Das für mich Beeindruckendste am Besuch des Papstes waren die vielen Schritte der Versöhnung, die gesetzt wurden - nicht nur vom Papst selbst, sondern auch, auf sein Beispiel hin, von Vertretern der Juden, Christen und Araber. Bis zwei Wochen vor dem Besuch hörten wir wenig und hauptsächlich Negatives über die anstehende Pilgerreise.
Dann, plötzlich, wurden an allen Straßenlaternen Jerusalems die Fahnen Israels und des Vatikans angebracht, die Straßen rund um seine Unterkunft restauriert und Plätze, die er passierte, mit dem hebräischen Willkommensgruß "Baruch HaBaì" geschmückt, der sich vom messianischen Segenswunsch "Gesegnet sei der, der kommt im Namen des Herrn" ableitet. Schließlich entschied sich das israelische Fernsehen, beinahe alle Auftritte des Papstes live zu übertragen.
All dies kann ich mir bis heute nicht rational erklären. Feststeht, daß sie von einer gespannten Erwartung von Seiten der Israelis begleitet wurden, die sich während des Besuchs in Begeisterung, und bei manchen sogar in Betroffenheit und Eifer verwandelte. Diese Begeisterung wurde von vielen Gruppen geteilt: säkularen und religiösen Juden, Christen und Messianischen Juden, Israelis und Arabern. Unter meinen säkularen Freunden gab es kaum jemanden, der die Veranstaltungen nicht zumindest zum Teil im Fernsehen mitverfolgte.
Ein Mann aus meinem Bekanntenkreis, dessen Tochter schon seit Jahren für seine Bekehrung betet, nahm während einer solchen Übertragung Jesus als seinen Erlöser an! Unter den religiösen Juden machte sich ob der Demut und Aufrichtigkeit Johannes Pauls, die unseren Rabbinern oft abgehen, Betroffenheit breit. Viele waren beeindruckt davon, daß sich gerade unter den Christen, die von den Juden meist mit Verfolgung und Haß assoziiert werden, Glaube, Rechtschaffenheit und Mühe um Vergebung finden.
Dieser Eindruck wurde von den großen Zeitungen zum Anlaß genommen, Auszüge aus dem Konzilstext Nostrae Aetate abzudrucken, der die Christen zur Wertschätzung und Achtung gegenüber den Juden aufruft. Die Veröffentlichung dieser Auszüge hat entscheidend zum Bewußtsein beigetragen, daß das stereotype Feindbild "Christ" veraltet ist.
Auch anderswo wurden Schritte in Richtung Versöhnung gesetzt. Eine israelische Zeitschrift erinnerte die Juden daran, "daß auch wir uns für vieles zu entschuldigen haben", und sie ließ diesen Appell von der arabischen Zeitschrift "AlQuds" nachdrucken.
Meine messianisch-jüdischen Freunde, die sich meist von der Geschichte und Tradition der katholischen Kirche distanzieren, waren beeindruckt von den ehrlichen Vergebungsbitten des Papstes und beginnen nun, mir mit neuer Offenheit Fragen über die Kirche zu stellen.
So hat der Besuch des Papstes, sowohl durch die Persönlichkeit Johannes Pauls als auch durch seine Handlungen, vorhandene Versöhnungsbemühungen vorangetrieben und neue eingeleitet. Wir, die Christen und Messianischen Juden in Israel, wollen diese Bemühungen nicht sterben lassen. Wir sehnen uns nach echtem Frieden in unserem Land, den nur Jesus geben kann, und bitten um euer Gebet für Weisheit im Streben nach Versöhnung und für Liebe im Umgang mit den Mitmenschen. Der Besuch des Papstes ist Zeugnis dafür, wie lebendig Gott durch Seine Kirche wirkt; diesem Zeugnis möchten wir beikommen.
Judith Gallagher
Die Autorin ist österreichische und israelische Staatsbürgerin. Sie lebt und studiert derzeit in Jerusalem, leitet eine ökumenische Studentengruppe und gehört den Hebräischen Katholiken an, einem Dekanat von Judenchristen, die sich bemühen, das reiche jüdische Erbe, das die katholische Kirche birgt, neu zu entdecken und zum Ausdruck zu bringen.