Manche glauben, der Kirche bleibe in Fragen der Sexualität nur ein Rückzugsgefecht unter dem Motto: “Rette, was zu retten ist”. Dazu besteht kein Anlaß. Denn je weiter die Sexualisierung fortschreitet, umso deutlicher wird der christliche Ansatz als die Lösung erkennbar.
Wer mit offenen Augen durch die Welt geht, kann heute erkennen, daß die sexuelle Liberalisierung den davon erfaßten Menschen nicht gut tut: Frauenärzte registrieren ein Steigen der Frigidität bei ihren Patientinnen (je mehr Partner sie hatten, umso ausgeprägter die Erscheinung); die Unfruchtbarkeit wird zu einer weitverbreiteten Erscheinung (in den USA sind davon schätzungsweise 25 Prozent der Paare betroffen); Männer neigen als Folge des sexuellen Leistungsdrucks immer häufiger unter Impotenz, usw....
Auf diese Fakten hinzuweisen, kann dort nützlich sein, wo jemand ernsthaft auf der Suche nach einem richtigen Weg ist. Das Aufzeigen der negativen Folgen wird bei jungen Menschen aber vielfach auf Unverständnis stoßen. Sie stehen am Anfang ihres Lebens. Und da gibt es verständlicherweise so viel Verlockendes, was die Sexualität betrifft. Wer wollte leugnen, daß er selbst hin und hergerissen war! Was sollen da Warnungen allein bewirken, noch dazu in einer Welt, in der Sex so selbstverständlicher Teil der modernen Konsumgesellschaft geworden ist?
Wer Sexualerziehung ernstnimmt, darf sich daher sicher nicht darauf beschränken, vor den negativen Folgen der Sexualisierung zu warnen. Mir scheint es an der Zeit, daß wir Christen endlich aus der Defensive der Schützengräben hervorkommen und unsere Vorstellungen als positive Alternative vorbringen. Sicher, man wird uns vorwerfen, wir seien hoffnungslos lustfeindlich, prüde und bauten auf einer jahrhundertealten Tradition der Sexualfeindlichkeit auf. Wem solches entgegengehalten wird, der sollte bereit sein, so manche verbogene Haltung von Christen in Vergangenheit und Gegenwart zuzugeben. Warum auch nicht?
Aber einschüchtern sollte man sich nicht lassen. Es bietet sich vielmehr an, den Gesprächspartner beim Wort zu nehmen. Denn die meisten werden sexuelle Begegnung mit dem Wort Liebe in Beziehung setzen. Das zeigte etwa auch eine Untersuchung von Adeline Husslein über das Sexualverhalten österreichischer Jugendlicher ganz deutlich: 85% der Befragten stimmten der Aussage zu, “sexuelle Beziehungen (seien) nicht unmoralisch, wenn sich die Partner lieben”. Und sogar 92% der befragten Mädchen stellten fest, sie könnten “sich sexuellen Verkehr ohne Liebe nicht vorstellen."
Das ist doch ganz beachtlich! Adeline Husslein stellt im Zusammenhang mit diesen Befragungsergebnissen auch erleichtert fest: “Diese Partnerschaften (sie meint die heute gängigen vorehelichen Beziehungen) stehen unter dem Gebot von Liebe und Treue... “
Na also, wozu dann die ganze Aufregung?, könnte man fragen. Nur ein paar Sätze weiter liest man bei Husslein aber folgendes: “Die Freundschaft bleibt so lange bestehen, solange eine intensive Zuneigung vorhanden ist.” An diesen beiden Sätzen wird deutlich, daß wir sehr sorgsam mit den Begriffen umgehen sollten. Was heißt denn Liebe und Treue, wenn sie damit vereinbar sind, daß man bei Nachlassen der “intensiven Zuneigung” bei einem Partner auseinandergeht? Bleibt dann nicht mehr nur ein Wortgeklingel, das die positiven Assoziationen mit dem Begriff Liebe mißbraucht?
Was Liebe in ihrem tiefsten Sinn bedeutet, das wissen auch die jungen Leute. Bei Jugendseminaren, die meine Frau und ich mit Freunden gehalten haben, ist uns das oft bewußt geworden. Man braucht ja nur zu fragen: “Was erwartest du dir von jemandem, der sagt, er liebe dich?”
Dann bekommt man Antworten wie: Er wird auf Dauer bei mir bleiben, auch wenn es schwierig ist - ja, gerade dann! Bei ihm kann ich so sein, wie ich eben bin, muß mich nicht verstellen. Auf ihn kann ich mich verlassen - unbedingt. Er übermimmt für mich Verantwortung, steht zu mir - auch wenn mich andere ablehnen. Da wird deutlich: Liebe ist viel mehr als Gefühl, als Leidenschaft oder Verliebtheit. Liebe ist nichts, was man sich nur für Wochenenden, den Urlaub oder für Zeiten der Hochstimmung zusagt. Liebe hat den Charakter der Unbedingtheit. Sie beruht auf dem unbedingten Ja zum anderen. Papst Johannes Paul II hat es einmal einprägsam formuliert, als er sinngemäß feststellte: Das Wesentliche im Leben kann man nicht auf Probe tun. Man kann nicht auf Probe leben, glauben oder sterben. Man kann auch nicht auf Probe lieben. Entweder man liebt oder man liebt nicht! Was haben diese großen Worte mit der Sexualität zu tun? Sehr viel. Denn alles, was sich sexuell zwischen Mann und Frau abspielt, ist Körpersprache der Liebe. Mit einer Fülle von Zeichen teilen wir einander mit, wie wir zueinander stehen, was uns im Inneren bewegt.
Selbstverständlich steht uns auch die Sprache als Mittel der Verständigung zur Verfügung. Aber welcher Reichtum ist uns doch durch die vielen wunderschönen Zeichen des Körpers geschenkt! Welche Verzauberung kann von einem ersten bedeutungsvollen Lächeln ausgehen! Welche Ver heißung von einer leisen Berührung. Welche schöne Erinnerungen habe ich an Momente, als meine Frau und ich “Händchen hielten”! Wo bleibt übrigens die Kultur dieser “kleinen” Zeichen? Auch in den Ehen!
Voraussetzung dafür ist aber, daß sie jeweils Träger einer Botschaft über die Beziehung zwischen zwei Menschen sind. Wo die Botschaft echter Zuneigung fehlt, wird das Geschehen trivial und banal: Wo Haut auf Haut trifft, ist das für sich allein nichts (etwa beizufälligem Zusammenstoß im Gedränge). Aber wie berührend ist dasselbe Geschehen, wenn es eine Liebkosung oder ein tröstendes Streicheln ist!
In diesem Zusammenhang wird klar, daß das Zeichen für echte Liebe zwischen Mann und Frau, für das ganze Ja zum anderen, zu seiner ganzen Person, die sexuelle Umarmung ist. Dabei drückt die Frau aus, was auch tatsächlich geschieht: Ich gebe mich dir ganz hin und lege meine Zukunft in deine Hände. Der Umstand, daß die sexuelle Vereinigung fruchtbar ist, macht dies offenkundig. Und die Tatsache, daß Techniken der Empfängnisverhütung diesen Zusammenhang auseinanderbrechen, ändert nichts an der Wahrheit dieser Grundgegebenheit: daß Leben Frucht der Liebe Gottes ist und Frucht menschlicher Liebe sein sollte.
Wie ist nun die angemessene Antwort des Mannes auf diese unbedingte Hingabe der Frau? Sie besteht in der Zusage, sich unbedingt an sie zu binden. Viele haben das aus den Augen verloren. Es ist eine der Tragödien unserer Zeit, daß vielfach so leichtfertig mit diesen bedeutungsschweren Zeichen umgegangen wird.
Die Folge davon ist greifbar: Wer mit Zeichen lügt, entwertet sie. Und genau das ist im Bereich der Sexualität geschehen. Eine unwahrscheinliche Banalisierung hat um sich gegriffen, ein von den Medien propagierter Massenkonsum, der letztlich unbefriedigt zurückläßt (sowohl innerhalb als auch außerhalb der Ehe). Der Weg der Sexualisierung erweist sich zunehmend als ein sexualfeindliches Rezept. Es isoliert den Sexualbereich des Menschen von der übrigen Person und verheißt höchste Erfüllung bei maximaler Nutzung. Genau das tritt jedoch nicht ein. Man höre nur, was erfahrene Psychologen aus langjähriger Erfahrung festgestellt haben: “Je mehr es einem um die Lust geht, umso mehr vergeht sie einem auch schon”, stellt der bekannte Wiener Psychologe Viktor Frankl fest. Und ergänzt: “Je mehr die Aufmerksamkeit vom Partner ab- und dem Sexualakt zugewendet wird, umso mehr ist dieser gehandicapt.”
Statt weiter sexuelle Konsummaximierung zu predigen, sollte verantwortete Sexualerziehung die Erfüllung erkennen lassen, die wir erleben, wenn wir frei von der eigenen Triebhaftigkeit werden, um uns in einer breiten Palette von Zeichen die gegenseitige Zuneigung mitzuteilen.
Diese Freiheit ist der eigentliche Sinn der Keuschheit, die ja nicht nur vor, sondern auch in der Ehe dafür sorgt, daß wir liebevoll miteinander umgehen lernen, einander als Personen annehmen und nicht als Objekte unserer Lust.
Christof Gaspari
Was wäre also zu tun? Dazu drei Anregungen:
1. Engagement der Eltern an den Schulen: Auch Lehrer sind in der Sexualerziehung verunsichert und voraussichlich für gemeinsame Überlegungen mit Eltern dankbar.
Wo Kooperation nicht möglich ist, wird man sich auf eine liebevolle Konfrontation (die ausreichende Information verlangt) einstellen müssen.
2. Je heftiger umstritten die Thematik ist, umso treffender muß man argumentieren - auch in Diskussionen mit der Jugend. Nicht nur Eltern sind da herausgefordert. Sie haben es in Gesprächen mit ihren Kindern (sie sind ja in der Ablösungsphase) oft schwerer als andere Gesprächspartner. Hier sollten Verwandte und Freunde einspringen können.
3. Ein festes Vertrauen auf die verändernde Kraft des Gebetes für die Neuevangelisierung Europas.