Vielfach ist das Bewußtsein, daß jeder von uns wertvoll ist, einfach deswegen, weil er von Gott geliebt ist, nicht vorhanden. Nur manche leben aus der Erfahrung, daß wir von Gott immer etwas zu erwarten haben.
Ich war einigermaßen erschüttert, als ich erfahren mußte, daß diese Vorstellung auch unter geistlichen Schwestern nicht selbstverständlich ist. Sie gehen zwar miteinander liebevoll um, widmen ihr ganzes Leben dem Dienst an anderen Menschen. Aber selbst sie haben oft den Eindruck, daß wenn eine von ihnen keine Leistung mehr erbringt, dies ein Unglück sei. Eine Schwester, die sich 40 Jahre hindurch beispielsweise um Kinder gekümmert hat und dann weitere 20 Jahre an der Pforte gesessen ist, jetzt aber auch das nicht mehr kann, ist verzweifelt. Daß sie jetzt in der Stille oder im Gebet genauso wertvoll ist, das anzunehmen, fällt ihr schwer.
Das. heißt nicht, daß sie vom Gebet nichts hält. Durchaus nicht. Im Gegenteil: Sie hat ihr Leben lang gebetet - von Herzen. Aber auch dieses Gebet steht oft fast ausschließlich im Dienst der Aufgabe. Daß es wichtiger für die Gemeinschaft sein könnte, daß jetzt eine von ihnen sich ganz dem Gebet widmet, wird immer wieder übersehen.
Dieses tiefe Bewußtsein, daß zweckfreies Dasein vor Gott wertvoll ist, haben wir weitgehend aus den Augen verloren.
Silvio Crosina