vorstellung!
In eine ähnliche Richtung geht eine aktuelle Richtline der WHO, die dazu aufruft, Gewissensklauseln aus bestehenden Gesetzen zu streichen. Die Begründung lautet: Das „Recht auf Zugang zu Abtreibung“ darf nicht durch Verweigerung aus Gewissensgründen eingeschränkt werden.
Doch nicht nur im rechtlichen Bereich gibt es Herausforderung für Christen in Europa. Unsere aktuellen Daten zeigen einen Anstieg von antichristlichen Hass­verbrechen von über 40% im vergangenen Jahr, und sogar von 75% bei Brandstiftungen von Kirchen. In Frankreich, wo jeden Tag zwei bis drei Kirchen angegriffen werden, ist jetzt ein eigener Fonds zur Sicherheit von Gotteshäusern eingerichtet worden. Schockierend sind in diesem Zusammenhang Graffitis, die mit den Worten „Die einzige Kirche, die erleuchtet, ist jene die brennt“ quasi direkt zur Brandstiftung aufrufen und oft mit Vandalismus-Attacken verbunden sind.

 
Päivi Räsänen  

Dass die Religionsfreiheit von Christen in Europa auf dem Prüfstand steht, lässt sich in Anbetracht der aktuellen Entwicklungen kaum von der Hand weisen. Doch wie soll unsere Antwort darauf aussehen?
Die christliche Nächstenliebe lässt einen Rückzug aus dem öffentlichen Leben nicht zu. Durch die Jahrhunderte hindurch haben Christen die Sorge um das Gemeinwohl als eine der höchsten Formen der Liebe verstanden. Und Liebe heißt nicht, unsere christliche „Parallelwelt“ zu bauen und die postchristliche Gesellschaft sich selbst zu überlassen.
Vielmehr gilt für uns der biblische Auftrag „Suchet das Wohl der Stadt, in die ich euch weggeführt habe, und betet für sie zum Herrn; denn in ihrem Wohl liegt euer Wohl!“ (Jer. 29,7) Wenn sich das Volk Israel sogar um Babel bemühen sollte, haben wir wenig Ausreden, uns nicht um Europa zu bemühen.
Genauso fatal wie der Rückzug aus der Gesellschaft ist das beleidigte Schweigen vieler Christen, die sich immer noch für eine Mehrheit halten und Angriffe auf das Christentum herunterspielen. Aus diesen Angriffen spricht häufig große Not, auf die es Antworten zu suchen gilt. Und das tun wir nicht aus einer bequemen Mehrheitsposition, sondern als aktive Minderheit. Europa ist schon lange wieder Missionsland und muss als solches mit Kreativität und Klugheit mitgestaltet werden.  
Und schließlich geht es bei einer authentischen christlichen Antwort immer auch um die eigene innere Haltung. Nur wer sich selbst verändert hat, kann die Welt verändern. Im „Fall Europa“ ist die Herausforderung für viele von uns, nicht zu resignieren, sondern zur Hoffnung zurückzufinden. Bei all den schwierigen Entwicklungen dürfen wir nicht vergessen, dass wir nicht gegen, sondern für etwas eintreten – oder besser gesagt für jemanden.  
Vielerorts haben Christen in Europa durchaus große Freiheit: dort gilt es sie zu nutzen und zu schützen. Und dort, wo es etwas kostet, dürfen wir lernen, trotzdem mutig über unseren Glauben zu sprechen und uns zu erinnern, dass wir eine frohe Botschaft weiterzugeben haben.

Die Autorin ist Executive Director von OIDAC Europe.


Beobachtungsstelle Diskriminierung von Christen

Das „Observatory on Intolerance and Discrimination against Chris­tians in Europe“ (OIDAC Europe) ist eine in Österreich registrierte Nicht-Regierungsorganisation. Sie forscht, analysiert, dokumentiert Fälle von Intoleranz gegenüber Christen sowie deren Diskriminierung und berichtet darüber. Weiters informiert sie die Öffentlichkeit über die entsprechenden Vorfälle, wendet sich an Gesetzgeber und internationale Organisationen und lädt Chris­ten ein, über einschlägige Vorkommnisse zu berichten.
Die Ergebnisse der Arbeit werden in jährlichen Berichten veröffentlicht. Der letzte Report betrifft den Zeitraum 2022/23. Die Berichte sind abrufbar unter: https://www.in
toleranceagainstchristians.eu/publications.
Kontaktmöglichkeiten:
Tel: +43 / 1 / 2749898, E-Mail:
observatory@intoleranceagainstchristians.eu

 

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