Klagen über das Verhalten der Jugend gab es seit jeher. Man lese bei den alten Griechen nach. Kann man deswegen aber sagen, heutige Jugendprobleme seien diesselben wie eh und je? Ich denke nein. Einige Erfahrungen aus letzter Zeit haben mir das wieder bewußt gemacht. Da sagt etwa meine 19jährige Tochter nach einem Geburtstagsfest für unseren 12jährigen: "Diese Kinder sind wirklich eine andere Generation als ich. Wir hätten uns nicht so ungeniert benommen": Zeichen für den raschen Wandel. Schon bei der Einladung zu diesem Fest war es kaum möglich, einen Termin zu fixieren. Denn die Freizeit der Schüler war so überladen, daß auf Wochen im voraus alles ausgebucht schien: Zeichen für Überforderung.
Oder: Da berichtet mir eine Volksschullehrerin von ihren Erfahrungen mit Erstklasslern. Sie könnten nicht stillhalten, wären außerstande, drei Minuten lang eine Geschichte zu erzählen. Ihr ganzes Glück sei es aber, einen Videofilm anzusehen.
Drei Alltagserfahrungen. Sind sie typisch? Wenn ich einer kürzlich veröffentlichten Studie über Österreichs Jugend Glauben schenke, sind das keine Einzelerscheinungen. Was ist aber für heute typisch?
Sie ist wohl die erste Generation, die in einem Klima allgemeinen materiellen Wohlstands, ja sogar des Überflusses heranwächst. Schon ein Blick auf die persönliche Ausrüstung Jugendlicher macht dies deutlich: Kassettenrecorder, Fahrrad, Schiausrüstung gehören zum Standardrepertoire.
Von der Wirtschaft längst als interessanter Markt entdeckt, steht die Jugend heute unter Dauerbeschuß der Werbung. Und diese suggeriert ganz massiv, Konsum mache glücklich, Lebensqualität hänge vom Besitz ab. Wie tief die Werbung eindringt, kann jeder selbst an seinen Kindern überprüfen. Auf Anhieb sind meinen Kindern Werbeslogans eingefallen, mit denen man eine ganze Sendung hätte bestreiten können. "Geld macht glücklich", verkündet Herr Kirschner vom Plakat, und "Ich genieße, daher bin ich" versucht eine Zigarettenmarke das moderne Menschenbild zu kennzeichnen.
Im Jahr 1987 wurden allein in Österreich 30 Milliarden Schilling im Werbesektor umgesetzt. Soll das spurlos an den jungen Menschen vorübergehen? Da wird nicht nur für Produkte geworben, sondern für eine Lebensphilosophie.
Darf es uns da wundern, daß man einen massiven Konformitätsdruck bei der Jugend registriert. Alles stürzt sich auf das, was gerade "in" ist. Das wird nämlich zum Symbol und zur Garantie für die Zugehörigkeit zur Gesellschaft, zur Konsumgesellschaft. Relativ neu ist auch das Phänomen, daß die Familie eine vergleichsweise geringe Rolle spielt. Sie wird zunehmend auf die Aufgabe eingeschränkt, Ort der Gefühlsversorgung zwischen den "eigentlich wichtigen” Lebensbereichen Beruf, Hobby, Schule und Freizeitaktivitäten zu sein. In Bezug zu ihrer Aufgabe, Gehschule im Umgang mit verschiedenen Menschentypen zu sein, hat sie stark an Bedeutung eingebüßt: Außerhäusliche Berufstätigkeit beider Eltern, wenige oder gar keine Geschwister und Isolierung von der Nachbarschaft schränken die Kontaktmöglichkeiten drastisch ein.
Umso größer ist die Bedeutung der Medien für die Kinder und Jugendlichen ‘geworden. Sie werden zunehmend zum Kommunikationsersatz und sind eine ihrer Hauptbeschäftigungen. Man könnte heute geradezu von einer "Medien-Jugend" sprechen (siehe auch das Interview mit Michael Keating).
In 97 Prozent der Haushalte Österreichs gibt es einen Fernsehapparat. Und er läuft... Schüler verbringen im Durchschnitt täglich 75 Minuten vor dem Gerät. Weitere 40 Minuten wird Platten oder Kassetten gehört. Und das Radio läuft in den meisten Zimmern (nicht nur) von Jugendlichen als Geräuschkulisse - vor allem Ö3. Und wer könnte sagen, daß diese Dauerberieselung neutral ist?
Es genügt, einen Tag lang aufmerksam den Sendungen zu folgen und sie auf die von ihnen vermittelten Werthaltungen hin zu prüfen: viel oberflächlicher Tratsch, viel Sex, viel Kritik an tradierten Werten, viel Propagierung liberaler Haltungen, viele Katastrophenmeldungen....
Darf es da wundern, daß es immer deutlicher zu einem Abrücken vom Glauben und von der kirchlichen Lehre kommt? Es ist nichts als ein Reflex dessen, was sich schon seit langem in der Erwachsenengeneration abgespielt hat. Nur traf es da Personen, die meist noch in einem traditionell in der Religion verhafteten Milieu groß geworden sind und daher gewisse Werte als selbstverständlich integriert haben. Das fehlt den meisten jungen Menschen heute.
Vielmehr werden sie - insbesondere in den letzten Jahren - mit einer Palette von Sinnangeboten konfrontiert: Buddhismus, Indianer-Weisheit, Hinduismus, Meditationspraktiken... all das wird breit von den Medien aufbereitet und zum Konsum feilgeboten. Zwar sind immer noch 92 Prozent der 14- bis 24jährigen getauft, die überwiegende Mehrheit der jungen Menschen ist aber indifferent.
Dennoch gibt es so etwas wie eine wiedererwachte diffuse Sehnsucht nach Religiösem. Das ist der Nährboden, auf dem das Angebot von Sekten und New Age ins Kraut schießt.
Wenig Orientierung und viel Unsicherheit also. Beides wird noch verstärkt durch die lange Ausbildungszeit. Für viele rückt die Berufswelt in weite Ferne als Endpunkt endloser Schul- und Studienjahre.
Ohne klares Ziel steuert man eben einmal die Matura an. Dann wird man schon sehen ...
Materiell zwar gut ausgestattet, wachsen die Jungen auf unsicherem Boden inmitten verwirrender, widersprüchlicher Lebensmodelle heran. Vordergründige Glücksverheißungen verunsichern ebenso wie die Unüberschaubarkeit unseres Lebens und die mangelnde Geborgenheit. Da ist es naheliegend, daß junge Menschen zu Gleichgültigkeit und Zynismus neigen und hellhörig für Sinnangebote verschiedenster Art werden.