Werden nicht in unseren Tagen unter dem Anspruch sogenannter Weitherzigkeit Wertvorstellungen vertreten, die in Wirklichkeit Selbstauflösung bedeuten? Weitherzigkeit setzt ein Herz voraus, einen Ursprung. Vielleicht leiden wir Menschen unserer Zivilsation aber mehr als uns bewußt ist an Wurzellosigkeit.
Der “homo technicus” hat durch seinen selbstherrlichen Zugriff die irdische Schöpfung und damit sich selbst massiv der Bedrohung durch Zerstörung ausgesetzt. Dieses Vergehen mit seinen furchtbaren Folgen hat viel Angst ausgelöst. Als eine seiner Früchte kann man eine verhängnisvolle Fehlhaltung feststellen: Die Flucht in die Subjektivität.
Weil es scheinbar nichts Sicheres, keinen zuverlässig tragenden Grund mehr gibt, suchen viele Menschen das Heil und die Wahrheit im eigenen Individuum. Als wahr und gut erklärt man das, was man subjektiv als solches empfindet. Prinzipienlosigkeit wird zum Prinzip erhoben.
Ob nicht dieses veränderte Lebensgefühl inzwischen auch bei vielen Menschen der nördlichen Hemisphäre die Vorstellung vom Christsein mitbeeinflußt? Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, daß auch da und dort das Streben nach Selbstverwirklichung im obigen Sinn mit wirklicher, christlicher Mündigkeit verwechselt wird. So jedenfalls hat das II. Vaticanum die Betonung der Sendung der Laien nicht gemeint. Wäre es nicht notwendig, die entsprechenden Konzilstexte im Originaltext durchzulesen?
Der willkürlichen Auslegung der Bibel sind nach katholischem Schriftverständnis Grenzen gesetzt. Mit Ausgrenzung hat das nichts zu tun, im Gegenteil: Der Reichtum unserer Kirche liegt nicht darin, daß ihre Mitglieder irgendwie an den lieben Jesus glauben und daneben tun und lassen, was sie wollen. Jesus Christus hat der Kirche für immer den Geist der Wahrheit und die Fülle des Lebens zugesagt - und zwar unter der Führung des Lehramtes. Dieses ist eine lebendige, sich in jeder Zeit neu ereignende, im Wort Gottes verwurzelte Realität.