Frage: Ist nicht ein zentrales Anliegen der Neuevangelisation, zu der uns Papst Johannes Paul II einlädt, die Neuentdeckung der Kraft des Gebetes?
Guy Gilbert: Als ich mit meinem Dienst bei den Jugendlichen, die am äußersten Rand der Gesellschaft stehen, begonnen habe, dachte ich, daß, rasch Hilfe zu leisten, oder ein dringendes Gespräch mit einem Jugendlichen wichtiger wären als das Gebet der Kirche. Dann haben mir Zeiten des Leerlaufs etwas ganz Wesentliches gezeigt: Je mehr ich bewegen wollte, desto weniger schaute dabei heraus. Ich hatte gedacht, daß ich mit meinem eigenen Boot alle retten könnte und mußte feststellen, daß das Wasser, es von allen Seiten zu überfluten drohte.
Nun bin ich soweit, daß ich viel mehr an die Kraft des Gebetes als an die meiner Handlungen glaube, auch wenn ich weiß, daß letztere sehr wichtig sind. Der Tat kommt damit zwar einerseits ein bescheidenerer Platz zu, sie wird andererseits aber viel wirksamer. Du versteifst Dich dann nicht mehr darauf, die Folgen Deines Tuns zu berechnen, sondern die Tiefe Deiner Beziehung zu Gott zu erkennen. Wenn nicht im Leben eines jeden Christen einmal der Tag kommt, an dem er “Gottes Meinung erforscht, um sich die eigene bilden zu lassen”, wie es der Pfarrer von Ars ausgedrückt hat, so bleibt alles oberflächlich und purer Aktivismus.
Sich für Gott Zeit zu nehmen, heißt, unschätzbare Stunden für andere zu gewinnen. Das stete Wiederholen der Feststellung, man finde Gott im Menschen, hat die Flucht aus den Orten der Stille und des Gebetes bewirkt, und viele auf die vergebliche Suche nach Gott im Tun und im Menschen gelenkt.
Des Nachts, auf dem Weg nach Hause komme ich oft an der Kirche Notre-Dame des Foyers im 19. Pariser Bezirk vorbei. Durch die Fenster kann man das Licht beim Tabernakel erkennen. Eines Abends fragte mich ein Typ, der mich begleitet hat, warum ich mir das Licht ansehe. Ich sagte ihm darauf: “Für mich als Christ ist Gott da in einem winzigen Haus. Es ist Brot darinnen, aber ein Priester hat es zum Leib Christi gewandelt. Ich glaube daran, daß Gott hier anwesend ist. Für mich ist es eine große Freude, Ihm jede Nacht hier zu danken und Ihm gute Nacht zu sagen!”
Noch lange habe ich damals mit dem jungen Mann gesprochen, nicht um ihm das alles zu erklären - es läßt sich ja nicht erklären-, sondern um ihm begreiflich zu machen, daß ich wahrhaftig an die Anwesenheit Christi glaube. Und weißt Du, was er mir da gesagt hat? "Ja, aber wenn das wahr ist, müßtest Du doch Tag und Nacht da bei Ihm sein. Na hör mal, Gott ist doch größer als alles, und er kann doch alles. Er ist da, und ihr geht fast nie hin, um Ihn zu begrüßen!” Ja, so ist es wirklich..
Ich wiederhole es ständig: Meine Kraft kommt nicht vom Spinat essen oder von der Biokost, auch nicht - obwohl sie nützlich sind - von den 8 Stunden Schlaf oder von irgendeiner sportlichen Betätigung. Meine Kraft, mein “Jungbrunnen” liegt in dieser Betrachtung eines Gottes der Liebe begründet. Ich erhalte sie mir durch die Meditation des Evangeliums, durch das Brevier (welches mich mit der ganzen Kirche verbindet), den Rosenkranz, die Sakramente und durch die Tatsache, daß ich mich alle 14 Tage für 43 Stunden in ein Kloster zurückziehe, um meinen Mund zu halten und Christus zuzuhören. Ohne das wäre ich geliefert!
Frage: Und die Eucharistie?
Guy: Die Eucharistie ist der Gipfelpunkt unseres Gebetes, unsere wesentlichste Nahrung, das größte der Sakramente, das auch unsere Einheit bewirkt. Die Liebe in meine Hände aus Lehm herabzuholen, gehört zu den schönsten Momenten meines Lebens. Das ist die größte Freude! Wenn Du weißt, daß Gott genauso wie vor 2000 Jahren zu uns - durch die Transsubstantiation - in materialisierter Form herabkommt und das durch Deine Hände, durch Deinen Mund als Priester, so ist das einfach phantastisch.
Wenn ein Priester wirklich an die Eucharistie glaubt, so werden das die Menschen erkennen, sie werden daran festhalten und sich zusammenschließen. Wenn es ihm aber “wurscht” ist, wenn er die Messe genauso liest, wie er zuhause Geschirr wäscht, so werden die Leute keinen Bezug haben oder ausbleiben. Unlängst bin ich hinter einem Priester gestanden, der sich während der Wandlung die Füße gekratzt hat: Na ja, was willst Du dann? Und wie oft habe ich Bischöfe die Messe lesen gesehen, als wären sie Funktionäre!
Aber ich erinnere mich noch genau an den Rektor meines Seminars. Wenn er die Messe las - und das ist jetzt 35 Jahre her - dann spürte ich, daß dies jetzt der wichtigste Moment meines Tages war. Die Anwesenheit Gottes war dann für mich physisch spürbar. Wenn Du einmal in Deinem Leben einem Priester, der mit Liebe die Messe zelebriert und der wirklich glaubt, begegnest, so hast Du alles verstanden.
Guy Gilbert hilft Jugendlichen in Paris, die sich selbst überlassen sind, ebenso wie den Drogenabhängigen und Vorbestraften. Über seine Arbeit und seine Erfahrungen hat er mehrere Bücher geschrieben. Mit einem Team bemüht er sich zur Zeit vor allem auch um die Reintegration wiederholt straffällig gewordener Jugendlicher.