VISION 20002/1988
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Sie haben ein Recht auf Liebe

Artikel drucken (Stefan Keznickl, Ingeborg und Richard Sickinger)

Den Wert der christlichen Botschaft erkennt man am deutlichsten am Leben jener, die Jesus ernsthaft nachfolgen. Wir haben in Jugoslawien eine Frau entdeckt, deren Leben uns einfach erstaunt und hingerissen hat. Wir wollen sie als erste in unserer Serie über gelebten christlichen Alltag vorstellen: Jelena Brajsa

Im Vorjahr fand in Zagreb ein großer Pro-Life-Kongreß statt, an dem wir - einige Jugendliche der Aktion Leben in Wien - teilnehmen konnten. Wir wurden von der Leiterin der Caritas in Zagreb, Jelena Brajsa, aufgenommen, da zwischen unseren beiden Organisationen seit Jahren ein guter Kontakt besteht.

Die Tage, die wir bei dieser außergewöhnlichen Frau verbringen durften, haben uns tief beeindruckt: einer von uns fährt jetzt noch regelmäßig zu ihr, um ihr bei der deutschsprachigen Korrepondenz zu helfen. Und schließlich erzählten wir auch den Organisatoren des Wiener Familienkongresses so begeistert von ihr, daß sofort beschlossen wurde, Jelena Brajsa als Vortragende einzuladen.

Gott sei Dank ist sie gekommen, sonst wäre uns allen ein wundervolles Erlebnis vorenthalten worden: nämlich diese Frau in so schlichten, ergreifenden und vom Herzen kommenden Worten über das Ringen um ihr Lebenswerk - dem Aufbau der Caritas-Zagreb - erzählen zu hören.

Vor zwanzig Jahren hat sie mit dem Sammeln von Kleidern für die Armen begonnen, bis sie eines Tages vor ihrer Türe eine Schachtel fand, in der jemand ein Neugeborenes weggelegt hatte.

Damit war ihr klar, was sie tun sollte: so hat sie bis heute insgesamt 1200 weggelegte und behinderte Kinder aufgenommen.

Erstes Heim für diese Kinder war das erzbischöfliche Palais in Zagreb, von dem sie stolz erklärt, daß es sicherlich "das einzige Palais der Welt ist, in dem täglich einige hundert Windeln gewaschen werden." Mittlerweise hat die Caritas in Zagreb mehrere Heime und über 40 Mitarbeiter. Für Jelena Brajsa machen der Einsatz und die Liebe nicht bei der Haustüre halt: neben der enormen Arbeit für die Caritas hat sie - als alleinstehende Frau - im Laufe der Jahre insgesamt sechs behinderte Kinder bei sich zu Hause aufgenommen, und nach Möglichkeit sogar adoptiert.

Wir konnten erleben, wie diese Frau mit ihrem runden, lieben Gesicht, mit der unglaublichen Vitalität und Energie, mit ihrer Lebensfreude und Herzlichkeit diesen Kindern etwas gibt, das sie sonst nie erfahren würden: die Wärme und Geborgenheit eines richtigen Familienlebens.

Jelena Brajsa ist eine unermüdliche und rührige, aber auch stolze und strahlende Mutter: "Unsere Kinder sind immer die bestangezogenen", erzählt sie gerne.

Ihre Energie scheint unerschöpflich: selbst nach den Vorträgen des Zagreber Kongresses hatte sie Zeit, sich mit uns an den Küchentisch zu setzen, und bei einer Tasse Tee von ihrem Leben und ihren Kindern zu erzählen: über Tomislav, den ältesten, der trotz seiner Blindheit dabei ist, das Musikgymnasium abzuschließen und seine erste Schallplatte aufzunehmen; über Martina, das hübsche und schon sehr erwachsene Mädchen, das an einem Herzfehler leidet; über Marian, der mit seinen elf Jahren noch wie ein Kleinkind ist: seine Mutter hatte versucht, ihn abzutreiben, wovon schwere Behinderungen zurückgeblieben sind; über die kleine Jelena, die fast ihr ganzes Leben in einem Krankenhaus verbracht hatte, bis sie von Frau Brajsa gefunden und aufgenommen wurde und heute mit ihrem immer lachenden Gesicht der Sonnenschein der Familie ist; über das Waisenkind Ivana, die schon sehr eigenwillig ist; und in diesem Jahr ist noch ein kleiner Bub dazugekommen.

Jelena Brajsa bewohnt mit ihren Kindern ein einfaches, aber sehr gemütliches und geräumiges Vorstadthäuschen. Jeder hat ein eigenes Zimmer: nicht nur die Kinder, sonder auch zwei junge Frauen, die im Haus wohnen und bei der Arbeit helfen. Die beiden haben selbst zwei kleine Kinder, und deshalb - da sie unverheiratet sind - kaum die Gelegenheit, sonst wo angestellt zu werden. Außerdem gibt es noch eine kleine Wohnung für eine ältere Frau, von allen "Großmutter" genannt, die sich um den Garten kümmert, Gemüse anbaut und beim Babysitten hilft.

Gemeinsam wird die tägliche Arbeit bestritten. Jelena Brajsa ist dabei unermüdlich: Sie steht als erste auf - früh genug, um zunächst einmal Brot einzukaufen, das in Zagreb immer schon nach wenigen Stunden ausverkauft ist. Die Kinder werden versorgt und, soweit sie eine Schule besuchen können, hingebracht. Zu Mittag kommt Jelena Brajsa oft selbst nach Hause, um das Essen zu kochen.

Niemandem in ihrem Haushalt fehlt es am nötigsten: weder am Essen (was in diesem Land nicht selbstverständlich ist - obwohl Jugoslawien nur wenige Autostunden von uns entfernt ist, wissen nur sehr wenige, daß das Land in Bezug auf die Versorgung im Moment kurz vor einer Katastrophe steht) noch an der nötigen Zuwendung. Für ihre Kinder hat sie immer Zeit - und gönnt sich selbst kaum eine Ruhepause. Höchstens abends, wenn die Kinder schon im Bett sind, setzt sie sich eine Stunde hin und löst ein Puzzle, was ihr - nach ihrem übervollen Tagespensum - Spaß bereitet.

Oft wird sie gefragt, warum sie das alles für die Kinder tut? Dann antwortet sie: "Christus selber hat gesagt: wer dieses Kind aufnimmt, nimmt mich selber auf. Ich sammle Kinder auf, die niemand will - in diesen Kleinen ist ja Christus selbst. So wie die Kinder sind, haben sie ein Recht zu leben: ob sie zwei Hände und Füße haben oder nicht." Sie weiß auch, daß Menschen - selbst wenn sie etwas Gutes tun möchten - sich oft allzu sehr von dem beeinflussen lassen, was andere davon halten - etwa, wenn man mit einem schwer behinderten Kind auf der Straße spazieren geht.

Doch darum kümmert sich Jelena nicht. Sie sagt: "Wir sind von Gott für eine große Aufgabe geschaffen, von Ewigkeit dafür vorbereitet. Und wir müssen wachsen, um unser Ziel zu erreichen: daher sollen wir jedem, der auf der Welt ist, helfen, sein Leben zur Erfüllung zu bringen."

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Ich möchte mich nochmals dafür bedanken, daß ich am 12. Internationalen Familienkongreß teilnehmen durfte. Vielleicht war ich vor dem Kongreß nicht so schnell und aktiv beim Mitarbeiten. Ich habe nämlich nicht genau gewußt, was das bedeuten soll. Ich muß Ihnen aber gestehen, daß ich tief erschüttert bin von dem, was ich gehört und gesehen habe. Von ganzem Herzen muß ich mich bedanken, daß Sie mich eingeladen haben. Noch nie in meinem Leben habe ich vor so einer großen Menschenmenge sprechen dürfen und noch dazu in deutscher Sprache. Das war für mich wirklich keine einfache Sache. Ich wurde mehrmals ersucht, das Manuskript meiner Rede vorauszuschicken. Ich habe immer wieder zu schreiben begonnen, aber leider konnte ich nichts zu Ende bringen, weil ich dazu nicht fähig bin. Ich konnte nicht schreiben, weil ich meine Reden nie schriftlich vorbereite, sondern nur von meinem Leben und aus meinem Herzen heraus halte. Aber sehen Sie, am Ende ist doch alles gut gegengen. Die Übersetzer konnten meinen Vortrag leicht auf Englisch und Französisch übersetzen. So konnte ich wirklich von Herzen einen Teil meines Lebens erzählen.

Ob das überhaupt Ihren Wünschen entsprochen hat, weiß ich selber nicht, aber ich dachte mir, es ist besser von meinem Leben, von unserer Arbeit, von meinen Mitarbeitern und unseren armen und behinderten Kindern zu sprechen.

Ich danke Ihnen für die Bereitschaft, uns auch materiell zu helfen. Damit habe ich wirklich nicht gerechnet. Ich wollte meinen Beitrag zu diesem Familienkongreß leisten. Und zum Schluß wurden meine Leute von Ihrer Seite belohnt. Vielen Dank für die große Spende, die die Leute wirklich frei von ihrem Herzen gegeben haben.

Jelena Brajsa

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