Wir leben nun einmal in einer sexuell extrem liberalen Umwelt. Man kann es beklagen, muß sich aber darauf einstellen. Besonders herausgefordert sind die Eltern. Wie soll man Kinder aufklären? Dazu im Folgenden Gedanken eines Kinderarztes und eines Psychiaters.
Bei den Schulkindern zwischen 6 und 10 bis 12 Jahren sind die Fragen meist nicht ganz direkt und unbefangen. Eine gewisse Scheu und die natürliche Scham spielen mit. Nicht selten wollen die Kleineren dieser Altersgruppe "Doktor spielen". Beim Doktor muß man sich ja für die Untersuchung ausziehen. Ein gewöhnlich harmloses Erkundungsspiel, bei dem die Größeren allerdings nicht mehr mitmachten.
Die Verwendung von medizinischen oder biologischen Fachausdrücken zur Benennung von Organen und Funktionen der Geschlechtsteile ist meistens befremdend und wird schlecht verstanden. Man benütze die in der jeweiligen Gegend üblichen Volksausdrücke, die anschaulich und nicht zufällig zärtlich und rücksichtnehmend sind.
Daß Buben und Mädchen ver schiedene - manchesrnal auch gleiche - Interessen haben, sollte man unbefangen zurKenntnis nehmen und auch zulassen und sogar pflegen. Ich halte nichts vom Versuch, die beiden Geschlechter gleichzuschalten.
Das zweite Lebensjahrzehnt bringt für die Sexualerziehung eine Fülle besonderer Probleme. Die Mädchen kommen zwei bis drei Jahre vor den Buben in die Geschlechtsreife. Mit dieser Geschlechtsreifung vollzieht sich aber auch, etwas zeitlich verschoben, eine seelisch-geistige und charakterliche Veränderung mitdem Kind, hin zum Erwachsensein.
Was die Geschlechtsreife betrifft, so sollte das Mädchen, wenn möglich, von seiner Mutter und der Sohn von seinem Vater zur richtigen Zeit, nun noch genauer über die Anatomie und die Funktion der Geschlechtsorgane aufgeklärt werden, aber auch darüber, wie man sich nun richtig verhält.
Die Tochter muß nun auch wissen, was eine Regelblutung ist und wie sie zustandekommt und abläuft. Welche Probleme auftreten können. Was sie bedeutet. Vorher schon - und das hilft der Mutter, den Zeitpunkt des Gespräches zu wählen, aber auch die richtigen Worte - tritt ja das Wachstum der Brüste auf, die Geschlechtsbehaarung und erst später die Regelblutung...
In diesem Alter sind es gewöhnlich nicht die Kinder, die ihre Eltern fragen, sondern die Eltern müssen von sich aus den richtigen Zeitpunkt abwarten und das Gespräch beginnen. Dieses soll rücksichtsvoll und frei geführt werden und nicht verletzend, soll natürlich ablaufen. Schließlich redet man ja über etwas ganz Natürliches. Freilich wird man die besonderen Gefühle des Kindes respektieren.
Bei den jungen Burschen ergibt sich ein ganz ähnliches Gespräch, weil auch bei ihm die Geschlechtsbehaarung eintritt, sowie verstärktes Wachstum der Geschlechtsteile mit Erektionen und unwillkürlichen Samenergüssen, meist nachts. Später dann der Stimmbruch und gelegentlich und vorübergehend eine gewisse harrnlose Brustdrüsenschwellung. Auch hier wird der Vater den rechten Augenblick zu finden trachten, der ein gutes Gespräch ermöglicht.
Gewiß ist es auch möglich, daß beide Elternteile mit ihrem Kind reden. Zu diesen Gesprächen, die ja nicht selten mehrmals hintereinander zustandekommen können, gehört auch die Frage des Geschlechtsverkehrs und der Verantwortlichkeit in dieser Frage. Aus der Haltung und den Aussagen der Eltern sollten die Jugendlichen erfahren und verstehen lernen, daß eine Bekanntschaft oder ein ernstes Verliebtsein nicht primär eine Angelegenheit des Einsatzes der Geschlechtsorgane ist, sondern ein Ereignis, das zuerst eine Herausforderung für die seelisch-geistigen und charakterlichen Qualitäten des jungen Menschen bedeutet. Hier darf und muß auch von Verantwortung gesprochen werden... Damit sind keine Moralpredigten gemeint, sondern Erziehungsbemühungen im Sinn von Versuchen, den jungen Menschen von Wahrheiten zu überzeugen, die er noch nicht kennen kann, die ihn und andere vor Schaden bewahren sollen.
Univ. Prof. Heribert Berger (Vorstand d. Kinderklinik in Innsbruck), Auszug aus einem Vortrag in Meran im Herbst 1986