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Ich kauf mir ein Kind

Artikel drucken Über Leihmütter und tiefgekühlte Kinder

Nicht zum ersten Mal ist der Titel eines Buches von Birgit Kelle provokant. Diesmal lautet er: Ich kauf mir ein Kind. Es führt den Leser in eine Welt ein, die uns als moderne Errungenschaft schöngeredet wird, die sich tatsächlich aber als Geschäftsfeld voller gruseliger, ja schrecklicher  Aspekte entpuppt. Es geht um die künstliche Befruchtung, die sich längst zu einem milliardenschweren Markt entwickelt hat und dementsprechend den Gesetzen wirtschaftlicher Interessen unterworfen ist.

 

 
   

„Man spielt längst Gott bei der Optimierung und Erschaffung des ganz neuen Menschen. Selbstverständlich wird bei dem Prozess der Zeugung im Reagenzglas „unwertes“ und krankes Leben längst aussortiert oder auch das „falsche“ Geschlecht. In manchen Laboren weltweit werden bereits tierische und menschliche Zellen zu neuen Lebensformen gekreuzt. Andere Forscher bemühen sich, tierische Organe jenen Menschen zu transplantieren, die vergeblich auf ein menschliches Spenderorgan hoffen…“ eröffnet Kelle einleitend einen Blick in die Welt von Frankenstein im 21. Jahrhundert.
Diese Welt wird uns in den Medien schön geredet, wie Kelle im ersten Kapitel des Buches „Bist du noch schwanger oder lässt du schon gebären?“ berichtet: Promis geben bei Mietmüttern Kinder in Auftrag. So wurden etwa der Sänger Elton John und sein Lebensgefährte mit „62 bzw. 48 Jahren nicht Mutter und Vater, sondern Doppelväter ihres ersten Kindes, geboren von einer Frau in Kalifornien“ – und das ergibt dann rührende Storys in den Gazetten.
Dieses Modell, Kindererzeugung in Auftrag zu geben, werde mittlerweile auch in Schulen und Kinderbüchern propagiert, berichtet Kelle. Dort lese man dann: „Marian erkla?rt: Meine Mama Loris kommt aus Da?nemark und hat dort Samenzellen von einem netten Mann bekommen. Dann bin ich in ihrem Bauch gewachsen. In Deutschland hat mich dann meine Mama Dani adoptiert.“
In den meisten Ländern sei diese Vorgangsweise Gott sei Dank noch oder wegen schlechter Erfahrungen schon wieder verboten. Dennoch blühe das Geschäft. Besonders in den USA. Dort sei die Kinderproduktion durch Mietmütter von 727 (1999) bis 2019 auf 9195 Kinder gestiegen. 14 Milliarden Dollar wurden 2022 von einem Unternehmen umgesetzt. In Europa boomt das Geschäft vor allem in der Ukraine, selbst in Kriegszeiten. Das Land decke 25% des Weltmarkts ab. 90% der Babys werden ins Ausland transferiert. Dort wirbt man damit, dass das Land gute Gene im Angebot habe. Kelle: „Die ukrainischen Eizellspenderinnen und Mietmu?tter werden derweil wie Zuchtstuten von ihren Zuha?ltern im Internet angepriesen. Ausschließlich erstklassiges Genmaterial habe man beim ukrainischen Babyzu?chter Feskov im Angebot.“
In Deutschland gibt es eine eigene Messe in Köln, quasi Kinder-Shopping. Die Zielgruppe: LGBT. Die Autorin hat sich dort umgeschaut: „Bei California Fertility Partners erza?hlt mir Guy nicht nur stolz von seinen eigenen Kindern, sondern auch, dass man ,seit 30 Jahren Regenbogenfamilien’ helfe.“ Und: Sie könne „nach Madrid kommen oder nach Alicante, um mich dort mit einem Ei befruchten zu lassen. Fu?r nur 1100 Euro zusa?tzlich kann ich mir auch die Eiersto?cke verju?ngen lassen, fu?r 11.000 Euro bekomme ich bis zu sechs Embryonen.“ Und das in Deutschland, das Mietmutterschaft verbietet!
Und dabei: Dieses Verfahren ist ausgesprochen ineffizient. Die Erfolgsrate liegt bei knapp über 20% und nimmt bei zunehmendem Alter der Frau rapid ab. Die Vorstellung, man lasse sich in der Jugend Eizellen entnehmen, dann tiefkühlen, um sie nach erfolgreicher Karriere später im Leben  aufzutauen und implantieren zu lassen, erweist sich sehr oft als irregeleitete Hoffnung.
Der Leser wird von Frau Kelle in eine Welt eingeführt, die der Normalverbraucher für geradezu abstrus hält. In ihr wird der Mensch nicht mehr als Person, sondern als Objekt behandelt: das Kind als Produkt, die Frau als Maschine. Kelles Fazit: Kinder kauft man nicht – Frauen kauft man nicht. Das besonders Schlimme an der Sache ist außerdem, dass die „Kinderproduktion“ Einfalls­tor für noch schlimmeren Miss­brauch ist, nämlich eine Einladung an Organhändler und Pädophile, Kinder für ihre Zwecke in Auftrag zu geben.
Leicht lesbar, gut dokumentiert und mit der bei Kelle üblichen feinen Klinge geschrieben, ist dieses Buch lesenswert, weil es illus­triert, wozu uns der Machbarkeitswahn heutiger Wissenschaft verleitet: zu einer Welt, in welcher der Mensch abgeschafft wird. Was Aldous Huxley in Schöne neue Welt beschrieben hat, nimmt in unseren Tagen Gestalt an.

Ich kauf mir ein Kind – Das unwürdige Geschäft mit der Leihmutterschaft. Von Birgit Kelle. FBV 2024, 251 Seiten, 18,60€.


Kinder nicht wie Sachen behandeln

Wir diskutieren das Thema „Leihmutterschaft“ im medialen und politischen Raum aus den falschen Perspektiven. Nein, es ist kein Thema von Geschlechtergerechtigkeit und Reproduktionsrechten, damit jeder ein Kind haben kann, auch wenn er biologisch zur Zeugung oder Empfa?ngnis nicht oder nicht mehr fa?hig ist oder in einer Beziehungskonstellation lebt, in der er sich nicht fortpflanzen kann.
Es geht gar nicht um die Rechte alternder Filmdiven, die fu?r den Lebensabend noch ein Baby schaukeln wollen, oder um die schwulen Va?ter und sonstigen Beziehungs- und Geschlechtskonstellationen der bunten LGBTQI-Community, die gerne ein Kind ha?tten und zudem ihren privaten Kinderwunsch mit politischem Aktivismus vermischen.  (…)
Alle diese Debatten sind Einfallstore fu?r miese Gescha?fte und vielseitige Grenzu?berschreitungen auf Kosten der Wu?rde und der Freiheit von Frauen und Kindern. Alle, die mitmachen, die das Ganze scho?nreden und gesetzlich liberalisieren, sind Steigbu?gelhalter einer grundsa?tzlichen Kommerzialisierung des Menschen und machen sich schuldig am Vorantreiben der Idee, der Mensch geho?re noch jemand anderem außer sich selbst.
Es geht nicht um Anspru?che von Erwachsenen, sondern um die Rechte von Kindern, wie Menschen und nicht wie Sachen behandelt zu werden. Es geht nicht um Babyglu?ck fu?r einige, sondern um das Grauen fu?r Tausende. Nicht um die Vermeidung von ein paar Erbkrankheiten durch die „Optimierung“ von Genmaterial, sondern um die Ambition auf den perfekten Menschen. Nicht um das Glu?ck gesunder Babys, sondern um die Wegwerfmentalita?t, mit der die kranken auf dem Mu?ll landen oder auf dem Labortisch von Forschern mit kranken Machbarkeitsfanta­sien auf dem Weg zum Retortenmenschen aus dem ku?nstlichen Brutkasten.
Wir bauen medial ein Potemkinsches Dorf einer klinisch sauberen und gesetzlich geregelten Scheinwelt auf und klammern das Grauen und die offenen Fragen dieser Entwicklung aus, die aber auf uns und alle ku?nftigen Generationen zuru?ckschlagen werden.
Birgit Kelle

Auszug aus ihrem Buch Seite 231f

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