Gospelkonzert am Stephansplatz, Gespräche über Glaubensfragen auf den Straßen der Wiener Innenstadt, Sternwallfahrt zum Dom: In Wien fand unter dem Motto: "Wien ist anders, Gott auch" eine Stadtmission statt - und sie hat die Herzen bewegt, wie das folgende Gespräch zeigt.
Woher kam der Impuls zur Stadtmission?
Ernst Strachwitz: So viel ich weiß, hat sich der Erzbischof eine Mission in der Dompfarre gewünscht. Diesen Wunsch hat sich der Dompfarrer zu eigen gemacht.
Wie lange hat die Vorbereitung gedauert?
Strachwitz: Die konkrete Vorbereitung begann im Herbst. Davor hat es im Winter und im Frühjahr 1999 einen Prozeß der Willensbildung gegeben. Da wurde auch geklärt, ob jemand zur Mithilfe eingeladen werden sollte, und wer dies sein könnte. Im Rahmen einer Pfarrgemeinderatsklausur wurden Vertreter verschiedener Gruppierungen eingeladen, über ihre Missionserfahrungen zu berichten: das Neokatechumenat, die Kalasantiner, die Pfarre St. Rochus, die Gemeinschaft Emmanuel, die Legio Mariens, der Loretto-Gebetskreis.
Waren Pfarrangehörige in die Vorbereitung miteinbezogen?
Strachwitz: Zunächst der Pfarrgemeinderat. Als dort die Bereitschaft spürbar war, sich darauf einzulassen, gab es eine große Pfarrversammlung. An ihr nahmen alle, die irgendwie in der Pfarre mitarbeiten und andere Personen teil. Das Anliegen war, daß möglichst alle sich hinter das Projekt stellen. Das war dem Dompfarrer sehr wichtig. Zuletzt beschloß der Pfarrgemeinderat einstimmig, diese Mission mit Hilfe der Gemeinschaft Emmanuel zu unternehmen.
Was war das Grundanliegen dieser Woche?
Strachwitz: Zunächst war das die Absicht, einen missionarischen Impuls zu geben, das heißt hinauszutreten. Dabei ist zu sagen, daß wir hier ohnedies viel missionarische Arbeit tun. Aber es sollte ein zusätzlicher Impuls sein, um das Evangelium unter die Leute zu tragen. Im Laufe der Vorbereitung ist diese Anliegen dann konkret in Aktivitäten umgesetzt worden. Die Gemeinschaft Emmanuel hat da viel Erfahrung. Sie hat eine Evangelisationsschule in Paray-le-monial, wo Jugendliche ein Jahr ihres Lebens zur Verfügung stellen, um das Evangelisieren in einer zeitgemäßen Form zu lernen. Dann gibt es eine Evangelisationsakademie in Altötting und eine in Rom. Pfarre und Gemeinschaft haben gut zusammengearbeitet.
Kann man sagen, daß die Bemühungen erfolgreich waren?
Strachwitz: Die Früchte sind wohl noch nicht zu erkennen. Eines kann man aber schon sagen: Bei denen, die sich in der Vorbereitung engagiert haben, hat sich Großes getan. Da ist viel an geistlicher Erneuerung und an Einsatzfreude gewachsen. Während der Vorbereitung wurden jedenfalls das Programm erstellt und die Mission konkret vorbereitet.
Wie lange hat sie gedauert?
Strachwitz: Zehn Tage, vom 31. März bis zum 9. April. Am ersten Abend gab es ein großes Gospel-Konzert am Stephansplatz. Da war eine Super-Stimmung. Es war ein schöner, sehr guter Einstieg. Die Emmanuel-Leute haben sich vorgestellt. Man hat gemerkt, daß sie große Erfahrung mit solchen Missionen haben und wissen, was gut wirkt.
Jeden Tag war in der Früh ein Morgenlob im Dom, dann sind die Missionare vormittags meistens in Schulen und Geschäfte gegangen. Gleich am ersten Tag, ein Samstag, sind sie in der Innenstadt ausgeschwärmt, haben die Leute auf der Straße angesprochen, haben mit Instrumenten irgendwo Lieder gesungen, Leute angeredet und angeredet...
Ein wichtiger zentraler Punkt war das Kaffeezelt am Stephansplatz, wo pro Tag mindestens 1.000 Kaffees ausgeschenkt wurden. Da wurden die Leute eingeladen zu kommen und sich niederzusetzen. Dann haben sich die Missionare zu ihnen gesellt. Es war ein wirklich herzlicher Empfang.
Wie haben die Leute reagiert?
Strachwitz: Toll. Erstaunlich, wie offen die Menschen für die Frage nach Gott sind! Die Leute haben begeistert reagiert: "Endlich, daß es das gibt, daß die Kirche mit offenen Armen auf die Menschen zugeht!" Es gab viele, die jeden Tag gekommen sind. Jeder der mitgewirkt hat, könnte sicher viele Geschichten über bewegende Begegnungen erzählen...
Du auch?
Strachwitz: Gleich am ersten Tag sind zwei junge Schweizerinnen, die einen Wochenendurlaub in Wien gemacht haben, mit einem Stadtplan in der Hand auf dem Stephansplatz gestanden. Ich habe mich dazugestellt, ein bißchen Schmäh geführt - und ihnen erzählt, was sich alles abspielen wird. Das erste, was sie angesprochen hat, war das Gebet für die Leidenden (jeder hat doch irgendein Leiden oder kennt jemanden, der leidet). Ich habe sie eingeladen, um drei Uhr zu diesem Gebet zu kommen. Und sie sind tatsächlich erschienen und haben eine Stunde lang dort gebetet und für sich beten lassen. Ganze Bäche sind dabei geflossen. Am Abend war dann eine geistliche Domführung, an der ich mitgewirkt habe. Wie wir anfangen und vor dem Dom stehen, sehe ich die beiden daherkommen. Eigentlich wollten sie in die Disco gehen. Aber wie sich mich da stehen gesehen haben, sind sie mitgekommen und waren ganz begeistert. Und am nächsten Tag waren sie noch beim Konzert und Zeugnis von Jean Rodolphe Kars. Da hat man gemerkt: Bei ihnen hat sich etwas getan. Zwischen vier und sechs Uhr war das Allerheiligste am Hauptalter ausgesetzt. Da konnte man Gebetsanliegen aufschreiben und vorne in eine Kiste legen. Und man konnte ein Wort der Schrift für sich aus einem Korb ziehen. Die Missionare haben bei dieser Gelegenheit die Leute angesprochen, ob sie irgendwie helfen können, und haben mit ihnen und für sie gebetet. Sie haben nachher erzählt, daß viele zutiefst getroffen waren - durch die persönliche Annahme und auch durch das Wort, das sie gezogen hatten. Mir selber ist es passiert: Ich komme also in den Dom. Dort steht ein Mädchen, das mich mehr spaßhalber fragt: "Haben Sie ein Gebetsanliegen?" Und ich bin darauf eingestiegen. Und dann ist sie wirklich mit mir nach vorne gegangen. Es war wunderschön. Wir haben uns vor dem Allerheiligsten niedergekniet und sie hat für mich gebetet. Eine schöne Erfahrung.
Sind viele zu dieser Anbetung gekommen?
Strachwitz: In dieser Zeit sind viele Priester für Beichten zur Verfügung gestanden. Da ist ständig jemand gekommen. Am Abend war die Missionsmesse und Gesprächsveranstaltung. An den ersten Tagen waren Hauskreise, wo Leute Freunde und Missionare dazu eingeladen haben. Da wurde über Gott und die Welt gesprochen. Später waren Gesprächsveranstaltungen in Kaffeehäusern: Im Havelka, im Einstein, im Diglas, im Inigo... An zwei Tagen waren größere Podiumsgespräche: eines mit Politikern (sehr bewegend, weil eine tolle Gesprächsatmosphäre war), eines mit Bankern, eines über das Thema Leid...
Wurden auch Jugendliche angesprochen?
Strachwitz: Am Donnerstag gab es im "Weberknecht", einem Jugendkeller am Gürtel, ein sehr bewegendes Zeugnis von Tim Guénard. Im Anschluß daran haben sich sehr schöne Gespräche mit Jugendlichen ergeben. Diese waren sehr beeindruckt davon, daß so viele Priester gekommen waren, mitten unter den Leuten. Am Freitag war dann der große Abend der Barmherzigkeit, eine Messe mit dem Kardinal, und anschließend wurde bis Mitternacht gebeichtet - 20 Priester (inklusive Kardinal), ohne Unterbrechung.
Und am Samstag?
Strachwitz: Da gab es eine Jubiläums-Sternwallfahrt nach St. Stephan von drei Plätzen der Innenstadt mit Kerzen. Da haben die Missionare allen Passanten, die ihnen untergekommen sind, eine Kerze in die Hand gedrückt. Viele sind daraufhin mitgekommen. Zuletzt war der Dom voll, sicher auch mit vielen, die nie in eine Kirche gehen, vielleicht noch nie in einer Kirche waren. Das war alles sehr bewegend.
Was war im Rückblick wichtig daran?
Strachwitz: Der Empfang im Dom und im Zelt, das persönliche Angesprochen-, Empfangen- und Begleitetwerden. Von der Methode wichtig war die Musik: gut gespielte, schöne Lieder. Und dann selbstverständlich das Gebet, die Anbetung und das Beichten im Dom. Das ist sehr gut angekommen. Wir haben allerdings in der Pfarre noch keine Auswertung gemacht.
Das klingt alles nach sehr großer Organisation und viel materiellem und personellen Aufwand. Läßt sich dieses Modell auch auf kleine Pfarren übertragen?
Strachwitz: Selbstverständlich. Es war das erste Mal, daß die Gemeinschaft Emmanuel so etwas Großes gemacht haben. Normalerweise machen sie Mission in kleinen Orten. Noch während der Missionswoche sind Vertreter einer Wiener Pfarre gekommen, um anzufragen, ob die Gemeinschaft auch zu ihnen kommen würde.
Aber gemeinsame Grundprinzipien wird es wohl für alle Einsätze geben.
Strachwitz: Ja: Sie gehen dorthin, wo die Menschen sind: in Schulen, Geschäfte, auf die Straßen, auch in die Disco. Andererseits geht es um die schöne Gestaltung von Gebet und Liturgie. Und beides kann man überall machen. Die Erfahrung ist, daß die Leute ganz offen sind, wenn man sie auf Gott anspricht.
Braucht man also keine Hemmungen zu haben?
Strachwitz: Nein. Es muß allerdings auf eine Weise sein, die nicht den Eindruck vermittelt: Da will mir jetzt jemand etwas aufzwingen. Darum ist es so wichtig zuzuhören. Im Zelt war nicht das Wichtige, daß die Missionare etwas erzählen, sondern daß sie zuhören. Viele Menschen heute sind es ja nicht mehr gewöhnt, daß man ihnen zuhört.
Mit Domkaplan Dr. Ernst Strachwitz sprach Christof Gaspari.