VISION 20006/1989
« zum Inhalt Portrait

Für uns war das kein Zufall

Artikel drucken Familie van Dyck: Christsein im Alltag (Ingeborg und Richard Sickinger)

Als Christ hat man sicherlich nicht weniger Probleme als andere, soviel ist klar. Was uns aber interessiert, ist: Wie gehen wir damit um? Unser Freund Stefan hat uns von einem Beispiel erzählt: Er hatte beruflich mit einem Kunst-Transportunternehmen zu tun und dort Adolf van Dyck kennengelemt, der die Hauptverantwortung in der Firma trägt und wichtigste Dinge oft in wenigen Minuten entscheiden muß, wobei es meist um Kunstschätze von unersetzlichem Wert geht.

Was unseren Freund beeindruckt hat? Die Sicherheit, die Gelassenheit, mit der van Dyck das Unternehmen führt. Diese Ruhe inmitten der Hektik eines Betriebes hat unseren Freund so fasziniert, daß er ihn eines Tages fragte, wie er das mache: so große Entscheidungen so “locker” zu tragen. “Das kann ich in dem Tempo gar nicht - das vertraue ich alles der Gottesmutter an und bitte sie: sorge Du dafür. Und das funktioniert wunderbar. Ich arbeite nur so!”

Diese begeisterte Schilderung im Ohr lernten wir Adolf van Dyck bei einem Besinnungstag in Schönstatt am Kahlenberg persönlich kennen. Auch seine Frau Elfi und seine beiden Töchter Eva (20) und Ursula (18) waren dabei.

Zwei Dinge fielen uns an dieser Familie sogleich auf. Einerseits ihre herzliche und fröhliche Ausstrahlung, andererseits eine Tatsache, auf die wir nicht gefaßt waren: Die ältere Tochter ist zerebral geschädigt, sitzt im Rollstuhl, kann nicht gehen, kann nicht sprechen, kann ihre Hände kaum gebrauchen. Die Selbstverständlichkeit, mit der die Familie van Dyck dieses Schicksal ganz offensichtlich angenommen hat, faszinierte uns. Gerne wollten wir mehr über sie erfahren. "Kommen Sie doch einmal zu uns”, wurden wir nach diesem ersten Kennenlernen eingeladen, “unsere Eva hat ohnehin so geme Besuch.”

Ein gepflegtes Einfamilienhaus am Rande der Stadt. Wir lassen die Dezemberkälte draußen und betreten das liebevoll eingerichtete Wohnzimmer. Eva freut sich wirklich, daß wir gekommen sind und strahlt uns schon entgegen. Der große Tisch, um den wir uns setzen, läßt uns sofort erkennen: hier ist es an der Tagesordnung, Gäste zu haben. Ein offenes Haus.

Ganz unbefangen wird gesprochen, über die Familie und den Beruf, über Eva und ihre Krankheit. Sie sitzt in ihrem Rollstuhl dabei und verfolgt gespannt - auch wenn sie sie schon kennt - die Erzählung, wie damals alles begonnen hat.

Eva ist jetzt 20 Jahre alt. “Ihr Geburtstag”, erzählt der Vater, “ist am 2. Juli, also Maria Heimsuchung. Das war damals wirklich eine Heimsuchung für uns.” Elfi und Adolf waren seit drei Jahren verheiratet und freuten sich schon sehr auf ihr erstes Kind. Bei der Geburt kam es plötzlich zu Schwierigkeiten: das Kind war steckengeblieben und bekam längere Zeit keine Luft. Als es mittels einer Saugglocke endlich zur Welt gebracht werden konnte und sofort in das Sauerstoffzelt gelegt wurde - da funktionierte das Gerät plötzlich nicht mehr.

“Ich habe das alles im Kreißsaal mitbekommen, das müssen sie sich vorstellen”, erzählt Elfi van Dyck von diesem Ereignis, das ihr ganzes weiteres Leben auf so entscheidende Weise prägen sollte. Erst nach Stunden wurde das neugeborene Mädchen in ein Kinderspital geführt. Durch den Sauerstoffmangel war das Gehirn lange Zeit unterversorgt, sodaß nun die Motorik völlig gestört ist: die Sprache, die Gestik, das Gehen. Der Vater hat am Telefon davon erfahren, daß sein Kind schwerst behindert sein wird: “Damals ist eine Welt für uns zusammengebrochen. Es war wie ein Schock,” erzählt er, “man konnte die ganze Wahrheit einfach nicht sofort erfassen.”

“Zwar haben wir überhaupt nicht gewußt, wie unser Leben weitergehen soll - aber wir haben unser Vertrauen nicht verloren. Was uns damals geholfen hat, war unser Glaube, war unser Gebet. Sonst hätten wir das Ganze kaum durchgestanden,” erzählt van Dyck. Und seine Frau bestätigt: “Wir beide sind von Kindheit an gläubige Menschen, und die Dinge, die passieren, sind für uns kein Zufall, sondern stehen im Plan Gottes. Es wäre für Ihn ja ein Leichtes gewesen, uns ein gesundes Kind zu schenken." Nun war es anders, und für sie war klar, daß sie ihr Kind so annehmen, wie es ist. “Wer im Leid nicht die Aufgabe sieht, die Gott uns gegeben hat”, formuliert Elfi van Dyck, “der kann wirklich daran verzweifeln. Wir haben auch im Umkreis von Behinderten viel menschliches Elend gesehen und auch Ehen, die daran zerbrochen sind. Aber das Leid bleibt ja, auch wenn ich es ablehne. Also ist es bedeutend einfacher zu versuchen, es anzunehmen.”

Schließlich begann der Alltag. Elf Jahre hat Evi in der Nacht einfach nicht geschlafen, sie hat geweint, gebrüllt, fünf oder sechsmal jede Nacht mußten die Eltern aufstehen, sie herumtragen, mit ihr sprechen, für sie da sein. Andere Kinder können fragen, ausprobieren, nach etwas greifen, und so ihre Erfahrungen sammeln. Bei Eva ging das alles nicht - also haben die Eltern mit ihr gelernt, getumt, haben ihr alles mögliche gezeigt im Haus und im Garten, haben sie an Blumen riechen lassen, haben ihr Dinge zum Befühlen gegeben. “Das alles kostet natürlich sehr viel Zeit, sehr viel Geduld”, erzählt die Mutter, “aber ich sehe es einfach als meinen Beruf, als meine von Gott gegebene Aufgabe an.”

Daß sich ihre Bemühungen ausgezahlt haben, merken die Eltern nicht nur an einzelnen Fortschritten und Erfolgen. So staunen auch die Lehrer und Ärzte, die mit Eva und ihrer Familie zu tun haben, immer wieder: “Sie ist so ein glückliches Kind!”

Adolf van Dyck hat eine interessante Beobachtung gemacht. Zunächst sah das für ihn wie eine eher unangenehme Erfahrung aus: wenn er abends - oft todmüde - heimkommt, dann gibt es keine Ruhepause. Seine Tochter braucht ihn ganz einfach: er nimmt sie auf den Schoß, füttert sie, übt schreiben mit ihr (sie hat einen eigenen Schreibcomputer, der auf akustische Signale reagiert), badet sie, bringt sie ins Bett.“ Und nun kommt das Interessante”, erzählt van Dyck, “denn ich habe bemerkt: das ist gar keine so große Überwindung, im Gegenteil, es tut mir richtig gut, mich auf einen anderen Menschen so einzulassen. Fast wie eine Therapie ist das, um meinen Streß abzubauen. Ich muß einfach tief durchatmen und sagen: gut, es kann losgehen!”

So hat dieses “Heim-Training” dann auch im Beruf seine Früchte getragen. Adolf van Dyk erzählt: “Ich nehme vieles einfach nicht so wichtig, rege mich nicht so schnell auf. Ich habe erfahren, wie man so manches locker wegsteckt, wenn man weiß, es gibt Ärgeres.”

Ähnliches gilt für ihre Beziehung zueinander. Die Belastungen haben sie nicht aggressiv, nicht reizbarer gemacht. “Im Gegenteil, das ist doch eigenartig”, erzählt die Mutter mit einem Lächeln: “Es gibt fast kein lautes Wort, keinen Streit bei uns. Vielleicht klingt das unglaubwürdig, aber kleine Dinge, Bagatellen, über die sich andere endlos ärgern können, bringen uns einfach nicht aus der Ruhe.” So haben sie gelernt, einander immer mehr anzunehmen, mit ihren guten Eigenschaften und Begabungen, mit ihren Schwächen und Fehlern, so wie der andere eben ist; großmütiger, großzügiger sind sie im Umgang miteinander geworden, und auch die Freude ist gewachsen. Heute sind beide überzeugt: “Man meistert Probleme anders, reift anders heran, wenn man so ein Leid, so eine Aufgabe hat. Vielleicht wäre unsere Ehe ohne unsere Eva nicht so glücklich geworden.”

Auch ihr Glaube, ihr Vertrauen in Gottes Führung ist stärker geworden in diesen Jahren. In allen Lebensbereichen spüren sie, wie schön es ist, auf seine Hilfe zu vertrauen.

Da sind oft kleine Erfahrungen mitten im Alltag. Vor kurzem hat Adolf van Dyck einen großen Kunsttransport von Mantua nach Wien organisiert. Ein Wagen fehlte noch, und in wenigen Tagen sollte die Ausstellung eröffnet werden. Da kam plötzlich die Nachricht von der bevorstehenden LKW-Blockade an der Grenze; nicht auszudenken, welches Risiko es bedeuten würde, wenn der Wagen tagelang in der Blockade stehen müßte. Die Situation war verzwickt. “Ich wußte zunächst beim besten Willen nicht, wie ich entscheiden sollte: abfahren oder nicht,” erzählt er. “Da habe ich ein Stoßgebet zum Himmel geschickt um die richtige Entscheidung. Vor meinem Fenster habe ich die Franziskanerkirche, da geht es vielleicht noch besser... Und dann habe ich entschieden: morgen um sechs Uhr wird abgefahren!” Und wirklich: der Wagen kam noch pünktlich an - am nächsten Tag aber war die Grenze bereits blockiert.

“Natürlich muß ich dann an anderer Stelle wieder etwas ‘investieren’, etwas herschenken”, betont Adolf vanDyck. “Das gilt für mich persönlich ebenso wie für die Firma, wenn sie zum Beispiel für einen guten Zweck auch Gratistransporte durchführt. So etwas bringt einfach Segen. Viele lächeln zwar nur, wenn sie so etwas hören. Aber ich weiß einfach, wie viele Schwierigkeiten sich auf diese Weise wunderbar lösen lassen.”

Auch Elfi van Dyck macht immer wieder ganz ähnliche Erfahrungen. “Eva und ich waren zur Jause eingeladen. Die Dame wohnt an einem Berghang, und der Weg dorthin hat mindestens fünfzig Stufen.” Sie hat gewußt, das kostet zwar viel Kraft, Eva in ihrem Rollstuhl verkehrt hinaufzuziehen, aber das würde noch irgendwie gehen. Nur das letzte Stück, hinauf in den ersten Stock - das konnte sie beim besten Wiilen nicht alleine. Die betreffende Dame hatte gerade eine Operation hinter sich und durfte nichts heben. “Den ganzen Weg habe ich gebetet: Gottesmutter, bitte hilf mir, daß jemand dort ist, wenn ich oben ankomme”, erzählt Elfi van Dyck. So war es dann auch. Als sie zur Tür kam, standen da drei Jugendliche, die im Haus wohnen, und halfen ihr, Eva hinaufzutragen. “Natürlich war ich bereit, mich zu mühen”, erzählt sie, “und die vielen Stiegen habe ich mich auch geplagt. Aber das letzte Stück, wo ich nicht mehr konnte - da war dann jemand da.”

Lange sprechen wir an diesem Abend miteinander. Und immer mehr wird uns dabei bewußt, wie sehr die einzelnen Mitglieder der Familie einander und ihre Situation angenommen haben. Annehmen, das heißt für sie: gut finden, so wie es ist. Schon lange ist vieles für sie selbstverständlich geworden. “Nicht nur das - es ist einfach etwas Wunderbares”, beschreibt Elfi van Dyck das Familienleben. “Und wenn man unsere Eva so anschaut: sie ist so ein wertvoller Mensch. Sie kann so viel geben an Liebe, an Wärme, an Freude,” fügt Adolf van Dyck an.

Später kommt dann auch Ursula, die zweite Tochter, nach Hause. Sie setzt sich zu uns, und nun geht es richtig los: Es wird erzählt, wird geblödelt, wird gelacht - und wir sind überzeugt: in dieser Familie wird nicht Trübsal geblasen!

Ingeborg und Richard Sickinger

© 1999-2024 Vision2000 | Sitz: Hohe Wand-Straße 28/6, 2344 Maria Enzersdorf, Österreich | Mail: vision2000@aon.at | Tel: +43 (0) 1 586 94 11