VISION 20002/1989
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Den Idealismus ansprechen

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Vision 2000: Viele Eltern haben den Eindruck, die Jugend lasse die Meinung Erwachsener nicht gelten. Stimmt das?

Sepp Messner: Wer näher hinhört, erkennt, daß junge Menschen durch forsches Auftreten oft eine innere Unsicherheit überspielen. Man darf nicht vergessen: Als junger Mensch hat man meistens noch kein fertiges Welt- und Menschenbild. Da ergibt es sich, daß so manche harte Konfrontation nichts anderes als die Suche nach neuen Horizonten ist. Daher ist es wichtig, Geduld zu haben und darauf zu vertrauen, daß das Gesagte weiterwirkt - auch wenn es nicht gleich danach ausschaut. Man kann ruhig zwei Meinungen im Raum stehen lassen. Gut ist es, Gespräche mit Fragen zu lenken.

Vision: Wirken nicht recht viele junge Menschen uninteressiert?

Messner: Sie begegnen ja einer solchen Überfülle an Information! Da ist es oft schwer, ihr Interesse zu wecken. Hier ist wichtig zur bedenken: In jedem Menschen - besonders im jungen - steckt ein idealistischer Kern. Diesen gilt es zu erschließen. Appelle an den Idealismus der Jugendlichen werden darum erstaunlich oft erfolgreich sein. Besonders zielführend erscheint es mir, junge Leute Gegensätzliches erleben zu lassen. Also etwa die Begegnung von alt und jung, von Behinderten und Gesunden. Bei solchen Gelegenheiten entsteht Betroffenheit.

Vision: Du plädierst also eher für Erfahrung als für Theorie?

Messner: Konkrete Erlebnisse sprechen am meisten an. Es wäre gut, sie ihnen gezielt zu bieten, damit sie direkt Erfahrungen sammeln können. Ich gehe seit Jahren mit jungen Leuten in Altersbeime, damit sie an der Begegnung mit alten Menschen reifen und gleichzeitig ihren Horizont erweitern können, indem sich von den Alten über deren Jugendzeit informieren lassen. Wichtig ist es zu wissen, daß Jugendliche etwas tun wollen. Ihnen geht es um handfestes Zugreifen.

Vision: Haben die jungen Leute ausreichend Durchhaltevermögen in solchen Situationen?

Messner: Viele nicht. Ich beobachte nicht nur eine weitverbreitete Unwilligkeit zur Bindung, sondern geradezu eine Unfähigkeit zum verbindlichen Engagement. Dies ist eine Auswirkung unserer Konsumgesellschaft. Alles wird angeschaut und ausprobiert. Länger auszuharren ist schwierig (siehe S. 4). Mir scheint, daß hier nur das eigene Vorbild helfen kann. Hat ein junger Mensch wirkliche Treue erlebt, so mag er sie zwar zunächst belächeln oder ablehnen. Eine solche Erfahrung aber läßt ihn nicht mehr los. Nach Irrwegen werden viele sich neuerlich nach "Halt" sehnen.

Vision: Warum gelingt es kaum, in bestehende Jugendgruppen "Neues" hineinzutragen?

Messner: Neues bedeutet immer Unsicherheit und Risiko. Man scheut Blamage, Hänselei, wenn man anders denkt, als die Gruppe. Immer seltener trauen sich Jugendliche - trotz des Fallens aller Tabus - über ihre innersten Gefühle zu reden. Im Elternhaus ist dafür vielfach keine Zeit, in den lauten Discos braucht man das nicht. Darum sind Jugendzentren herkömmlicher Art meist ausgestorben. Heute fahren die jungen Leute viele Kilometer an Orte, wo sie sich geben können, wie sie es empfinden. Dort sind sie ansprechbar.

Sepp Messner ist Leiter einer Jugendgruppe, die seit mehr als zehn Jahren Altersheime besucht.

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