VISION 20006/1989
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Menschwerdung

Artikel drucken (Christof Gaspari)

Vom Titelblatt: Was Aldous Huxley als ferne Utopie beschrieben hat, ist heutige Wirklichkeit geworden: Kinder werden in der Retorte erzeugt. Ist das Geheimnis der Menschwerdung nun in unseren Händen?

Im heutigen Schwerpunkt eine Auseinandersetzung mit dieser Frage:

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Wir stehen vor Weihnachten, dem Fest der Menschwerdung Christi. Daher soll diesmal dem Thema Menschwerdung der Schwerpunkt gewidmet sein. Welches Geheimnis liegt doch rund um dieses Geschehen - und welche Größe ist in ihm verborgen, wenn Gott selbst Mensch werden kann! Haben wir diese Wahrheit nicht weitgehend aus den Augen verloren? Könnten wir sonst künstliche Befruchtung praktizieren, die in die Menschwerdung eingreift? Im folgenden eine Auseinandersetzung mit dieser Frage.

Vor zehn Jahren erblickte Louise Brown, das erste Retortenbaby, in England das Licht der Welt. Seither wurde die In-vitro-Fertilisation (IVF) in vielen Ländern (auch in Österreich) “erfolgreich” angewendet. Endlich schien es möglich, den sehnlichsten Wunsch jener Eltern, die keine Kinder bekommen können, zu erfüllen. Die Hürde der Unfruchtbarkeit war kein unübersteigbares Hindernis mehr. Auf ersten Blick erscheint dies wie ein großer Segen. Wer hat nicht Verständnis für den Wunsch eines Paares, ein eigenes Kind zu haben? Muß es da nicht schrecklich unbarmherzig wirken, wenn die Kirche der IVF ein striktes, unbedingtes Nein entgegensetzt (siehe S. 6: Donum vitae: Das Leben ist Geschenk)? Kann man überhaupt ihren Standpunkt ernstnehmen? Wer sich da ein Urteil bilden will, muß bereit sein, sich mit einigen grundlegenden Fragen auseinanderzusetzen. Da ist zunächst folgendes zu klären: Was weiß die Wissenschaft über die Entstehung des Lebens?

Um das zu beantworten, ist es informativ, in einem neueren Lexikon unter dem Schlagwort “Leben” nachzuschlagen. Da liest man etwa: “Eine Vielzahl von chemischen und physikalischen Vorgängen an Materie bestimmter Zusammensetzung, die auf Erhaltung und Vermehrung dieser Materie hinauslaufen...” (Bertelsmann, 1978). Ähnliches findet man im neuen Meyer und in anderen Werken.

Frage: Wer hat den Eindruck, daß mit dieser Definition Wesentliches über sein eigenes Leben ausgesagt wird? Sicher, Leben hat etwas mit Physik und Chemie zu tun - aber ist es nicht unendlich mehr? Diese armselige Verkürzung passiert dann, wenn man die Brille der Naturwissenschaft aufsetzt. Dann landet man bei solchen Definitionen. Denn die Wissenschaft kann nur erfassen, was meßbar, durch Zahlen zu beschreiben ist.

Mit dieser Methode kann man bestenfalls beschreiben, wie Leben funktioniert, daß es sich eben physikalischer und chemischer Vorgänge bedient. Kein Forscher wird aber jemals mit seinen Mitteln eine Antwort finden auf die Frage, was das Leben ist. Wer auf diese Frage eine Antwort sucht, muß stets berücksichtigen, daß es beim Leben nie um etwas allgemeines allein gehen kann, sondem stets um etwas Besonderes: etwa um mein Leben und um Deines. Jedes menschliche Leben ist an die Existenz einer einmaligen Person geknüpft. Wer also die Frage nach dem Leben stellt, fragt in letzter Konsequenz immer auch: Wer ist dieses Leben?

Wir Christen haben auf diese Frage eine Antwort: Das Leben steht aufs engste mit Gott in Beziehung. Jesus sagt ausdrücklich: “Ich bin die Auferstehung und das Leben” (Joh 11,25) und “Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben” (Joh 14,6). Der Mensch aber hat Anteil an diesem Lebendigen: “Gott schuf also den Menschen nach seinem Abbild, als Mann und Frau schuf er sie”, heißt es in Gen 1,24. Das Leben des Menschen ist also im Geheimnis Gottes verankert.

Nun, so mag man einwenden, was sollen solche biblische Höhenflüge, wenn es darum geht, das Leid von Eltern zu mildern? Sie sind entscheidend. Denn, sobald der Arzt mittels IVF Kinder “produziert”, verhält er sich so, als beherrsche er in diesem Produktionsprozeß alle wichtigen Faktoren, die für das Leben entscheidend sind, als könne er allein alles gestalten. Das ist heute eine Anmaßung und wird es immer bleiben. Abgesehen von den vielen Mängeln, die dieses Verfahren aufweist (siehe Seite 8: "Zuerst gezeugt, dann getötet"), hat es einen nicht auszulöschenden Defekt: Es manipuliert chemische und physikalische Beziehungen, wirkt aber zugleich in den Bereich des Geistes und der Seele eines einmaligen Menschen. Wir werden nie restlos durchschauen können, was dabei geschieht. IVF ist ein rein menschlicher Akt, der sich Herrschaft über das Wirken Gottes anmaßt.

Man mag nun einwenden, der Mensch habe von jeher in die Schöpfung eingegriffen und damit das Werk Gottes verändert. Schließlich habe Gott ihn ja zur Gestaltung berufen. Das stimmt. Größeres als Er würden sie tun, hat Jesus seinen Jüngern in Aussicht gestellt - aber nur im Heiligen Geist, an der Hand und durch das Wirken Gottes. Die weltweiten Umweltprobleme illustrieren dramatisch, was gottfernes Neuschöpfen an Bedrohung produziert. Dasselbe - nur in letzter fataler Konsequenz - blüht uns, wenn wir uns an die unbedachte Manipulation der ihrem Wesen nach göttlichen Personalität des Menschen heranmachen.

Sicher: Diese Art der Betrachtung wird letztlich nur Christen einleuchten. Wer an den blinden Zufall als Schöpfer glaubt, wird zu anderen Schlußfolgerungen kommen. Umso größer ist die Verantwortung der Christen in dieser gesetzlich noch nicht geregelten Frage, einen dezidierten Standpunkt zu vertreten, der für wohlgesinnte, wenn auch nicht gläubige Menschen möglichst einleuchtend ist.

Christof Gaspari

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