VISION 20006/1989
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Achtung Sprachverwirrung!

Artikel drucken In Diskussionen über Fragen des Lebensschutzes wird oft unscharf argumentiert (Martin Schlag)

Sehr bedenklich ist, daß gerade das Fundament unserer Gesellschaft, das Lebensrecht und der Mensch in seiner Einmaligkeit und Unersetzbarkeit, unmittelbar betrofffen ist. Diese Fragen, die unsere Gesellschaft heute in ihrem Lebenskern betreffen, sind Überlebensfragen, keine Bagatellangelegenheiten, in denen man leichtfertig Kompromisse schließen dürfte: Ja, es gibt beim Lebensrecht keine Kompromisse, man kann sich diesbezüglich nicht "in der Mitte“ treffen. Entweder man vertritt das Lebensrecht und die Würde des Menschen als Menschen (und das heißt ausnahmslos) oder man tut dies nicht. Jedes Abgehen von der ersten Meinung, wenn auch nur in Randfällen, bedeutet bereits deren gänzliche Aufgabe.

Allerdings befinden sich weite Teile der Gesellschaft des europäischen Kulturkreises in einem “Narkosezustand”: Durch die weitgehende gesetzliche Freigabe der Abtreibung ist das Rechtsbewußtsein so verschüttet, daß diese Veränderungen gleichsam unbemerkt und vor allem schmerzlos vor sich zu gehen scheinen.

Aufkommende Zweifel werden durch rechtliche Scheinargumente rasch beseitigt. Befindet sich der Embryo in der Retorte und wird er durch ein entsprechendes strafbewehrtes Gesetz geschützt, so verliert er - was offensichtlich widersprüchlich ist - diesen Schutz bei den geltenden Abtreibungsgesetzen wieder bei Implantation. Die Versuchung mag nahe liegen, aus diesem Umstand zu schließen, daß auch der extrakorporale Embryo nicht zu schützen sei....

Als klares Beispiel vor allem der aufgezeigten und kritisierten Argumentationsweise, die mit Scheinschlüssen einen Kompromiß zu erreichen sucht, muß das Problem der überzähligen Embryonen angeführt werden...

Bezüglich der “Verwendung” der übriggebliebenen Embryonen wird verschiedentlich vertreten, daß an und mit ihnen innerhalb der ersten 14 Tage für bestimmte Zwecke geforscht werden dürfe. Der Bericht der IVF-Kommission der Österreichischen Rektorenkonferenz führt in Regel 24 aus: "24. Medizinische Forschungen an Embryonen, deren Transfer wegen erheblicher Schädigungen nicht verantwortet werden kann oder die unter den vorliegenden Umständen aus anderen Gründen keine Überlebenschance haben, dürfen vorgenommen werden, soweit dies in sorgfältiger und verantwortungsbewußter Weise geschieht."

In Regel 24 wird ausgesprochen, daß es unverantwortlich wäre, Embryonen mit erkennbaren Schädigungen am Leben zu lassen. Der Begriff der Verantwortung wird in einem ästhetisch-emotionalen Sinn umgedeutet: Gemeint ist, daß die Eltern ein gesundes Kind wollen und ihnen daher ein behindertes nicht zugemutet werden könne. Dabei wird aber die objektive Verantwortung des Arztes für die Erhaltung des kranken Lebens außer Betracht gelassen.

Ebensowenig stimmt es, daß Embryonen prinzipiell und von vornherein keine Überlebenschance haben. Vielmehr wird ihnen keine gegeben. Daß die Tötung von Embryonen in sorgfältiger und verantwortungsvoller Weise zu erfolgen habe, mutet nur mehr als zynisch an...,

Muß sich der Arzt wirklich für das Nichteinnisten von Embryonen rechtfertigen, wenn es auch bei natürlichem Geschlechtsverkehr zu Aborten kommt?

Gesetze und ethische Normen betreffen nur den freien menschlichen Willen...: Die Tatsache, daß bei einem Erdbeben tausende Menschen sterben, rechtfertigt nicht die Tötung ebensovieler; die natürliche Entstehung menschlicher genetischer Mißbildungen erlaubt nicht die künstliche Herstellung von Monstren durch die Gentechnologie, usw... Letztlich müßte auf Grund des Naturarguments jedes Delikt gegen das Leben abgeschafft werden, da ja jeder Mensch einmal natürlicherweise stirbt.

Martin Schlag

Der Autor ist Jurist, sein Beitrag ein Auszug aus "Der Status des Embryos", Imabe (Hrsg), Wien 1989, einer umfassenden Auseinandersetzung mit dem Beginn des menschlichen Lebens.

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