Die christliche Bezeichnung für den Todestag ist eigentlich seit den Anfängen: "dies natalis", Tag der Geburt. Das Wort Tod ist im Grunde genommen heidnisch. Die ersten Christen haben es nie verwendet. Unlängst hat mir im Libanon jemand erzählt, Leila habe geheiratet. “Wen?”, war meine Frage. “Gott” war die Antwort, woraus ich geschlossen habe, daß sie in ein Kloster eingetreten sei. Aber nein: Sie war gestorben. Die Libanesen drücken es so aus, wenn jemand heimgeht. Der Mensch erreicht damit jenes Ziel, dem er sein Leben lang entgegen gegangen ist. Dann würde ihn niemand mehr von Gott, von seinem wahren Leben trennen können. Unser Leben auf Erden ist so gesehen eine Verlobungszeit.
Oder man kann es auch als eine Art Reifung im Mutterleib ansehen. Dann ist der Tod mit einer Geburt zu vergleichen. Er ist zweifellos ein schmerzhafter Prozeß, wie es ja auch die Geburt ist - auch für das Kind (woran ich mich selbst nicht mehr gut erinnern kann). Man muß sich nur vorstellen, was das Kind erlebt. Es wird ganz plötzlich in eine völlig andere Welt versetzt, in eine Welt, die es erst langsam entdecken muß.
Es ist mir ganz wichtig festzuhalten, daß wir in unserem ganzen Leben im Grunde genommen unsere eigentliche Geburt vorbereiten. Jeder Tag, der vergeht, bereitet uns auf diesen Moment des Lebens vor.
Daher ist es auch so wichtig hinauszurufen, welches Meisterwerk der Barmherzigkeit Gott mit jener “Einrichtung” geschaffen hat, die wir mit einem ganz schlechten Wort als “Fegefeuer” bezeichnen. Es handelt sich hier um eine der schönsten Wahrheiten der christlichen Botschaft. Wenn so viele Menschen an die Wiedergeburt glauben, so kommt das nicht zuletzt davon, daß der Mensch einfach spürt, es sei im Grunde genommen nicht möglich, daß mit dem Tod alles aus ist. Aber er fühlt auch, daß es noch eine Phase gibt, in der man innerliche Heilung vollendet, in der man jene Reinheit und jene Freiheit erlangt, die man in seinem irdischen Leben ja keineswegs voll erreicht hat. Gäbe es das “Fegefeuer” nicht, dann wäre es doch zum Verzweifeln, wenn man Menschen plötzlich ohne jede Vorbereitung im Tod vor Gott hintreten sieht oder Menschen, die noch in teuflischen Verstrickungen stecken. Es wäre doch die reinste Verzweiflung, wenn wir nicht die beruhigende Sicherheit hätten, daß uns Gott jene wunderbare Möglichkeit bereitet hat, in der sich eine Befreiung, eine Heilung vollenden kann.
Gott vollendet uns dabei durch seine Liebe. Er bereitet in dieser Phase unsere Liebe durch die Sehnsucht. Denn je näher wir dem sind, den wir lieben, umso mehr leiden wir an der Sehnsucht nach ihm. Das Leiden im Fegefeuer ist ein Leiden der Sehnsucht. Wie zwei Liebende, die sich Jahre lang nicht gesehen haben, umso stärker das Trennende empfinden, je näher ihre Begegnung rückt.
Ich erinnere mich an die Heimkehr eines Kambodschaners nach vier Jahren Auslandsaufenthalt. Ich war mit ihm im Flugzeug gewesen, und nun standen wir bei der Abfertigung. Er wußte, daß seine Frau hinter der Plexiglaswand, in der er nur sein eigenes Spiegelbild sehen konnte, stand. Und er machte ihr ins Ungewisse hinein Zeichen - in der Überzeugung, daß sie da war. Nur die Liebe gelangte durch die Barriere.
Da sah ich das Leiden dieses Mannes bei den nicht enden wollenden Einreiseformalitäten. Das ist das Leiden des Fegefeuers. Die schönste Definition für das Fegefeuer, die ich gehört habe, gab mir ein kleine sKind: Es geht uns wie einem Baby, das gerade zur Welt gekommen ist. Es sieht nicht gleich. Es braucht nämlich eine Weile, um sich nach der Dunkelheit im Mutterleib an die helle Sonne zu gewöhnen. Und um unseren armen, vom Leben getrübten Blick an die berauschende, strahlende Herrlichkeit des Herm zu gewöhnen, brauchen wir nach unserem Tod eine Zeit der Eingewöhnung für unsere Augen. Denn Gott will, daß wir Ihn so sehen wie Er ist. Wir müssen diese herrliche Botschaft, dieses Meisterwerk Seiner Barmherzigkeit laut verkünden. Gott hat uns diese besondere Zeit der Hoffnung geschenkt.
Daniel Ange