VISION 20003/1989
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Bleibt im Gespräch mit Euren Kindern!

Artikel drucken (Heribert Berger)

Wir leben nun einmal in einer sexuell extrem liberalen Umwelt. Man kann es beklagen, muß sich aber darauf einstellen. Besonders herausgefordert sind die Eltern. Wie soll man Kinder aufklären? Dazu im Folgenden Gedanken eines Kinderarztes und eines Psychiaters.

Bei den Schulkindern zwi­schen 6 und 10 bis 12 Jahren sind die Fragen meist nicht ganz direkt und unbefangen. Eine gewisse Scheu und die natürliche Scham spielen mit. Nicht selten wollen die Kleineren dieser Altersgrup­pe "Doktor spielen". Beim Dok­tor muß man sich ja für die Unter­suchung ausziehen. Ein gewöhn­lich harmloses Erkundungsspiel, bei dem die Größeren allerdings nicht mehr mitmachten.

Die Verwendung von medizini­schen oder biologischen Fa­chausdrücken zur Benennung von Organen und Funktionen der Geschlechtsteile ist meistens befremdend und wird schlecht verstanden. Man benütze die in der jeweiligen Gegend üblichen Volksausdrücke, die anschaulich und nicht zufällig zärtlich und rücksichtnehmend sind.

Daß Buben und Mädchen ver schiedene - manchesrnal auch gleiche - Interessen haben, sollte man unbefangen zurKenntnis nehmen und auch zulassen und sogar pflegen. Ich halte nichts vom Versuch, die beiden Ge­schlechter gleichzuschalten.

Das zweite Lebensjahrzehnt bringt für die Sexualerziehung eine Fülle besonderer Probleme. Die Mädchen kommen zwei bis drei Jahre vor den Buben in die Geschlechtsreife. Mit dieser Geschlechtsreifung vollzieht sich aber auch, etwas zeitlich verschoben, eine seelisch-geisti­ge und charakterliche Verände­rung mitdem Kind, hin zum Erwachsensein.

Was die Geschlechtsreife be­trifft, so sollte das Mädchen, wenn möglich, von seiner Mutter und der Sohn von seinem Vater zur richtigen Zeit, nun noch ge­nauer über die Anatomie und die Funktion der Geschlechtsorgane aufgeklärt werden, aber auch darüber, wie man sich nun richtig verhält.

Die Tochter muß nun auch wis­sen, was eine Regelblutung ist und wie sie zustandekommt und abläuft. Welche Probleme auf­treten können. Was sie bedeutet. Vorher schon - und das hilft der Mutter, den Zeitpunkt des Ge­spräches zu wählen, aber auch die richtigen Worte - tritt ja das Wachstum der Brüste auf, die Geschlechtsbehaarung und erst später die Regelblutung...

In diesem Alter sind es gewöhnlich nicht die Kinder, die ihre Eltern fragen, sondern die Eltern müssen von sich aus den richti­gen Zeitpunkt abwarten und das Gespräch beginnen. Dieses soll rücksichtsvoll und frei geführt werden und nicht verletzend, soll natürlich ablaufen. Schließlich redet man ja über etwas ganz Natürliches. Freilich wird man die besonderen Gefühle des Kin­des respektieren.

Bei den jungen Burschen ergibt sich ein ganz ähnliches Ge­spräch, weil auch bei ihm die Geschlechtsbehaarung eintritt, sowie verstärktes Wachstum der Geschlechtsteile mit Erektionen und unwillkürlichen Samener­güssen, meist nachts. Später dann der Stimmbruch und gele­gentlich und vorübergehend eine gewisse harrnlose Brustdrüsen­schwellung. Auch hier wird der Vater den rechten Augenblick zu finden trachten, der ein gutes Gespräch ermöglicht.

Gewiß ist es auch möglich, daß beide Elternteile mit ihrem Kind reden. Zu diesen Gesprächen, die ja nicht selten mehrmals hinter­einander zustandekommen können, gehört auch die Frage des Geschlechtsverkehrs und der Verantwortlichkeit in dieser Fra­ge. Aus der Haltung und den Aussagen der Eltern sollten die Jugendlichen erfahren und ver­stehen lernen, daß eine Bekannt­schaft oder ein ernstes Verliebt­sein nicht primär eine Angele­genheit des Einsatzes der Ge­schlechtsorgane ist, sondern ein Ereignis, das zuerst eine Heraus­forderung für die seelisch-geisti­gen und charakterlichen Qualitäten des jungen Menschen bedeu­tet. Hier darf und muß auch von Verantwortung gesprochen wer­den... Damit sind keine Moral­predigten gemeint, sondern Er­ziehungsbemühungen im Sinn von Versuchen, den jungen Menschen von Wahrheiten zu überzeugen, die er noch nicht kennen kann, die ihn und andere vor Schaden bewahren sollen.

Univ. Prof. Heribert Berger (Vorstand d. Kinderklinik in Innsbruck), Auszug aus einem Vortrag in Meran im Herbst 1986

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