VISION 20006/1989
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Lebensbeginn

Artikel drucken das größte Ereignis im Universum (Bertrand Kieffer)

Wir verstehen das Wesen der Dinge nicht, auch den Kern der Biologie nicht. Ich weiß nicht, ob wir sie jemals begreifen werden. Aber unsere Fähigkeit zu manipulieren, geht weit über unser Fassungsvermögen hinaus. Das ist das eigentliche Drama des Menschen. Daher verändern wir die Welt rund um uns ja auch in einer absolut chaotischen Art und Weise. Im Nachhinein kommen wir immer wieder darauf, daß wir die Dinge vorher nicht richtig verstanden hatten.

Nun aber zur In-vitro-Fertilisation: Ich möchte die Haltung der Kirche, die dieses Verfahren ablehnt, erklären. Die Kirche sieht vor allem zwei große Probleme mit der IVF gegeben: Zunächst einmal die gigantische Zerstörung von Embryonen.

Dazu muß man den Status des Embryos betrachten. Hat er ein Lebensrecht? Gehen wir von der Sichtweise aus, die dem Menschen eine eingeborene Würde zuerkennt. Sie hat ihren Grund in der Transzendenz des Menschen im Bezug zu den Dingen. Es ist außerdem die Sichtweise, die der Logik der Menschenrechte entspricht. Mit dieser Logik schmücken sich heute ja viele, vor allem die Demokratien. Dieser Logik zufolge sind diese Rechte dem Menschen nicht von anderen Menschen gewährt, sondern sie basieren auf dessen Wesen.

Übrigens ist das auch die Sicht des Menschen, der liebt. Lieben - das will sagen: Ich liebe dich, weil du bist. Du - weil du Mensch bist und nicht weil du dies oder jenes kannst. Und diese Zusage gilt für den Greis ebenso wie für den behinderten Menschen, aber insbesondere auch für den Embryo, dieses gesichtslose Wesen. Denn der Embryo trägt das Handikap, gesichtslos zu sein, wie ein Philosoph gesagt hat.

Und trotzdem: Er ist ein Mensch! Vom Moment der Zeugung an ist die Dynamik vorhanden, die in ihm die menschliche Entfaltung geschehen läßt. Er wird sich vom Ein-Zellen-Stadium zum Zwei-, Vier-, Acht-Zellenstadium, usw... in einer fortschreitenden Kontinuität in der Seinsweise entwickeln.

So wird deutlich, daß der Zeitpunkt der Befruchtung ein ganz außergewöhnlicher Moment ist.

Ganz einfach deswegen, weil er eine unmmittelbare Bedeutung für die Existenz hat - so wie der Zeitpunkt des Todes. In beiden Fällen gibt es jeweils ein vorher und ein nachher. Sieht man jemanden sterben, so erkennt man zunächst noch, daß er lebt. Und einen Moment darauf wird deutlich, daß er tot ist. Es gibt eben einen genauen Zeitpunkt, in dem der Mensch stirbt. Und ebenso gibt es einen eindeutigen Moment, in dem der Mensch ins Leben tritt. Und dieser ist übrigens der wichtigere Zeitpunkt, denn der Tod ist nur der Übertritt in ein neues Leben.

Der Embryo strahlt also seine Würde bereits zu einer Zeit aus, da er noch von niemandem erkannt ist.

Es stellt sich noch eine zweite Frage: Was ist von der IVF zu halten, sobald keine Embryonen mehr zerstört werden? Und da sind wir bei einem anderen Fragenkomplex, dem der Trennung von ehelichem Akt und Zeugung. Aber ist das wirklich ein so wichtiges Problem?

Ich möchte zunächst eine Frage von Francois Jacob aufgreifen. Sie läßt erkennen, wie die menschliche Natur vorbereitet worden ist. Die Frage lautet: Warum muß man zu zweit sein, um einen dritten zu zeugen? Es ist ja offensichtlich, daß die Sexualität keine notwendige Voraussetzung für das Leben ist.

Denn viele Organismen pflanzen sich asexuell fort und scheinen dennoch glücklich zu sein, fügt Jacob hinzu.

Seiner Meinung nach müssen es deswegen zwei sein, damit etwas Neues entsteht. Dieses andere ergibt sich aus dem Zusammenfügen von zwei, ohne daß eines der beiden Ursprünglichen kopiert wird. Hier finden wir gewissermaßen in der “Evolution” die Vorbereitung eines Systems, das seinen vollen Sinn in der Hingabe von zwei Personen zur Zeugung einer dritten findet. In der Welt der Tiere hat dieses Neue nämlich keinen besonderen Sinn.

Genauso ist es mit dem sexuellen Mechanismus, den man bei den Säugetieren antrifft. Diese hätten sich ja wie die Fische durch äußerliche Befruchtung fortpflanzen können. Der Mechanismus aber, der eine enge Vereinigung der Körper bedingt, enthüllt seinen Sinn ebenfalls erst in der Person.

Diesbezüglich gilt es festzuhalten, daß jedes andere System der Weitergabe menschlichen Lebens als die Vereinigung von Geist und Leib unangemessen wäre, unangemessen ist und sein wird. Und warum? Weil dazu vollkommene Liebe, also die geistige, affektive und körperliche Hingabe von zwei Personen erforderlich ist, um in Übereinstimmung mit dem Handeln Gottes zu sein, der das Leben schenkt. Hier erkennt man die Bedeutung des Leibes. Wie kann man da sagen, die Kirche sei leibfeindlich?

Nun möchte man die Trennung dieser beiden Geschehen banalisieren - ebenso wie man ja die Sexualität banalisiert hat. Um sich damit auseinanderzusetzen, müßte man zunächst einmal die enorme Frustration zur Kenntnis nehmen, die heute mit der Sexualität verbunden ist: Über den sexuellen Trieb hinaus, sucht der Mensch in der sexuellen Vereinigung nach einer wahrhaften Begegnung, hat er Sehnsucht nach dem anderen in seiner Unbegrenztheit. Diese Sehnsucht drängt ja nicht nur nach Vereinigung mit dem anderen, sondern auch dazu, sich dem andern hinzugeben. Verwirklichen läßt sich das nur, wenn ich mich dem anderen hingebe, ganz, treu, mit einer Hingabe, die die Offenheit für eine neue Unendlichkeit in der Zeugung eröffnet. Sie ist die Gabe Goftes an einen Mann und eine Frau, die sich hingeben. Wir suchen den anderen zutiefst in seiner Unbegrenztheit. Und man findet diesen anderen eben nur auf dem Weg der Hingabe. Es gibt da keinen anderen Weg. Wir sollten die Dinge aber auch noch aus der Warte des Embryos betrachten. Der Eintritt eines Menschen ins Leben ist wahrscheinlich der großartigste Augenblick, der sich im Universum abspielt. Würden wir die Dinge richtig betrachten, würden wir das erkennen.

Donum vitae, diese römische Instruktion, die ich sehr wenig zitiert habe, die mich aber in allen meinen Ausführungen inspiriert, hält die Einmaligkeit dieses Augenblicks fest. Denn der Mensch kommt nicht langsam zum Leben. Nein, plötzlich ist er lebendig. Der Einmaligkeit dieses Beginns angemessen, kann es aber kein Vorgang sein, der der Kategorie des Machens entspricht. Hier herrschen nämlich die Gesetze der Rentabilität, der Statistik, der Chemie, wie man es ja bei der künstlichen Befruchtung auch tatsächlich erlebt. Da sucht der Arzt geeignete Ei- und Samenzellen aus, eliminiert jene, die weniger geeignet erscheinen (Siehe S. 5). Da läuft ein technischer Prozeß ab in einer anonymen, völlig austauschbaren Umgebung. Am Lebensbeginn einer Person hat ein Vorgang zu stehen, in den Personen in ihrer ganzen Personalität involviert sind. Dort, wo sich der ganze Mensch einbringt, spielt sich nicht nur ein Machen und ein Handeln ab. Nur ein Akt der Liebe (er drückt die innere Einstellung durch eine äußerliche Geste aus) ist angemessen für den Vorgang, einem Menschen das Leben zu schenken.

Bertrand Kieffer

Der Autor ist Arzt und Theologe, sein Beitrag ein Auszug aus einem Vortrag beim regionalen Familienkongreß in Fribourg.

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