Was eigentlich heißt Treue? Treue umfaßt alle Lebensbereiche. Ein ebenso verbreitetes wie gefährliches Mißverständnis engt Treue auf den sexuellen Aspekt ein. Treue ist jedoch weitaus mehr als der Verzicht auf den sogenannten Seitensprung. Wer so denkt, läßt die Ehe zu einer Einrichtung zur Vermeidung von Promiskuität verkümmern. Mit Treue hat das wenig zu tun. Sie ist nämlich nicht nur eine Herausforderung für den Leib, sondern zu allererst für Geist und Seele.
Der Grund dafür, daß wir uns mit der ganzheitlichen Treue, die Geist, Leib und Seele umschließt, so schwer tun, liegt aus meiner Sicht an einer inneren und äußeren Ungeborgenheit. Diese wird hervorgerufen durch Lieblosigkeit oder Gleichgültigkeit, durch zu wenig Verständnis für die Fragen und Sorgen des anderen und erst infolge dessen auch durch sexuelles Unbefriedigtsein. Verstummt das eheliche Gespräch, dann wird es auch in der Sexualität “still”.
Werte wie Treue wurden in unverantwortlicher Weise lächerlich gemacht oder als verstaubte Moralvorstellung voriger Jahrhunderte diffamiert. Wer es dennoch wagte, sich für Treue einzusetzen, bekam schnell das Etikett, vorgestrig, prüde und lustfeindlich zu sein.
Man begegnete einer Verharmlosung der Untreue. Der bekannte Sexualwissenschaftler Helmut Kentler scheute sich nicht, ausgerechnet auf einem Evangelischen Kirchentag (Düsseldorf 1985), einen ehelichen Seitensprung zu propagieren.
Nachdem in vergangenen Jahren vor allem die sexuelle Untreue der Ehemänner statistisch “erfaßt” wurde, sind seit einiger Zeit Zahlen im Umlauf, die den Ehefrauen bescheinigen, daß sie die Männer in dieser Hinsicht “überrundet” hätten. Bei aller Fragwürdigkeit derartiger Statistiken, bleibt der traurige Tatbestand, daß ein ungewöhnlich hoher Prozentsatz der Ehefrauen und -männer sich offen zur sexuellen Untreue bekennt.
Diese Abwertung der Treue hat das Bewußtsein vieler Menschen ebenso mitgeprägt wie die Überbewertung der Selbstverwirklichung. Da in allen öffentlichen Diskussionen von einem “Recht auf Selbstverwirklichung” die Rede ist, haben sich die Maßstäbe verschoben. Der Anspruch auf Freiheit und Selbstverwirklichung macht nicht halt vor einem Anspruch auf sexuelle Freiheit.
“Ich habe meinen Mann in 8 Jahren Ehe bereits viermal betrogen. Sexuelle Erfüllung konnte ich bei ihm nicht finden, aber habe ich nicht ein Recht darauf, glücklich zu werden?”, schrieb mir kürzlich eine junge Frau, Mutter von zwei Kindern.
Glück ist hier Baustein bei der Suche nach sexueller Selbstverwirklichung. Die Überzeugung, daß sie ein “Recht auf Glück” habe, verstellt dieser Frau den Blick dafür, daß sich dieses “Glück” gründet auf dem Unrecht der Untreue und auf dem Unglück des Ehemannes.
Wenn es Hilfe und Heilung für diese ethische Haltlosigkeit gibt, so kann sie meines Erachtens nur aus einer inneren Glaubensüberzeugung kommen. Darum möchte ich nun der Frage nachgehen: Hat Treue heute überhaupt noch eine Chance, trotz aller Anfechtungen? Ich antworte darauf mit einem deutlichen”Ja”!
Zwar wird es niemandem gelingen, Krisen in der Ehe auszuschalten. Leider aber ist bei vielen Ehepartnern der Wille, diese Krisen zu meistern, ausgeschaltet. Darin liegt der große Fehler unserer Zeit. Nicht der Scheidungsanwalt sollte zum bevorzugten Krisenmanager unserer Ehen werden, sondern wir selbst. Darum bitte ich Sie: Lassen Sie den Scheidungsanwalt vor Ihrer Wohnungstür und öffnen Sie stattdessen die Tür Ihres Herzens für einen anderen “Anwalt”: Jesus Christus. Er allein kann helfen, mit Krisen in Ihrer Ehe und in Ihrem Leben fertigzuwerden. Alle Menschen verbindet die Sehnsucht nach Liebe, Angenommensein und Geborgenheit. Dennoch bleiben wir sie einander immer wieder schuldig. Gerade in der Ehe ist das besonders schmerzlich. Darum sind Eheleute auf Hilfe angewiesen, wenn sie ihr Liebesversprechen einlösen wollen. Menschliche Hilfe stößt hier an Grenzen. Gottes Hilfe hingegen überwindet die menschliche Begrenzung.
Die Bedeutung der Einbeziehung Gottes in die Ehewirklichkeit ist weithin verloren. Wenn es aber gelingt, die Kraft vergebender Liebe Gottes in die Ehe hineinzunehmen, ist das Eindringen eines Dritten zumindest erheblich erschwert.
Das Vorbild Jesu ermutigt, auch dann zu vergeben, wenn man sich objektiv im Recht fühlt und auch dann Hoffnung zu haben, wenn Hoffnungslosigkeit sich ausbreitet. Das gilt nicht nur, bevor es zu einer ehelichen Untreue gekommen ist, sondern darüberhinaus auch dann, wenn sie eingetreten und offenkundig ist.
Es fällt uns allen schwer, den ersten Schritt zur Versöhnung zu tun. Jesus hat immer den ersten Schritt getan und seine Hand ausgestreckt. Folgen Sie seinem Beispiel.
Elisabeth Motschmann, Vortrag am 14. Intern. Familienkongreß in Bonn. Die Autorin ist Hausfrau und Autorin mehrerer Bücher.